Während über 15 Jahren hat Robert Messer als Verwalter die Geschicke der Kirchgemeinde Biel und Umgebung entscheidend mitgeprägt. Foto: Niklaus Baschung

„Vertrauen muss man erarbeiten – das benötigt Zeit“

Während über 15 Jahren hat Robert Messer als Verwalter die Geschicke der Kirchgemeinde Biel und Umgebung entscheidend mitgeprägt.

Während über 15 Jahren hat Robert Messer als Verwalter die Geschicke der Kirchgemeinde Biel und Umgebung entscheidend mitgeprägt. Ihm ist ein professioneller Umgang mit dem Personal, eine konsequente Finanzplanung und eine effiziente Struktur der komplexen Organisation Kirchgemeinde zu verdanken. Nun geht er in Pension.

Herr Messer, bei Ihrem Stellenantritt vor fünfzehneinhalb Jahren haben Sie sich als sachlicher Mensch beschrieben, der starke Emotionen als störend empfindet. Wann sind Ihnen trotzdem in den letzten Jahren die Emotionen ausser Kontrolle geraten?

Robert Messer: Emotionen sind nicht dazu geeignet, um lösungsorientiert arbeiten zu können. In einer komplexen Kirchgemeinde wie Biel treffen Profis auf freiwillige Mitarbeiter und hier musste ich in Sitzungen vor allem zu Beginn meiner Tätigkeit den Tarif durchgeben, in welcher Form wir miteinander debattieren, damit wir nicht in den Problemen verharren.

Also da zeigten Sie Emotionen?

Natürlich, dies war notwendig. Es gab Leute, die haben sich ohne jegliche Ahnung und Vorbereitung zu einem Traktandum geäussert oder – was ich überhaupt nicht akzeptieren kann – sich nur destruktiv verhalten.

An was für Situationen denken Sie dabei?

Zum Beispiel hat im damaligen Gesamtkirchgemeinderat Abbé Pierre Girardin ein Anliegen vorgebracht. Er wollte einen Prospekt drucken lassen im Gesamtwert von etwa CHF 4000.--. Das wurde endlos kontrovers diskutiert, die Leute bekamen rote Köpfe, niemand hörte dem anderen mehr zu, eine Einigung war unabsehbar. Da stoppte ich die Diskussion und machte darauf aufmerksam, dass wir mit einer solchen Gesprächskultur auch bei solch kleinsten Projekten nie in die Nähe einer Lösung kommen werden.

Sie mussten damals in vielen Bereichen bei Null anfangen. So gab es zuvor noch keine Mitarbeitergespräche, keine klare Aufgabentrennung zwischen Pastoral, Kirchgemeinderat und der Administration, wenig Bewusstsein für die Gesamtkirchgemeinde. Was empfinden Sie im Nachhinein als Ihre grösste Herausforderung?

Die grösste Herausforderung war, wie langsam Veränderungen möglich sind. Es benötigt einen enormen Aufwand, um Projekte verwirklichen zu können, welche die gesamte Kirchgemeinde und die Pastoral betreffen, also zwei Hierarchien, die gleichwertig nebeneinander bestehen. So wurde in einem ersten erfolglosen, jahrelangen Versuch, ein gemeinsames Logo zu entwickeln, viel Geld, Zeit und Energie versenkt. Ähnliches gilt für das aufwändige Projekt „Kirche Biel 2005“ – als einziges Ergebnis wurde die Gesamtkirchgemeinde aufgehoben und dafür eine Kirchgemeinde mit sechs Zentren eingerichtet. Die Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen der Pastoral und der Behörde, zwischen den verschiedenen Sprachgruppen hat sich erst mit der Zeit verbessert, nach gemeinsamen Retraiten und dem Beizug von Mediatoren. Der Erfolg der Zusammenarbeit hängt davon ab, ob die beteiligten Personen bereit sind, zuzuhören und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen.

Einzigartig an der Kirchgemeinde Biel und Umgebung ist ihre mehrsprachige, multikulturelle Zusammensetzung. Was hat dies für Ihre Arbeit bedeutet?

Herkunftmässig habe ich halb schweizerdeutsche, halb italienische Wurzeln, zudem französischsprachige Verwandten – deshalb gehört für mich das Multikulturelle zur Normalität. Doch auf diese sprachkulturellen Unterschiede musste ich als Verwalter eingehen. Deshalb habe ich oft den direkten Kontakt gesucht, statt nur eine Mail zu versenden. Bei dieser Begegnung kommt auch Persönliches zur Sprache, bevor dann das Geschäftliche behandelt wird. So konnte ich Vertrauen aufbauen. Denn Vertrauen muss man erarbeiten – das benötigt Zeit.

Ein besonderes Anliegen ist Ihnen die Wertschätzung der Mitarbeitenden. Weshalb?

Wenn die Kirchgemeinde sich weiterentwickeln will, dann geht dies nur über ihre Mitarbeitenden. Das ist ihr grösstes Kapital. Ein motiviertes Personal kann ihre Talente einbringen. Wir arbeiten zudem in einem kirchlichen Unternehmen, wenn wir hier nicht eine wertschätzende Grundhaltung miteinander pflegen, dann sind wir völlig unglaubwürdig.

