Viele reden von den Kindern

Pro und contra «Ehe für alle»

Am 26. September wird in der Schweiz über die «Ehe für alle» abgestimmt. Die Annahme dieser Vorlage würde allen Paaren ermöglichen, zivilrechtlich zu heiraten, unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung.

Von Andreas Krummenacher

Ehen sind in Europa seit der Antike belegt. Von Liebe war zu Beginn nur am Rande die Rede. Wichtiger war Beständigkeit, wirtschaftlich, für den Familienverbund und für das Staatswesen. Die Kirche kam erst später ins Spiel. Frühchristliche Priester segneten Paare. Erst 1267, beim Konzil von Lyon, wurde die Ehe als eines der sieben Sakramente definiert. Es galt, Sex in geordnete Verhältnisse zu packen. Die Kirche wurde nun über Jahrhunderte zur Autorität und Polizei. Es hiess fortan, «bis dass der Tod euch scheidet». Geschlechtsverkehr vor der Ehe war verboten, Kinder aus nichtehelichen Verhältnissen wurde grausames Unrecht angetan. Zudem ist das Schutzalter sehr tief – noch heute sind in der katholischen Kirche Mädchen mit 14 und Knaben mit 16 Jahren ehefähig.

Wieso heiraten?

Ganz einfach: Die Ehe an sich soll gesund sein. Das jedenfalls suggerieren zahlreiche medizinische Studien. Wundheilung erfolgt bei glücklich verheirateten Menschen schneller, Krebs wird früher erkannt, Verheiratete leben länger, besonders die Männer. Es gibt weniger Diabetes, Depressionen oder Demenz. Allerdings nimmt die Fitness ab und das Gewicht zu, und unglückliche Ehen machen krank. Insgesamt aber, so die Medizin, hat die Ehe viele beruhigende, positive Effekte. Elternschaft und Sorgerecht sind geregelt, die Erbschaft auch. Das Gefühl von Verbindlichkeit ist in einer Ehe möglicherweise grösser.

Situation heute

Seit 2007 können gleichgeschlechtliche Paare ihre Partnerschaft eintragen lassen. 651 Mal wurde das im letzten Jahr getan. Rechtlich und symbolisch ist eine eingetragene Partnerschaft nicht identisch mit einer Ehe. Ein Ja zur Abstimmungsvorlage «Ehe für alle» würde ermöglichen, dass künftig alle Menschen, egal welcher sexuellen Orientierung, heiraten dürfen. Eingetragene Partnerschaften könnten weitergeführt oder in eine Ehe umgewandelt werden. Hetero- und homosexuelle Ehepaare wären dann institutionell und rechtlich gleichgestellt.

Was ändert ein Ja?

Nach einer Annahme der Vorlage «Ehe für alle» am 26. September würden Frauenpaare Zugang zur Fortpflanzungsmedizin erhalten, und ausländische Partner*innen könnten sich erleichtert einbürgern lassen. Auch homosexuelle Paare würden Kinder adoptieren dürfen. Bislang war ausschliesslich die Stiefkindadoption, also die Adoption des eigenen Kindes des Partners oder der Partnerin, möglich. Bei Kindern gleichgeschlechtlicher Paare würde künftig die Elternschaft des nicht biolo-gischen Elternteils ab Geburt anerkannt. Die anonyme Samen- oder Eizellenspende sowie die Leihmutterschaft bliebe für alle weiterhin verboten.Die genannten Veränderungen nach einer An-nahme der Vorlage sind in beiden Kammern des Schweizer Parlaments unbestritten. Ein überparteiliches Komitee von vornehmlich EDU- und SVP-Mitgliedern hat jedoch das Referendum ergriffen. Führende Köpfe sind Verena Herzog (SVP), Daniel Frischknecht (EDU) und Marco Romano (Mitte).

