«Unser Platz ist vor Ort, am Krankenbett»

Hubert Kössler über Spitalseelsorge und Covid-19

Hubert Kössler, Co-Leiter der Seelsorge am Berner Inselspital, blickt auf die Arbeit seines Teams während der Pandemie zurück – eine erste Zwischenbilanz der Spitalseelsorge unter Covid-19-Bedingungen

Interview: Anouk Hiedl

Ist die Spitalseelsorge durch die Pandemie deutlicher wahrgenommen worden?

Hubert Kössler: In der ersten Welle waren manche Spitalmitarbeitende vor allem damit beschäftigt, die veränderten Rahmenbedingungen zu berücksichtigen: Hygienekonzept einhalten, Besuchsregelung umsetzen. Da haben sie manchmal erst nachträglich daran gedacht, uns miteinzubeziehen. Gleichzeitig wurden wir von der Direktion beauftragt, ein Unterstützungsangebot für belastete Mitarbeitende aufzubauen. Tatsächlich hat sich die Zahl der geleisteten Begleitungen von Mitarbeitenden im letzten Jahr fast verdreifacht. In vielen dieser Begleitungen ging es direkt oder indirekt um die Belastung im Zusammenhang mit Covid-19.

Haben Sie sich Covid- und anderen Patient*innen gleich intensiv widmen können?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Jeder Einzelfall ist anders und verlangt unterschiedliche zeitliche und personelle Ressourcen. Bei manchen Covid-Patient*innen waren wir mehrfach und intensiv involviert. Das hat dann Einfluss auf andere Kontakte, für die wir z. B. weniger Zeit zur Verfügung haben. Solche Dynamiken gibt es aber auch sonst immer wieder – unabhängig von Covid.

Gab es eine Verlagerung von der Seelsorge für Patient*innen zu jener für Angehörige?

Ja, das war tatsächlich so. Viele Covid-Patient*innen konnten wir nicht besuchen, weil sie tief sediert waren. Gleichzeitig hatten wir mehr Kontakt zu deren Angehörigen. Diese durften zum Teil wegen des strengeren Besuchsregimes oder weil sie in Quarantäne waren, nicht ins Spital kommen. Dann fungierten wir manchmal als «Zwischenglied»: Wir besuchten die Patient*innen quasi stellvertretend, telefonierten mit den Angehörigen, vermittelten Informationen, bestellten Grüsse und ähnliches. Eine Seelsorgerin hat ein Abschiedsritual via Video-Konferenz durchgeführt. Die Angehörigen konnten nicht ins Spital kommen, weil sie selbst erkrankt waren. Sie waren sehr dankbar, dass wenigstens diese – wenngleich eingeschränkte – Form des Abschiednehmens möglich war.

Haben Sie weiterhin mit Covid-19-Patient*innen zu tun?

Ja, bei manchen Covid-Patient*innen sind wir involviert – zum Glück sind es nicht mehr so viele wie am Anfang der Pandemie. Wir können heute erst eine Zwischenbilanz ziehen, denn niemand weiss genau, wie die Pandemie sich weiter entwickeln wird. Ich hoffe, dass die Anzahl abnimmt und die Verläufe milder werden.

Welche zusätzlichen Herausforderungen traten während der Pandemie auf?

Am Anfang experimentierten wir mit Home Office und Telefonberatung. Das hat mässig gut funktioniert. Es hat sich bald gezeigt, dass viele Begegnungen die physische Präsenz voraussetzen. Unser Platz ist vor Ort, im Besprechungszimmer, am Krankenbett. Unter Covid-Bedingungen sind die Begleitungen deutlich schwieriger. Mit Schutzmasken geht manches in der Kommunikation verloren. Man muss, besonders mit älteren Patient*innen, sehr laut und langsam sprechen. Insgesamt wurde die Arbeit anstrengender. Das Wissen, und zum Teil auch die Angst, dass wir Seelsorgenden auch selbst angesteckt werden könnten, ist eine neue Erfahrung. Das haben wir in diesem Umfang bisher noch nie erlebt. In zwei Intervisionssitzungen haben wir uns über Strategien und Ressourcen ausgetauscht. Zudem haben wir uns gegenseitig unterstützt und entlastet: Wenn jemand aus dem Seelsorge-Team an seine Grenzen stiess, sprangen die anderen ein, um eine Begleitung zu übernehmen. Und wir haben uns bei der Spitalhygiene und bei der Infektiologie weitergebildet, um uns angemessen und bestmöglich zu schützen.

Wie brennen Sie nicht aus? Was schenkt Ihnen Kraft?

Selbstsorge ist wesentlich, damit man gute Seelsorge bieten kann. Worin diese Selbstsorge besteht, ist individuell sehr unterschiedlich. Für mich persönlich sind Familie, Musik, Literatur, Bewegung wichtig. Ich rufe mir immer wieder in Erinnerung, wofür ich alles dankbar bin: Ich habe Arbeit; ich lebe in einem Land, in dem sehr vieles sehr gut organisiert wird, ich kann mich in einem vielfältigen Beziehungsnetz bewegen. So vieles ist trotz Einschränkungen möglich – darauf versuche ich immer wieder den Blick zu lenken.

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