Umgekehrt fühlen sich viele Mitarbeitende mit ihnen als wohlwollende Ansprechperson emotional verbunden. Was bedeutet Ihnen diese Anerkennung?

Das motiviert mich für die tägliche Arbeit. Das zeigt mir, dass wir einen Umgang pflegen, welcher dem Unternehmen Kirche und ihrer Werte entspricht. Wir haben - im Unterschied zu den meisten Unternehmen - mit der Bibel eine entsprechende Gebrauchsanleitung. Allerdings stellen wir immer wieder fest, dass in der Kirche das gesamte Gesellschaftsspektrum vertreten ist.

Praktisch in jeder Kirchgemeindeversammlung haben Sie vor den knapper werdenden Geldern gewarnt. Bislang hat sich aber noch nie ein grösseres Finanzloch gezeigt. Sind Sie bewusst in diesem Bereich etwas übervorsichtig?

Es gibt verschiedene Gründe für meine Warnungen: Bevor ich meine Tätigkeit begonnen habe, hatte die Kirchgemeinde Schulden von 1,5 Millionen Franken. Dann schwankten die Steuereinnahmen nicht immer vorhersehbar zwischen 6 und 8 Millionen in den letzten zehn Jahren. Ein Drittel dieser Einnahmen stammt von juristischen Personen, die besonders schnell auf wirtschaftliche Entwicklungen reagieren und sehr unterschiedliche Steuerbeträge entrichten (zwischen 0,9 und 2.4 Millionen Franken). Da Steuererhöhungen ein Tabu sind, suchen wir den Mittelweg bei der Budgetierung und rechnen mit einem durchschnittlichen Ertrag, Damit sind wir gut gefahren – auch weil die pastoral Verantwortlichen ihre Angebote gezielter der Nachfrage und den vorhandenen Ressourcen anpassen.

Relativ viele Gelder benötigen der Unterhalt und die Investition in die drei Pfarreizentren der Stadt Biel. Werden es in zehn Jahren immer noch drei Zentren sein?

In zehn Jahren wird es in Biel immer noch drei Pfarreizentren geben. Seit 2008 nimmt die Zahl der Kirchenmitglieder in Biel zu, vor allem dank der spanisch- und portugiesischsprachigen Migranten, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns ziehen. Die Altersstruktur der regelmässigen Gottesdienstbesucher und -besucherinnen hingegen spricht dafür, dass in fünfzehn Jahren die Kirchen ziemlich leer sein werden. Daher gilt es jetzt schon, die Raumnutzung zu optimieren. In zehn Jahren wird es noch alle Angebote geben – vielleicht aber an einem anderen Ort.

Sie selber haben sich als engagierter Christ auch als Freiwilliger in der Kirche engagiert. Wo kann die Kirche in Biel noch bewusster ihren christlichen Glauben sichtbar machen?

Es ist wichtig, die kirchlichen Strukturen möglichst schlank zu halten, damit die vorhandenen Ressourcen vor allem der pastoralen Arbeit zugutekommen. Die Kirche kann nur überleben, wenn sie den christlichen Glauben, für welchen sie einsteht, auch lebt und sie näher bei den Menschen ist. Wer die Werte, die er angeblich vertritt, nicht lebt, ist unglaubwürdig. Daher ist entscheidend, dass die kirchlichen Mitarbeitenden im Alltag ihren Glauben und ihre Werte sichtbar machen.

Zum Abschluss des Gesprächs möchte ich Ihnen noch zwei Wünsche offen lassen. Was wünschen Sie der Kirchgemeinde Biel und Umgebung?

Bei den Verantwortlichen in der Pastoral wird es personell in nächster Zeit in mehreren Sprachgruppen Veränderungen geben. Ich wünsche mir, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden im sogenannten „Atelier de travail“ weiterhin funktioniert; dass die Leute zusammen sprechen auf konstruktive Weise, diskutieren, aufeinander hören und sich nicht gegenseitig bekämpfen.

Was ist das „Atelier de travail“?

Im „Atelier des travail“ treffen sich die Mitglieder des Kirchgemeinderates und die pastoral Verantwortlichen. Sie befassen sich mit Lösungen für Anliegen der Kirchgemeinde. Ich spreche hier ungern von Problemen, die sind rückwärts gerichtet. Lösungen orientieren sich nach vorne. Zum Beispiel: Wie können wir in Zukunft den Finanzhaushalt im Gleichgewicht behalten? Oder: Wie können wir über die vier Sprachpastoralen im Konsens mit den Behörden eine einheitliche Vision bilden?

Was wünschen Sie sich selber?

Ich habe in den vergangenen fünfzehneinhalb Jahren sehr viel Zeit und Energie für die Kirchgemeinde aufgewendet. Dies war nur mit der Unterstützung meiner Frau möglich. Ich möchte versuchen, ihr etwas davon zurück zugeben. Für mich selber wünsche ich Zeit, die ich selbstbestimmt gestalten kann. Ich besuche wieder gerne, was ich aus gesundheitlichen Gründen lange Zeit nicht konnte, Konzerte mit kirchlicher Musik und Ausstellungen.

Herr Messer, das wünsche ich Ihnen ebenfalls und danke für das Gespräch.

Interview: Niklaus Baschung

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