Silja Walter, Ordensname: Sr. M. Hedwig OSB. Foto: Keystone

Tanzen heisst auferstehen

Zum 100. Geburtstag der Dichterin Silja Walter

Zum 100. Geburtstag der Dichterin Silja Walter am 23. April

Autorin: Beatrice Eichmann-Leutenegger

Im Garten der elterlichen Villa sprang ein kleines Mädchen über die Wiese, übte vielleicht tänzerische Schritte. Den Tanz pries die spätere Dichterin immer und immer wieder: «Tanzen heisst leben und lieben.» Und sie wagte, getragen von österlicher Freude, die Kulmination: «Tanzen heisst auferstehen.» Am Ende eines langen Lebens aber, zurückgeworfen auf die blosse Körperlichkeit, gestand sie in ihrem letzten Tagebuch der Priorin: «Danke für Deine Mühe mit mir – es ist hart für Dich und hart für mich, jetzt zu tanzen.» Im Rückblick erscheint der Tanz als das Lebensbild einer wechselvollen inneren Existenz – von der Kindheit bis zum irdischen Finale am 31. Januar 2011.

Im Tanz drückt sich der Enthusiasmus aus, der Silja Walter getragen hat – ebenso im Feuer, das als eine der zentralen Metaphern ihrer Dichtung gilt. Der Geist von Pfingsten, bei Silja Walter verdichtet in der Feuertaube, nährte ihre Begeisterung. Diese übertrug sich auch auf ihre Stimme. Wer sie gehört hat, wird sie nicht vergessen. Beim Wiederlesen ihrer Gedichte, die noch vor ihrem Klostereintritt, 1948, entstanden sind und eine gedämpfte Schönheit atmen, nimmt man allerdings eine dunkle Grundierung war. Diese sowie die Musikalität und spätromantische Färbung lassen an Georg Trakl denken. In den ersten Klosterjahren jedoch, abgeschnitten von der Welt draussen, schrieb Silja Walter Gedichte, in denen ländlich-idyllische Szenen wiederkehren, als ob in den fünfziger Jahren kein Günter Eich, kein Paul Celan, keine Nelly Sachs eine neue Sprache mit einer neuen Thematik erprobt hätten. Nicht umsonst befürchteten jene, die ihre frühe Lyrik schätzten, dass die Anforderungen des Klosterlebens den künstlerischen Impuls ersticken könnten.

Tatsächlich verstummte Silja Walter für einige Zeit und litt darunter. Was sie nun erproben musste, war der Tanz des Gehorsams, diese schwierige Balance zwischen der klösterlichen Regel und dem eigenen Willen, zwischen Klosteroberen, die «gebildete Postulantinnen» scheuten und einer jungen Frau, die einen doppelten Ruf vernommen hatte – den göttlichen und den poetischen. Ihre frühen Klosterjahre fielen in die vorkonziliare Zeit mit ihrem rigorosen Verständnis von Gehorsam und Demut, mit den starren Hierarchien und Frauenbildern. Diese Phase forderte die eigenwillige junge Nonne wohl am meisten heraus.

Seltsam mutet es heute an, dass ihr zweifacher Ruf früh auch verkannt worden ist. Die Kindheitsgeschichte «Der Wolkenbaum», ihr schönstes Prosabuch, enthält die Szene, in der die Sechsjährige am Namenstag der Grossmama einen eingeübten Vers aufsagen soll. Silja hält sich nicht daran, sondern rezitiert ein eigenes Gedicht, worauf sie gescholten wird. Ebenso zweifeln selbsternannte «Experten» nach dem Klostereintritt an der Echtheit ihrer Berufung. Wüste u n d Paradies: Beide hat Silja Walter erfahren. Schon als Kind durchzuckte sie eine Ahnung dieser schwierigen Ambivalenz. Ihr Vater war ein türenknallender Patriarch mit cholerischem Naturell, der aber seine zweitälteste Tochter zärtlich «sein Forellchen» nannte. Wenn er schrie, er werde alles zusammenschlagen, lief das Mädchen «mitten ins Gewitter hinein», «voller Schrecken und Weinen und Angst».

Was aber hat uns diese Frau, diese hochgemute Seele, nicht alles geschenkt: Gedichte, Prosawerke, dramatische Dichtungen, die oft im Auftrag entstanden, und eine Vielzahl an Liedtexten, welche die nachkonziliare Liturgie bereichert haben. Sie, die moderne Schwester der Mystikerinnen, liess sich vom Geheimnis des Göttlichen anrühren und öffnete weit ihr Herz, wollte aber diese Fülle auch zu den Menschen am jenseitigen Ufer tragen, wollte Fährfrau sein, die über den Fluss setzte. Nicht alle ihre Texte werden angesichts der wachsenden Säkularisierung künftige Leser*innen erreichen, aber einige zählen zum unveräusserlichen Bestand wie dieses Gedicht, das wegen seiner radikalen Verknappung mein Lieblingsgedicht geworden ist:

Vom frühen Morgen an

lief ich

durch alle Türen

auf einen armen

Juden

zu

und fiel

als die Nacht kam

in die Sonne.

 

Buchhinweise:
Ulrike Wolitz, Dich kommen sehen und singen. Erinnerungen an Silja Walter. Paulus Verlag: Einsiedeln 2019
Dies.: Ich habe den Himmel gegessen. Silja Walter-Lesebuch, a. a. O.: Einsiedeln 2018

Silja Walter, am 23. April 1919 als zweitälteste Tochter des Verlegers Otto Walter in Rickenbach b. Olten geboren, besuchte das Lehrerinnenseminar und studierte in Fribourg und Basel Literaturwissenschaft. Wegen einer TB-Erkrankung musste sie das Studium abbrechen und sich in Sanatorien kurieren. 1944 erschienen ihre ersten Gedichte. Sie engagierte sich damals in der Jugendbewegung und schrieb für sie dramatische Spiele. 1948 trat sie ins Benediktinerinnenkloster Fahr ein und erhielt den Namen Sr. Maria Hedwig. Für ihr vielfältiges Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Am 31. Januar 2011 ist sie gestorben.

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