Judith von Rotz, Bern. Theologin, Mitarbeiterin der Fachstelle Kirche im Dialog, Bern, für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sowie den interreligiösen Dialog.
Guido Lauper, Spiez. 25 Jahre «Hüttenwart» und Sekretär der Pfarrei Spiez, pensioniert. Er erhielt einen Umweltschutzpreis und schweizweite Aufmerksamkeit für seinen Dauereinsatz, das Kirchenzentrum Bruder Klaus Spiez nach ökologischen Kriterien zu betreiben.
Franz Xaver Stadelmann, Köniz. Dr. rer. nat., ehemaliger Leiter Institut für Umweltschutz und Landwirtschaft IUL Agroscope Liebefeld-Bern, Vorstandsmitglied oeku, Mitglied des Grossen Kirchenrates und Pionier des ökologischen Handelns der katholischen Kirche Region Bern.

Viel Rückenwind

Im Garten der Studierendenseelsorge in Bern trafen sich zwei Öko-Pioniere und eine Theologin zu einem «pfarrblatt»-Gespräch über die neue Enzyklika «Laudato si» von Papst Franziskus.


«pfarrblatt»: Franz Xaver Stadelmann und Guido Lauper. Sie beide sind Pioniere des kirchlichen Umweltschutzes. Sie müssten entzückt sein ob der neuen Enzyklika.

Franz X. Stadelmann: Ich bin enorm glücklich. Vor allem der positive Ansatz hat mich begeistert. Wenn in der Politik Umweltschutz verhandelt wird, geht man meist von Katastrophenszenarien aus, Stichworte Fukushima, Schweizerhalle. Die Wurzel des Handelns ist Angst. Anders Papst Franziskus. Er bringt die Schönheit der Schöpfung, der Natur ins Spiel, die Vielfalt, an der man sich freuen darf und verweist auf unsere Verantwortung, dazu Sorge zu tragen. Seine Motivation ist also nicht Angst, sondern die Schönheit der Schöpfung.

Guido Lauper:
Vor dreissig Jahren wurde ich noch ausgelacht für meine  verschiedenen ökologischen Initiativen. Noch kürzlich hat mir ein Theologe  gesagt, Umweltschutz gehöre nicht in die Kirche. Da ist jetzt dieses Schreiben schon eine Anerkennung für die jahrelangen Bemühungen für den  Umweltschutz. Und das von einem Papst, der breite Anerkennung findet, weit   über die Kirche hinaus. Wir können nicht am Sonntag in der Kirche beten und am Werktag die Umwelt zerstören.

Judith von Rotz:
Der Papst vollzieht zudem einen wichtigen  Perspektivenwechsel. Aus der Sicht des Südens betrachtet er nicht einfach die  Klimafrage, sondern betont ihre untrennbare Verbundenheit mit der weltweiten Ungerechtigkeit. Er verweist auf die Armen als Erstbetroffene vom Klimawandel, auf die schwindenden Wasserressourcen beispielsweise. Seine Enzyklika gibt  viel Rückenwind für verschiedene ökologische und soziale Initiativen.

Franz X.  Stadelmann:
Die Medien haben Franziskus als ersten grünen Papst bezeichnet, aber sein Schreiben leider auf Umweltschutz verkürzt. Es ist, wie   Judith mit Recht eingeworfen hat, mehr, eine ganzheitliche öko-soziale    Enzyklika. Er thematisiert den Zusammenhang von Umwelt und  Menschenwürde, zeigt den Einfluss der Umweltzerstörung auf Migration und  Flucht und verweist nachdrücklich auf Nachhaltigkeit, auch für künftige  Generationen.

Guido Lauper: Allerdings habe ich Angst davor, dass es mit dem Schreiben  zugeht wie damals mit den Aufbrüchen nach dem zweiten Vatikanischen Konzil.  Die Geistlichkeit führte schöne theologische Gespräche, brach die Thematik aber nicht aufs Volk herunter.

