Im Dialog mit den Kirchen: Schauspieldirektorin Stephanie Gräve. Foto: Pia Neuenschwander
Im Dialog mit dem Theater: Theologe und Fachstellenleiter André Flury. Foto: Pia Neuenschwander

Vertiefung einer «wunderbaren Freundschaft»

Theater und Religion im Dialog

Seit einem Jahr gibt es den Dialog zwischen den Kirchen und demKonzert Theater Bern. Die beiden altehrwürdigen Institutionen entdeckten ungeahnte Gemeinsamkeiten. Auch in der neuen Saison wird es Theatergottesdienste und weitere gemeinsame Veranstaltungen geben.


Von Niklas Zimmermann


Ein erster Höhepunkt ist die Premiere des «Hiob», welcher am 19. September in den Vidmarhallen des Konzert Theater Bern erstaufgeführt wird. Stephanie Gräve, die neue Schauspieldirektorin, ist höchstpersönlich für die Dramaturgie verantwortlich. Sie sagt, bei dem Stück gehe es um Fragen wie Heimat, Identität, Flucht und Asyl – Themen, die in der gegenwärtigen Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen hochaktuell sind.
Die Inszenierung des «Hiob» basiert auf dem 1930 erschienenen gleichnamigen Roman des grossen österreichischen Schriftstellers Joseph Roth. Die Hauptfigur ist Mendel Singer, ein strenggläubiger russischer Jude, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Vereinigten Staaten auswandert.
Feindlich präsentiert sich ihm das Leben im heimischen Russland, doch auch im amerikanischen Exil erleidet er schwere Schicksalsschläge. Singer beginnt an seinem Gott zu zweifeln. «Wie kann man trotz Leid und Schrecken in dieser Welt an Gott glauben?» – Mit dieser in der Inszenierung aufgeworfenen Frage kommt die theologische Relevanz ins Spiel. Es gibt ja auch den biblischen Hiob.

Der Theologe André Flury leitet die Fachstelle «Kirche im Dialog» der Katholischen Kirche Region Bern, und ist von Anfang an im Dialog mit dem Konzert Theater Bern engagiert. Für ihn geht es beim biblischen Hiob um die Frage, warum Menschen unverschuldet an Krankheiten, Schicksalsschlägen oder Katastrophen leiden, wenn es doch einen guten Gott geben soll. Bei Joseph Roths «Hiob» werde die Frage noch verschärft: «Wirkt Gott überhaupt in dieser Welt? Und warum ist sich der Mensch oft selbst das grösste Hindernis für ein gelingendes Leben?»
Flury ist der persönlichen Überzeugung, dass Gott nicht von ausserhalb direkt in das Geschick dieser Erde einwirkt und das Leid nicht von «aussen» verhindern kann. Jedoch glaubt er, dass Gott durch seinen Geist in und durch den Menschen wirke. Dieser Geist, so Flury, schaffe neues Leben, Solidarität und den Willen, sich für ein menschenwürdiges Leben aller einzusetzen. Der Theologe freut sich darauf, dass Szenen aus dem «Hiob» am 5. und 6. Dezember in den Stadtberner Kirchen Dreifaltigkeit und St. Marien aufgeführt werden.


«Natürliche Partner»

Auf den ersten Blick erscheinen Theater und Kirche als ein eher ungleiches Paar. So gilt die Kirche landläufig als bewahrende Institution und das Theater als Laboratorium, in demgesellschaftliche Konventionen gebrochen werden. «Was soll ich denn mit der Kirche reden?» – Mit solchen Vorbehalten habe sie auf früheren Stationen schon zu kämpfen gehabt, sagt Stephanie Gräve. Die Vorurteile verflüchtigten sich aber rasch, wenn Schauspieler ihre «tollsten Publikumsgespräche» in den Kirchen erlebten. Statt Antagonisten seien Theater und Kirche «natürliche Partner», so Gräve.
Beide Institutionen beschäftigen sich mit den «grossen Menschheitsfragen und teilten den Glauben daran, dass es etwas jenseits der materiellen Welt» gebe. Sowohl die Kirche und das Theater würden den ethischen Anspruch erheben, in die Gesellschaft hineinwirken zu wollen, so Gräve weiter.
Die Schauspieldirektorin und André Flury von «Kirche im Dialog» haben ein ähnliches Verständnis des Kulturellen: Flury unterscheidet zwischen «Kunst», die sich kritisch mit dem Leben und der Gesellschaft auseinandersetze, und «Kultur»,welche bewahren, unterhalten repräsentieren wolle. «Man war beiderseits fasziniert, wie viel Ähnlichkeiten Theater und Kirche haben», sagt Flury im Rückblick auf ein Jahr Zusammenarbeit. Kirche und Theater behandelten existenzielle Lebensfragen und stellten die Frage nach einer gerechten Gesellschaft.
Auch institutionell gebe es Gemeinsamkeiten. Theater und Kirche sind laut Flury «Global player» und haben daher verschiedene Lebensrealitäten im Blick. Schauspieldirektorin Gräve nennt zudem gemeinsame Probleme: «Wir sind beides grosse Institutionen, die gerade wegen ihres institutionellen Charakters misstrauisch beäugt werden.» Beide seien auch gezwungen, die eigene Identität wieder neu zu finden und sich in der heutigen Gesellschaft zu positionieren.