Bischöfe sagen Nein

Auch die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) ist gegen die Vorlage. In einer Mitteilung schreiben die Bischöfe: «An erster Stelle möchte die SBK hier betonen, dass ihr die Notwendigkeit einer Bekämpfung von Diskriminierung jeglicher Art besonders am Herzen liegt.» Man sei aber gegen die «Ehe für alle». Für gleichgeschlechtliche Paare hätte man es bevorzugt, dass die geltende Gesetzgebung im Hinblick auf die registrierte Partnerschaft angepasst worden wäre. Dies vor allem, so die SBK, im Hinblick auf rechtliche Gleichstellung, insbesondere im Bereich des Bürgerrechts und der Hinterlassenenrente.

Die Bischöfe erwähnen dann sehr schnell das Thema Kinder. Selbst die Zivilehe sei letztlich auf die «Familiengründung ausgerichtet». Gleichgeschlechtliche Paare müssten dafür auf die Fortpflanzungsmedizin zurückgreifen, und diese lehne die SBK generell ab, «auch für heterosexuelle Paare». Diese würde nämlich «Keimzellenspenden erfordern und im Widerspruch zu den Rechten des Kindes stehen», so die SBK. «In Unkenntnis der Abstammung» lasse sich eine eigene Identität nur mit Mühe aufbauen.

Der katholischen Kirche sei ausserdem hauptsächlich das Sakrament der Ehe anvertraut: «Sie feiert dabei vor Gott die Vereinigung von Mann und Frau als in Liebe angelegtes gemeinsames, stabiles und für die Fortpflanzung offenes Leben.» Die SBK erwähnt das, weil sie sich an der Verwendung des Begriffs «Ehe» stört. Damit würde alles gleich, aber diese Gleichheit könne es gar nicht geben. Man solle die Diversität berücksichtigen, «um Unterschiede in Gleichheit zu leben».

«Den Kindern eine Stimme geben»

Die SBK trifft sich in ihrer Argumentation sehr gut mit dem gegnerischen Komitee. Die Berner SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler etwa ist gegen die «Ehe für alle». Auf Anfrage sagt sie sogar, den Initiant*innen gehe es gar nicht um die Ehe, sondern hauptsächlich um Adoption und Samenspende. Die Initiative müsste vielmehr «Kinder für alle» heissen, so Andrea Geissbühler. Am Ende stehe dann die Leihmutterschaft, davon sei sie überzeugt.

«Jeder soll mit dem Menschen zusammenleben, den er oder sie liebt und mit dem man glücklich ist», hält Andrea Geissbühler fest. Man hätte also bloss die eingetragene Partnerschaft anpassen können. Jetzt aber seien Kinder betroffen. Diese hätten keine Stimme. Darum engagiere sie sich im gegnerischen Komitee. Wir seien auf dem Weg hin zu einer vaterlosen Gesellschaft. Diese würden nämlich im Zivilgesetzbuch abgeschafft, Kinder wüchsen ohne Vater auf. Erst ab 18 Jahren würden sie ihre biologische Herkunft erfahren. «Jede Person aber sucht die eigene Identität, und dazu gehören Mutter und Vater. Fehlt der Vater, gibt es eine Leerstelle. Für die Entwicklung ist gerade in der Pubertät der Vater zentral.»

Nach einer Scheidung seien heute fast immer weiterhin beide Elternteile präsent. Das sei also kein Vergleich. Stattdessen geht Andrea Geissbühler einen Schritt weiter und befürchtet eine Ausweitung des Kinderhandels. Es gebe mit der Annahme der Vorlage mehr Menschen, die Kinder adoptieren dürften, die Nachfrage steige. Ihre Quintessenz: «Niemand hat das Recht auf ein Kind. Den Kindern aber wird mit dieser Vorlage das Recht auf Mutter und Vater genommen.»

