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Steuersünder

 Ein Freund von mir pflegte zu sagen, es sei "süss wie die Sünde", wenn ein Dessert ihm besonders gut schmeckte. Dabei zischte er bei den S-Lauten wie eine Schlange. So hatte die Sünde Süsse, oder - was die Kehrseite war - Biss: Sie war verführerisch, bedrohlich, schmeichelnd, gefährlich. 

Heute ist die Sünde zahnlos geworden, ein Relikt aus der Mottenkiste. Ab und zu holt sie noch jemand zum Vorschein und kokettiert mit ihr: "Über die Feiertage habe ich schwer gesündigt; jetzt muss ich kürzer treten, sonst kriege ich die Kilos nie weg." Wir haben die Sünde abgeschafft; von falschen Schuldgefühlen haben wir uns befreit. Mit Fegefeuer und Höllenqual soll uns niemand mehr Angst machen können. 

In den letzten Wochen ist viel von "Steuersündern " die Rede. Das klingt harmlos - wer zahlt schon gerne Steuern? -, wie ein Kavaliersdelikt, das höchstens mich und mein Gewissen etwas angeht. 

Aber das ist es nicht. Steuerbetrug ist eine Straftat. Wer Gelder nicht versteuert oder - am Fiskus vorbei - ins Ausland schafft, schädigt die anderen. Er untergräbt die Solidargemeinschaft, deren Gründung eine kulturelle, politische und soziale Errungenschaft war. Er entzieht dem Staat die Voraussetzung, Aufgaben zu leisten, die letztlich allen zugute kommen: Sicherheit, Bildung, Kultur, Infrastruktur, Gesundheit. 

Ich wünsche mir die Angst vor Fegefeuer und Höllenqual nicht zurück. Höchstens manchmal ein bisschen für Sssteuersssünder. 

Hubert Kössler Theologe, Ausbildungen in Spitalseelsorge und systemischer Familientherapie, Co-Leiter Seelsorge Inselspital, verheiratet, Vater von zwei Kindern. Wohnt in Wabern. Autorenportraits

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