Theater auch im «normalen» Gottesdienst?

Wie entwickelten sich die ideellen Gemeinsamkeiten im letzten Jahr zu einer konkreten Zusammenarbeit? Alles begann damit, dass Karla Mäder, damalige Dramaturgin des Konzert Theater Bern, auf die Kirche zuging und einen Dialog eingehen wollte. André Flury bezeichnet diesen Moment als «Beginn einer wunderbaren Freundschaft» zwischen Theater und Kirchen. Persönlich führte er den Dialog zur Inszenierung von Kleists «Der zerbrochne Krug».
Flury wurde an die Konzeptionsprobe eingeladen und war beeindruckt von der Professionalität und gleichzeitigen Aufgeschlossenheit der Theaterschaffenden. Adam und Eva aus dem «zerbrochnen Krug» begegneten darauf Adam und Eva aus der Bibel: Mit einer Vortragsreihe in der Pfarrei Dreifaltigkeit wurde der Dialog zunächst auf einer laut Flury «kognitiven Ebene» geführt. Mit den Theatergottesdiensten vergangenen November wagte man schliesslich den Sprung auf eine «ganzheitliche, liturgische Ebene».
Professionelle Schauspieler spielten im Gottesdienst drei Szenen aus dem «zerbrochnen Krug». Gebete, Lieder und Predigt verbanden die Szenen mit der biblischen Lesung und den Menschheitsfragen des Genesisbuches. Die Gottesdienstteilnehmenden seien «sehr beeindruckt» gewesen, sagt Flury. Er habe sehr positive Reaktionen erhalten – von Kritik wegen der ungewöhnlichen Gottesdienstform keine Spur. Die Veranstaltungen in den Kirchen Dreifaltigkeit und St. Marien seien «sehr gut besucht» gewesen. Es sei gelungen, auch Leute anzusprechen, die sonst nicht in die Kirche gingen. Flury kann sich gut vorstellen, theatralische Elemente vermehrt in die «normalen» Gottesdienste einzubauen.
Wir lebten schliesslich in einer «bildgeprägten Zeit», so Flury. Gute Erfahrungen seien schon gemacht worden, wenn Kinder bei der Erstkommunion oder Firmung nicht Verse aufwendig aufsagen müssen, sondern biblische Themen als kleine Theaterstücke aufführten. Damit könnten Kinder ihre Themen und Interpretationen authentisch einbringen und die Gottesdienste zudem um eine «gesunde Portion» Emotionalität ergänzen.


Persönliches Engagement

Von einer blossen Weiterführung des Dialogs von Theater und Kirche kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Kooperation wird vertieft und umfasst allein diesen Herbst neben dem «Hiob» auch die Werke «Das Erdbeben in Chili» von Kleist und die «Töchter des Danaos» von Aischylos. Zudem wird am 7. Februar 2016 im Berner «Haus der Religionen» ein interreligiöses Symposium zum «Hiob» stattfinden, womit neu auch Vertreter der jüdischen Gemeinde und der Muslime mit ins Boot geholt wurden.
An dieser Erweiterung hat die neue Schauspieldirektorin Stephanie Gräve grossen Anteil. Die Zusammenarbeit mit der Kirche war bereits als Chefdramaturgin des Theater Bonn eines ihrer Kernanliegen. «Wie gemein – das ist ja mein Thema», sei ihr erster Gedanke gewesen, als sie davon erfuhr, dass der Dialog in Bern schon besteht. Im Nachhinein habe es sich aber als Segen erwiesen, dass sie sich in ein «gemachtes Nest» setzen konnte. Der persönliche Hintergrund spielt eine nicht unwesentliche Rolle in Gräves Engagement für den Dialog mit der Kirche: Sie ist im nordrhein- westfälischen Duisburg in einem heute als «No-Go-Area» bekannten Quartier aufgewachsen. Sie ist gleichzeitig aber auch Kind eines zutiefst katholischen Milieus. Der Vater war in der katholischen Arbeiterbewegung aktiv und Gräve selbst war im Kirchenchor, im katholischen Jugendverein und hat auf einem kirchlichen Gymnasium ihr Abitur absolviert.
Bereits als 7-jähriges Mädchen war sie Messdienerin, was in dieser traditionell den Knaben vorbehaltenen Domäne ein «Skandal» gewesen sei. Im Rahmen der «üblichen Distanzierung» sei sie mit 18 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Aber ihre Überzeugung, dass Wissen ethisch unterfüttert sein muss, hat Gräve bis heute beibehalten. Ihr positiver Zugang zum Religiösen habe auch damit zu tun, dass sie nie das «Repressive» und «Restriktive» in der Kirche kennengelernt hatte.

Programmhinweise Kirchgemeinden, Pfarreien und Fachstellen beteiligen sich am Dialog mit dem Theater. Den Anfang macht «Hiob» von Joseph Roth am 19. September in der Vidmar 1 in Bern. Es folgen «Die Töchter des Danaos» (Aischylos), «Der gute Mensch von Sezuan» (Brecht), «Nora» (Ibsen), «Die Schutzbefohlenen » (Jelinek) usw. Theatergottesdienste gibt es am 5. Dezember (Dreifaltigkeit) und am 6. Dez ember (Marienkirche Bern). Infos finden Sie auf den Pfarreiseiten oder unter: www.kathbern.ch/kunst www.konzerttheaterbern.ch

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