Johann Simon Mayr, von E. Scuri, Museum Donizettiano Bergamo

«Samuele»: Oratorium eines Freigeistes in Bern

Ein Gespräch mit dem Dirigenten Rudolf Rychard und dem Theologen Walter Dietrich.

Im November wird das italienischsprachige Oratorium «Samuele» des Komponisten Giovanni Simone Mayr in Bern aufgeführt. Der Dirigent Rudolf Rychard und der Theologe Walter Dietrich im Interview.

Interview: Ariane Piller

Was spricht Sie als Dirigent am Oratorium «Samuele» an?

Rudolf Rychard (RR)*: Das Werk ist opernhaft, schmissig. Der Komponist hat es in seiner Jugendzeit geschrieben.
Walter Dietrich (WD)**: Es hat auch tiefe, zu Herzen gehende Abschnitte. Zum Beispiel dieses Melodram von Samuele, also da spricht er zur Musik. Wenn ein Sänger in Verzückung fällt, dann spricht er! Und er wird – als Reminiszenz an das Göttliche – von Harfenklängen begleitet.

Was kann die Zuhörer*innen ansprechen?

RR: Der Text ist auf Altitalienisch verfasst. Wir haben uns überlegt, wie wir ihn am besten dem Publikum vermitteln können. Statt ihn in einem Heft abzudrucken, haben wir eine professionelle Sprecherin engagiert. In 14 Texten von Walter Dietrich erklärt sie die Handlung. So können sich die Leute ganz auf die Musik einlassen.

Wieso haben Sie gerade dieses Werk gewählt?

RR: Vor zwei Jahren haben wir die «Messe von Einsiedeln» aufgeführt. Ein wohlhabender Mann bestellte sie bei Simone Mayr für die Primiz seines ins Kloster eingetretenen Bruders. Die Uraufführung war in Einsiedeln. Wir haben eine CD aufgenommen und wurden nach Berlin eingeladen.
WD: Pater Lukas Helg hat uns die Original-Handschrift der Messe in Einsiedeln gezeigt. Ein ganzer Tisch war mit diversen Partituren von Simone Mayr ausgelegt. Da ist mir als Spezialist der Titel «Samuele» sofort ins Auge gestochen.
RR: Du hast mich dann davon überzeugt, dieses Werk in Angriff zu nehmen. Es existierte allerdings nur eine provisorische Edition. Für unsere Berner Aufführung war ausschlaggebend, dass der Verlag zusammen mit Experten einen Neudruck herausgibt.

Was ist die Handlung des Oratoriums?

WD: Es wird ein Tag im Leben von Samuele erzählt. Im ersten Akt pilgert Samueles Familie zum Tempel von Schilo.
RR: Es werden auch Kinder-Solisten auftreten!
WD: Im zweiten Akt beruft Gott Samuel zum Nachfolger Elis ...
RR: … Das wird mit sehr effektvoller Musik unterlegt.
WD: Und dieser geniale Kniff – mit Rückblenden und Ausblicken in die Zukunft wird die gesamte Geschichte Samueles auf einen Tag verdichtet.

Wie in den Dramen von Molière oder den Opern von Mozart?

WD: Ja, genau! Anlass für diese Komposition war die Einsetzung eines neuen Bischofs, Samuele wird zu seinem Spiegelbild.

Könnte man das Oratorium szenisch auf die Bühne bringen?

WD: Die Partitur ist tatsächlich voller Regieanweisungen wie bei einer Operninszenierung. Mayr hat über 60 Opern komponiert. Aber «Samuele» ist meines Wissens nie szenisch aufgeführt worden.
RR: Eine szenische Aufführung wäre für uns sehr aufwendig und in der Französischen Kirche problematisch gewesen. Wir hätten zwingend einen Regisseur gebraucht, ein Bühnenbild, Kostüme und so weiter.

Gibt es kompositorische Parallelen und Anlehnungen an Zeitgenoss*innen oder Vorgänger*innen?

RR: Nein. Aber Rossini hat sehr vieles von Mayr übernommen. Von Rossini ist auch das Zitat «Wenn Ihr Komposition lernen wollt, geht zum alten Mayr!».

Weiss man, ob Mayr Mitglied der geheimen «Illuminati» war und ob dies seine kompositorische Arbeit beeinflusste, so wie Mozarts Mitgliedschaft bei den Freimaurern in seiner «Zauberflöte»?

WD: Nun, das Libretto geht sehr eigenwillig mit dem Bibeltext um. Auch die Musik ist eher opernhaft. RR: Johann Mayr war ein freigeistiger Mensch. Ich würde sagen, er war Pantheist. Er sah Gott in der Natur.


*Rudolf Rychard ist Sekundarlehrer mit Lehrdiplom für Gesang. Er war Chordirigent und musikalischer Leiter von Chorkonzerten in Bolligen. Seit 20 Jahren dirigiert er den Orpheus Chor Bern.
**Prof. Walter Dietrich war Professor für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Er ist Spezialist für die Samuel-Bücher und die frühe Königszeit in Israel und seit 2016 Präsident des Orpheus Chors Bern.

 

Der deutsche Komponist Johann(es) Simon Mayr (1763–1845) gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts. Mayr studierte in Venedig, knüpfte enge Kontakte zur italienischen Theaterszene und schrieb dort sein erstes Oratorium, seine erste Messe und einige Vespern und Kantaten. Nach einigen kirchenmusikalischen Werken komponierte er 1794 die Auftragsoper «Saffo» für den Karneval. Er schrieb mehr als 60 Opern und 600 Kirchen- und Kammermusikwerke, die in den letzten Jahren wiederaufgeführt werden.

 

Veranstaltungshinweise

Konzerte «Samuele»:
Sa, 9. November, 19.30, und So, 10. November, 17.00, Französische Kirche Bern. Mit dem Orpheus Chor Bern, Leitung: Rudolf Rychard. Tickets: www.starticket.ch oder an der Abendkasse.

Interdisziplinäres Symposium «Samuelmusik»: Do, 7. bis Sa, 9. November, öffentliche kostenlose Vorträge, Werkeinführungen und Workshops, in der Französischen Kirche und der Unibibliothek Bern.
Programm: www.pfarrblattonline.ch

 

 

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