Judith von Rotz: Immerhin hat jetzt der Papst die Bischofskonferenzen in den verschiedenen Ländern verbindlich an die Thematik gebunden und aufgerufen,  initiativ zu werden. Politik ist damit definitiv ein Thema der Kirche.

Franz X. Stadelmann: Kürzlich fand ein Gespräch des ökumenischen Vereins «oeku» Kirche und Umwelt mit Bischof Felix Gmür, der in der Bischofskonferenz  für Umweltfragen zuständig ist, statt. Er schätzt die jährlich von der «oeku»  herausgegebenen Materialien zur Schöpfungs-Zeit. Bereits heute empfiehlt die Bischofskonferenz, im liturgischen Kalender das Thema «Schöpfung» vom 1. September bis 4. Oktober in der Liturgie zu feiern.

Guido Lauper: Ich erlebte als Sakristan in Spiez noch, dass die Geistlichkeit erklärte, sie habe keine Zeit, Abfälle zu trennen, und deshalb alles wegwarf.  Das aber sehen die Leute. Die kirchlichen Angestellten sind Vorbilder.

Franz X. Stadelmann: Du warst für uns mit deinem Engagement für die Kirche  Spiez absolut ein Vorbild, Guido. Wir haben einige deiner Ideen in St. Josef  Köniz umgesetzt. Angestossen auch von der Aktion «Das Recht auf Nahrung  braucht ein gutes Klima» von Fastenopfer und Brot für alle 2009 wollten wir  etwas Konkretes tun. Ein Beispiel: Unsere Kirche in Köniz besitzt beim Eingang  keine Schleuse. Im Winter ging viel Energie verloren, dadurch, dass  Gottesdienstbesucher das Haupttor benützten. Wir schlossen diesen Eingang  im Winter und liessen die Leute indirekt durch das Foyer in die Kirche eintreten.  Wir sparten mit dieser kleinen Massnahme viel Heizenergie und bewirkten erst   noch verschiedene soziale Kontakte, weil man im Foyer noch plauderte und  nach dem Gottesdienst einen Kaffee trank.

Guido Lauper: Das freut mich zu  hören. Auch wir konnten in Spiez den  Ölverbrauch von 28 000 Liter auf 8000 verringern. Ökologisches Verhalten spart  Geld. Wir haben die Wiesen um das Kirchenzentrum herum wachsen    lassen und mähen nur noch zweimal im Jahr. Früher geschah das jede Woche in  acht Arbeitsstunden. Wegen der beruflichen und privaten Massnahmen   erhielt ich von der Gemeinde Spiez einen Umweltschutzpreis. Weder Pfarrei-  noch Kirchgemeinde-Verantwortliche äusserten sich je dazu.

In den 90er Jahren war Ökologische Theologie ein wichtiges Thema. Hat die Theologie die    Nachhaltigkeit des Themas verpasst?

Judith von Rotz: Nein, ich glaube es hat sich doch einiges verändert. Heute rechtfertigt kaum mehr jemand die Ausbeutung der Natur mit dem biblischen  Bild ‹macht euch die Erde untertan›. Es geht um das Behüten und das Sorge   Tragen. Fastenopfer und Brot für alle haben das Klima und dessen soziale  Auswirkungen in den letzten Jahren stark gewichtet. Und es wuchs, wenn auch langsam, die Erkenntnis, dass Schonung der Umwelt nicht nur punktuelle  Askese und Verzicht meint. Das Bewusstsein, dass alles miteinander verbunden ist, muss uns zu einem neuen Lebensstil führen. Das ist auch eine  Grundbotschaft der Enzyklika. Mit einem bequemen Mittelweg gehe es nicht  mehr. Damit sei der Kollaps nicht aufzuhalten. Die Kirche muss sich in die Umweltpolitik einmischen und sich konkret engagieren. Franziskus zitiert Initiativen von Bischofskonferenzen aus verschiedensten Ländern.

