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Tastend im Selbstgespräch

Ingrid Zürcher und Lyrik am Krankenbett

Und, was bringst du im nächsten «pfarrblatt»-Artikel zur Sprache? – Tja, wenn ich’s wüsste. – Ist alles gesagt? – Ich weiss nicht, am besten werde ich vorhandene Fäden aufnehmen, weiterspinnen, fein weben – eher etwas Atmosphärisches, Durchlässiges – mich und andere erinnern an Daseiendes, Zugesprochenes, Verheissenes. Zum Beispiel mit Texten von Jacqueline Keune:

Kleiner Segen I:
Alles, was gut ist / alles was still ist
und stark / alles was wärmt und
weitet / was den Leib erfreut / das
Herz bezaubert / und die Seele birgt /
alles, was die Liebe stärkt und das
Recht stützt / komme über und durch
uns in die Welt

Diese Segensworte bringen mich zu dem an Krebs Erkrankten, der mir anvertraut hat, wie sehr ihn eine Angst packe. Jetzt spüre er sie gleich wieder kommen. Wo ist dieser Mensch wohl geborgen? Wo gibt es für ihn eine Zuflucht? Wo hat er sie erfahren? Er hatte zuvor schon viel erzählt. Er bestätigte: Ja, seine Mutter, sie habe ihn geliebt. Ihr sei er hochwillkommen gewesen. Wie gut, dass sie ihn ein ganz grosses Ja hat erleben lassen. Die Erinnerung daran hat eine Spur gelegt, die einen Zugang zu einem Geschützt- und Geborgensein jetzt auftun kann. Achtsam werden wir da weiterschauen. Erstaunlich Resonanz gibt bei mir gerade auch ein weiterer Text:

zu Gast
Ich freue mich auf dich / Ich knete die
Erinnerung in den Teig / Ich stelle ein
Licht ins Fenster / Wenn du redest /
bin ich still / weil ich verstehen will /
Und wenn ich rede / hörst du zu /
Der Himmel / sitzt mit am Tisch

      …oder mit am Bett, ergänze ich.

Bei vielen Patientenbesuchen bin ich «zu Gast». Das ist ein Privileg. Ich komme mit mir und, indem ich mich als «von der Seelsorge» vorstelle, komme ich auch mit dem Schatz meiner Tradition. Natürlich geht es zentral um die Besuchten und was sie beschäftigt oder beschwert; ja, um sie geht es. Und doch gibt es eine Durchlässigkeit auf das über uns hinaus: die Welt, auf Gott, auf seine Gerechtigkeit. Und auf all das, «was die Liebe stärkt und das Recht stützt».

Ingrid Zürcher, ref. Seelsorgerin

Quelle: Jacqueline Keune, Scheunen voll Wind, db Verlag 2016, 80 Seiten

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