Ein eingespieltes Team: Madeleine und Marc Dinichert, Lyss. Sie schätzen das diakonische Engagement der Kirche. Foto: Pia Neuenschwander

Schuhe, Tee und Kaffee

Flüchtlingssonntag – Tea&Talk Lyss

«pfarrblatt»: Wie begann Tea&Talk?

Marc Dinichert: Vor vier Jahren organisierten wir im Durchgangszentrum Lyss-Kappelen um die Weihnachtszeit eine Bescherung für die Kinder. In der Auswertung danach stellten wir fest, dass eine Bescherung allein im Jahr nicht viel bringt. Wir organisierten darauf Spielnachmittage für Kinder mit Singen, Basteln und Spielen, die wir alle vierzehn Tage angeboten haben.

Wer war bei der Gründung der Gruppe dabei?

Zwei Frauen, Angela Kaufmann, Katechetin der Pfarrei Lyss, und ihre Tochter Andrea, die damals das Doktorat in Ethnologie abschloss und auf Stellensuche war. Dazu stiessen einige Engagierte aus der katholischen Pfarrei Lyss. Die Pfarrei unterstützt seither die Gruppe mit einem jährlichen Beitrag. Die reformierte Kirchgemeinde beteiligt sich finanziell an konkreten Projekten. Später wurde die Gruppe politisch und konfessionell neutral. Es sind heute rund 50 eingeschriebene Mitglieder, Katholische, Reformierte, Freikirchler und kirchlich Unabhängige. Davon engagieren sich jeweils rund 25 aktiv. Wir sind kein Verein, einfach eine offene Gruppe.

Was waren die bisherigen Höhepunkte des Einsatzes?

2015 war ja die grosse Flüchtlingswelle. Damals wurde auch in Lyss viel gespendet, vor allem Kleider, Schuhe, Spielsachen. Vor dem Durchgangszentrum wurden damals Militärzelte aufgestellt, weil nicht alle Asylsuchenden im Zentrum Platz hatten, die hier zugewiesen wurden. Die Zentrumsleitung hatte damit genug zu tun, konnte sich nicht um all die Spenden kümmern.

Wir übernahmen damals diese Aufgabe. Die daraus resultierende Kleiderbörse wurde in der Folge zu einem Treffpunkt, einem Begegnungsort. Wir boten Tee und Kaffee an. Diese Börse hatte Bestand bis zur Schliessung der Kollektivunterkunft. Weitere Höhepunkte waren auch die Feste in der Lysser Kulturfabrik um die Weihnachtszeit.

Die Kulturfabrik, die «Kufa», war bereit, ihre Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, weil im Zentrum selber kein Platz mehr war. Für diese Feste kochten die Asylsuchenden ihre bunten Gerichte. Zwischen 150 und 200 Menschen, Asylsuchende und Einheimische, begegneten sich jeweils.

Wurden Sie auch mit Kritik konfrontiert, an dieser Arbeit?

Nein, das ist eine der vielen positiven Erfahrungen in diesem Engagement. Es gab nie negative Echos, wir wurden häufig gelobt und unterstützt. Vielleicht auch, weil unsere Gruppe eben politisch und konfessionell neutral ist und sich politisch nicht einmischt. Wir äusserten uns auch nicht zum Betrieb des Zentrums oder zu Massnahmen des Kantons. Wir engagierten uns in jenen Bereichen, in denen die Angestellten im Zentrum und die Behörden sich nicht engagieren konnten. Wir arbeiteten in verschiedenen Ressorts.

Welche Ressorts gibt es bei Tea&Talk?

Das Ressort Spielnachmittage mit Kindern, dann das Ressort Kleiderbörse. Weiter begleiten wir Familien, die in der Umgebung in eine Wohnung ziehen konnten, Patenschaften nennen wir dieses Ressort. Dann gibt es ein Spielen mit Erwachsenen und Unterstützung beim Deutschlernen. Da halfen wir auch den Kindern in der Schule, die Nachhilfe brauchten.

Wie stiessen Sie selber zur Gruppe?

Ich kenne die Frauen, die angefangen haben. Meine Frau war als Katechetin eine Arbeitskollegin von Frau Kaufmann. Ich fand das eine gute Sache.

Sind Sie in der Pfarrei Lyss engagiert?

Ich bin zwar Agnostiker, bezahle aber meine Kirchensteuern, weil ich das diakonische Engagement der Kirche sowie viele ihrer engagierten Mitglieder schätze. Ab und zu helfe ich mit meiner Frau beim Apéro nach der Erstkommunion oder der Firmung. Tea&Talk ist aber als Gruppe völlig offen und unabhängig.

Was ist Ihre Motivation?

Ich verstehe Integration als ein Miteinandertun und Aufeinanderzugehen, nicht nur als Unterstützung. In den Projekten Tea&Talk begegnen sich Asylsuchende und Einheimische, kochen zum Beispiel gemeinsam, helfen die Kleiderbörse in Ordnung zu halten. Begegnung ist mir und uns zentral.

Nun wird aus der Kollektivunterkunft ein Bundesasylzentrum. Was ändert sich für Ihre Gruppe?

Ein Bundesasylzentrum hat ganz andere Regeln und Vorschriften. Wir können da nun nicht mehr so viel anbieten, weil Aussenstehende wie die Freiwilligengruppen keinen Zugang zum Zentrum mehr bekommen. Wir werden das Projekt der Patenschaften weiterführen, also diejenigen Familien weiter begleiten, die in Wohnungen ziehen konnten.