Franz X. Stadelmann: Es braucht eine Vernetzung ganz verschiedener Disziplinen wie Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Politik und Kirchen, damit  etwas Kräftiges erreicht werden kann. Der Papst braucht das Wort Dialog  ziemlich oft. In Bern bedeutet Dialog: Die Seelsorge und die Kirchgemeinden in   Bern haben sich in der Gesamtkirchgemeinde zusammengetan und das   ökologischen Handeln ausdrücklich als ein Legislaturziel erklärt. Kaum ein Bau  heute in der Region Bern, der nicht auf die Umweltverträglichkeit geprüft ist,  saniert wird und durch Wärmedämmung, Energiesparmassnahmen,   Solartechnik usw. zur Energieeffizienz beiträgt.

Guido Lauper: Es wäre auch an  der Zeit, sich über Konfessions- und  Parteigrenzen hinweg einander nicht gegenseitig auszuspielen. Wir sollten  beispielweise mit den Grünen zusammenarbeiten.

Judith von Rotz: Diese  Vernetzung ist auch dem Papst wichtig. Er spricht oft  von der Menschheitsfamilie, die Gläubige und Nichtgläubige umfasst zu Gunsten des Friedens und der Gerechtigkeit, oder eines guten Lebens für alle.

Franz X. Stadelmann: Ja, dass der Papst sogar die Bewegung GFS, also  Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aus den 80er Jahren wieder aufgreift, stimmt mich zuversichtlich. Dieses Engagement damals war  also nicht umsonst.

Der Papst betont auch ganz stark den Zusammenhang der  menschengemachten Klimaveränderung und der Flüchtlingsströme. Wäre es an  der Zeit, kirchliche Zentren nicht nur ökologisch zu betreiben, sondern allenfalls für Flüchtlinge bereit zu halten?

Franz X. Stadelmann: Flucht hat ganz verschiedene Ursachen: Diktaturen,  Stammeskämpfe, Religionskonflikte, Hunger, aber eben auch Umwelteinflüsse,  Dürren, Überschwemmungen, die wir mit unserem Konsumverhalten und der  Energieverschwendung mitverantworten. Wir sind verpflichtet, mehr Flüchtlinge aufzunehmen – warum nicht auch in Kirchenzentren – und auch in den Ländern vor Ort wirtschaftliche Perspektiven für die Menschen aufbauen zu helfen.

Guido  Lauper: Allerdings fühle ich mich schon etwas ratlos. Wie diese grosse Anzahl Flüchtlinge aufnehmen, unterbringen, verpflegen, ihren Kehricht   entsorgen? Ich verstehe die Sorgen der Leute.

Franz X. Stadelmann: Du hast Recht, auch hier werden die Menschen nicht richtig mitgenommen. Wir brauchen viel Kreativität und Fantasie. Dazu  ermuntert der Papst. Es geht auch hier nicht ohne die Veränderung unseres  Lebensstils.

Judith von Rotz: Wir verdrängen diese Frage auch oft. Die Flüchtlinge stehen vor der Tür. Im Herbst sind Wahlen. Neben dem eigenen Handeln ist das eine   Möglichkeit, Politikerinnen und Politiker, die Kreativität und öko-soziales Gewissen zeigen, zu unterstützen.


Interview und Fotos: Jürg Meienberg

«Laudato si» – die neue
Enzyklika des Papstes
«Ich lade euch dringlich zu einem neuen
Dialog
ein über die Art und Weise, wie wir
die Zukunft unseres Planeten gestalten.» So
Papst Franziskus in seiner neuen Enzyklika.
Als Anstoss zum Dialog ist das neue Schreiben
von Papst Franziskus gedacht. Diesen
Dialog nehmen im «pfarrblatt» zwei Öko-
Pioniere und eine Theologin konkret auf.
Sie erinneren sich an Erreichtes, Vergessenes
und skizzieren zukünftige Schritte.
Den Text der Enzyklika, Kommentare und
Lesehilfen unter www.pfarrblattbern.ch
Rund 600 Kirchgemeinden, kirchliche
Organisationen
und Einzelpersonen sind
Mitglieder des Vereins «oeku Kirche und
Umwelt», der 1986 gegründet wurde.
Materialien
zu «SchöpfungsZeit» und zur
Enzyklika unter www.oeku.ch jm

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