Ökumene ist ein Weg zum «Anderen» und Religion eine sinnliche Erfahrung. Maxdavid Frei. Foto: Pia Neuenschwander

Unstillbare Neugier

In Kehrsatz stehen weder eine katholische noch eine reformierte Kirche. Stattdessen hat es ein ökumenisches Zentrum.

Maxdavid Frei, 86, früherer Informationsbeauftragter verschiedener Bundesämter in Bern, katholisch, oder besser ökumenisch sozialisiert, hat sich in Kehrsatz vor vierzig Jahren gegen den Bau einer katholischen Kirche gewehrt und sich für den Bau eines ökumenischen Zentrums stark-gemacht. Triebfeder war damals die Neugier, sagt er, und die treibt ihn heute noch an.

«pfarrblatt»: Maxdavid Frei, was ist das besondere an Kehrsatz?
Maxdavid Frei: An den Dorfeingängen von Kehrsatz bei Bern stehen, wie bei anderen Dörfern, blaue Tafeln mit Hinweisen auf reformierte und katholische Gottesdienste. Aller-dings: man sucht in Kehrsatz vergeblich nach zwei Kirchen. Es gibt nur eine, aus einem gemeinsamen Willen von Christinnen und Christen bewusst geschaffene und getragene: die Andreas-Kirche im Ökumenischen Zentrum, das wir liebevoll «Öki» nennen.

Als Sie vor gut vierzig Jahren nach Kehrsatz zogen, hatten die Katholiken andere Pläne.
Richtig. Ein zu gründender Katholikenverein, dessen Präsident ich später war, sollte das Projekt zum Bau einer katholischen Kirche unterstützen. Noch stark beeinflusst durch das II. Vatikanische Konzil, fand ich damals, das sei kein Projekt für die Zukunft. Ich begann mich für ein Ökumenisches Zentrum einzusetzen.

Warum?
Wenn mich Bekannte heute fragen, warum ich mit 86 noch so gut beieinander sei, sage ich: meine Neugier lässt mich rege bleiben. Ich spreche gerne mit jungen Menschen, interessiere mich für Fragen und Zweifel, die Glauben und Lebensgestaltung mit sich bringen. Das war auch damals meine Motivation. Ich fand, wir sollten mit den Reformierten darüber sprechen, was uns gegenseitig stört und was uns Eindruck macht. Der Austausch, die gemein-same Suche war die Triebfeder.

Gab es Widerstände?
Ja, romtreue Katholiken demonstrierten lauthals und medienwirksam. Sie warnten, das ökumenische Denken und Reden würde die religiöse Erziehung der Kinder beeinträchtigen. Und meine Frau, eine katholische Elsässerin, litt sehr unter meinen so zahlreichen abendlichen Abwesenheiten, bedingt durch die Vorbereitungsarbeiten mit unseren reformierten Partnern. Sie waren unserer Ehe abträglich.

Ein zu grosser Preis für Ihren Einsatz?
Das war keine einfache Zeit, auch für unsere drei Kinder nicht.

Immerhin, das Öki wurde gebaut und Papst Johannes Paul II. besuchte es 1984.
Ich war damals als Zuschauer dabei, aber wenn Sie denken, das wäre ein Höhepunkt für das Öki, irren Sie sich. Höhepunkte waren das vitale Gespräch junger Theologinnen und Theologen beider Konfessionen, die Beheimatung so vieler Gruppen und Vereine. Das Öki ist heute ein sozialer Ort par exellence.

Und das kirchliche, ökumenische, gottesdienstliche Leben?
Nun, da geht es wie in allen Kirchen. Kirche und Gottesdienst scheinen an Attraktivität verloren zu haben. Die moderne Welt jagt von einem Megaevent zum anderen und findet in den gegenwärtigen Gottesdienstformen wenig Heimat mehr.

Heimat?
Das vor vierzig Jahren mit Begeisterung und Engagement Begonnene erlebe ich heute hauptsächlich als soziales, freundliches, selbstverständliches, fragloses Miteinander von Menschen aller Altersstufen, Hautfarben, Berufen und Bekenntnissen. Was mir heute fehlt, ist das intensive Gespräch, die Neugier, die hilft, bei den anderen Ungeahntes und Grossartiges zu entdecken. Ökumene ist ein Weg zum «Anderen». Navid Kermani, der muslimische Schriftsteller, sagt, Religion sei eine sinnliche Erfahrung, nicht eine des Verstandes.

Ihr ökumenisches Denken schliesst auch interreligiösen Dialog ein?
Einer meiner Söhne hatte eine pakistanische Freundin. Mit ihr habe ich mich immer wieder mal über ihre Religion und über ihr Glaubensumfeld unterhalten. Wir haben heute noch einen freundschaftlichen Kontakt. Kermani hat zudem in seiner sehr bewegenden Dankesrede vom Oktober 2015 zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels den Kern der Ökumene beschrieben. Als Muslime spricht er über das katholische Kloster Mar Musa in Syrien, das seit dem siebten Jahrhundert im syrischen Wüstengebirge besteht und heute unter dem Terror des IS leidet, mit höchstem Respekt. Man kann die Rede im Internet finden.

Stammen Sie selbst aus einer katholischen Familie?
Nein, mein Vater war ein Zwinglianer, meine Mutter katholisch. Ihre Heirat wurde damals von ihren beiden Herkunftsfamilien boykottiert; meine Mutter musste sich im Beichtstuhl immer mal wieder die Frage gefallen lassen, ob sie nun ihren Mann zur rechten Religion bekehrt habe. Mein Vater bekam eine Stelle als Lehrer in Zürich im ersten Anlauf nicht, weil er mit einer Katholikin verheiratet war. Zum Glück sind diese Zustände vorbei. Mein Vater besuchte mit uns häufig die katholische Messe und blieb dann beim Hochgebet stehen, während alle anderen knieten. Seine ganze klare Haltung beeindruckte mich und verband mich in besonderer Weise mit ihm, weshalb ich später meinem Vornamen den Seinigen beigefügt habe: David.

Wie schätzen Sie die Zukunft des Öki ein?
Es gibt im Öki einen Raum der Stille. Ich weiss noch, dass ich anfänglich dagegen war, weil ich befürchtete, es werde ein katholischer Raum. Die gegenwärtige katholische Pastoralassistentin bringt viel Schönheit in Gestaltung und Gedanken ins Öki. Im Raum der Stille entzünden heute Reformierte wie Katholiken Kerzen. Das gelingt. Was es zusätzlich braucht, ist eine Belebung des Gesprächs und der gegenseitigen Neugier. Der reformierte Kirchgemeindepräsident und der re-formierte Pfarrer möchten dazu Schritte unternehmen. Ich vertraue darauf, dass diese treibende Neugier wieder Einzug hält und die Lust am Gespräch über Zweifel, Glauben und Leben in der Welt zu neuen Ideen bewegen kann.

Und auf was vertrauen Sie für sich persönlich?
Ich vertraue auf einen gütigen Gott, der uns in unserer Trägheit wachrütteln kann und sich einmischt. Das gilt auch für mein persönliches Leben.

Interview: Jürg Meienberg

Hinweis:
Maxdavid Frei verfasste zum 40-Jahr-Jubiläum des «Öki» Kehrsatz eine Einordnung zu «Ökumene verstehen». Den Text finden Sie hier

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