Neu aufbauen wollen wir einen Begegnungsort ausserhalb der geschlossenen Räume des Zentrums. Das ist jetzt aber noch nicht klar, wie das funktionieren wird. Dazu braucht es noch Absprachen mit der Leitung des Bundesasylzentrums. Nach der Schliessung der Kollektivunterkunft ist es stiller geworden. Wir organisierten für die weggezogenen Familien ein nochmaliges Treffen in der «Kufa» Lyss im Dezember letzten Jahres. Weil den Kindern wie auch den Erwachsenen, die jetzt in Thun oder im Emmental oder im Seeland leben, ihre «Gspänli» aus dem Zentrum fehlten, war das Wiedersehen sehr berührend.

Um solche Begegnungen weiter zu ermöglichen, organisieren wir monatliche Treffen in den Räumlichkeiten der Pfarrei Lyss. Jedes zweite Mal werden die Familien mit uns auch kochen und zusammen essen.

Gab es schwierige Erfahrungen mit den Asylsuchenden?

Grundsätzlich nein. In unserer Gruppe engagieren sich viele Frauen unterschiedlichen Alters zwischen 20 bis 75. Es gab diesbezüglich nie Schwierigkeiten. Ab und zu wurde in der Kleiderbörse geschummelt oder gehamstert. Einmal, erinnere ich mich, erhielten wir von einer Firma viele Schuhe. Da gab es einen richtigen Ansturm, vor allem von Männern, die wir zurückhalten mussten, dann aber ohne Probleme in einer Zweierreihe organisierten – sie liessen sich das gefallen –, damit die Verteilung geordnet ablaufen konnte. Wir sagten uns jeweils, wenn wir Schweizer in derselben Lage wären, uns im Ausland in einem Flüchtlingszentrum organisieren müssten, würden wir wohl ähnlich reagieren.

Wie geht es weiter mit dem Bundesasylzentrum?

Am 30. Juni gibt es an der Grenzstrasse 17 in Lyss von 10.00–12.00 einen Tag der offenen Tür für alle Interessierten. Da werden wir sicher dabei sein. Ab dem 2. Juli geht der offizielle Betrieb los. Danach werden wir sicher mit der Leitung Absprachen treffen können. Mit der Leitung der kantonalen Kollektivunterkunft hatten wir ein wirkliches Vertrauensverhältnis. Wir hoffen, dass dies auch mit der neuen Leitung gelingt.

Interview: Jürg Meienberg

Kontakt: marc.dinichert@besonet.ch
Spenden: Berner Kantonalbank BEKBIBAN: CH50 0079 0042 9366 4329 7

Lesen Sie dazu auch den «pfarrblatt»-Artikel aus dem Jahr 2016: Voneinander lernen

 

 

Wo sind «unsere» Asylsuchenden?

Nach der Schliessung der Kollektivunterkunft ist es still geworden an der Grenzstrasse in Lyss. Viele fragen sich: Wo sind denn all die Asylsuchenden, all die Familien hingezogen?

Zirka 80 Männer sind in der neuen KU in Biel-Bözingen untergebracht. Die meisten Familien konnten in Wohnungen im Seeland, im Emmental sowie in Thun und Umgebung ziehen. Die Freude und Erleichterung war gross, endlich ein eigenes Zuhause zu haben. Doch schon bald wurde klar, dass den Kindern die «Gspänli» und den Eltern ihre Kollegen und Freunde aus dem Zentrum fehlten. Da kam unsere Idee von einem Begegnungsfest in der KUFA gut an. Am 7. Dezember war es so weit. Es war äusserst berührend, mit anzuschauen, wie sich die Kinder in die Arme fielen und die Erwachsenen in einen Freudentaumel fielen. Die langen Tische reichten kaum aus, um die vielen mitgebrachten Leckereien aus den verschiedenen Ländern aufzunehmen.

Um dieses Bedürfnis nach Begegnung zu stillen, organisieren wir seither im Pfarreizentrum jeden Monat einen Kinder- und Begegnungsnachmittag. 22 Kinder und 11 Erwachsene waren es am 28. März und 15 Kinder und 21 Erwachsene am 21. April. Mittwochs spielen und basteln wir mit den Kindern. Zur Stärkung gibt es Getränke und Kuchen. Samstags kochen die Mütter, während wir mit den Kindern spielen.

Nicht nur bei den Kindern, auch in der Küche entstand eine wunderschöne Stimmung, unterlegt von feinen Gerüchen. Am Basar mit gespendeten Spielsachen und Kleidern können sich die Kinder kleine Wünsche erfüllen. Freilich ist das Projekt arbeitsintensiv und auch nicht ganz gratis. Deshalb sind wir dankbar für die Zuwendungen des Pastoralkreises und von privaten Spender*innen.

Unser Tea&Talk-Team ist mittlerweile ein richtiges Dreamteam. Wenn sich unsere neuen Freunde aus entfernten Ländern dankbar und glücklich verabschieden, begegnen sich lauter leuchtende Augen.

Ich danke allen Helfer*innen und freue mich auf die nächsten Treffen.

Madeleine Dinichert/Tea&Talk-Ressort Kindernachmittage

 

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