Frauenbund sagt Ja

Hier setzt die Kritik von Sarah Paciarelli an, Verantwortliche für Kommunikation und Bildung beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF). Dieser hat für die Vorlage zur «Ehe für alle» die Ja-Parole ausgegeben. Sarah Paciarelli schreibt auf Anfrage, die Gegner*innen würden die Debatte «bewusst auf den Zugang zur Samenspende für lesbische Paare verengen und argumentieren damit, dass es ‹kein Recht auf Kinder gebe›».
Das geltende Recht aber erlaube es heterosexuellen Paaren schon heute, auf diese Weise eine Familie zu gründen. Auch existierten Regenbogenfamilien ohne adäquate rechtliche Absicherung. «Wem das Kindswohl wirklich am Herzen liegt, engagiert sich dafür, dass die Beziehung von Kindern zu ihren tatsächlichen Bezugspersonen gesetzlich abgesichert werde», so Sarah Paciarelli.

Für den SKF setze «die Gleichstellung homosexueller Menschen einem Demokratiedefizit ein Ende, ganz so wie die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts vor 50 Jahren.» Die «Ehe für alle» sei ausserdem keine Minderheitenpolitik, sondern eine wichtige demokratische Errungenschaft. Das gehe uns alle etwas an, erklärt Sarah Paciarelli. Für die Kommunikationsverantwortliche des Katholischen Frauenbundes ist es auch kein Problem, dass die Haltung des SKF jener der Bischofskonferenz widerspricht. Die katholische Kirche bestehe nicht nur aus Klerikern, sondern aus der «Gemeinschaft aller Getauften».

Sarah Paciarelli schreibt: «Wir verstehen uns ganz klar als katholische Organisation, die für eine gerechte und glaubwürdige Kirche, für alle Menschen einsteht – unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung.» Die Reaktionen auf diese Ja-Parole zur «Ehe für alle» seien zudem «überwältigend und überwiegend positiv». Die Videobotschaft mit Statements des SKF-Vorstands habe sehr viel Zuspruch erhalten, besonders in den sozialen Medien. «Viele reagieren überrascht, weil sie eine solch progressive Haltung nicht von einer katholischen Organisation erwarteten und den SKF nicht kannten.» Sie würden, so Sarah Paciarelli, ausserdem viele Rückmeldungen von Menschen aus der LGBTQIA-Community erhalten. Diese seien dankbar für das Engagement des SKF.

 

Ehe & Co.: Zahlen
2020 gab es in der Schweiz etwas mehr als 35 000 Eheschliessungen. Frauen waren dabei durchschnittlich 30, Männer 32 Jahre alt. Dazu kamen knapp 700 eingetragene Partnerschaften. Werden Paare geschieden, passiert das aktuell nach 15,6 Jahren. Insgesamt gab es im letzten Jahr 16'200 Ehescheidungen. Das entspricht einer Scheidungsrate von knapp 40 Prozent. 12'600 Kinder aus diesen Ehen waren zum Zeitpunkt der Scheidung unmündig. Man geht zudem davon aus, dass es in der Schweiz rund 30 000 Kinder in gleichgeschlechtlichen, sogenannten Regenbogenfamilien gibt. Deren rechtlicher Status ist oft ungewiss.

 

Buchtipp:

«Ehe für alle» und die Kirchen

Mit der «Ehe fu?r alle» du?rften auch gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz heiraten. Fu?r viele Kirchen ist dies eine Herausforderung: Was bedeutet diese gesellschaftliche Vera?nderung fu?r das Versta?ndnis von Ehe, wie es die biblischen Texte und auch die Lehre der Kirchen seit Jahrhunderten pra?gt?

Die mehrheitlich evangelisch-reformierten Autor*innen geben Einblick in den aktuellen Stand der Diskussion in Theologie, Kirche und Gesellschaft, aus der Perspektive verschiedener theologischer Disziplinen und den Sozialwissenschaften. Katholischerseits nimmt Manfred Belok, Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Hochschule Chur, Stellung.

Hinweis: <link https: www.tvz-verlag.ch buch gleichgeschlechtliche-liebe-und-die-kirchen-9783290183660 external link in new><link https: www.tvz-verlag.ch buch gleichgeschlechtliche-liebe-und-die-kirchen-9783290183660 external link in new>Gleichgeschlechtliche Liebe und die Kirchen – zum Umgang mit homosexuellen Partnerschaften. Michael U. Braunschweig, Isabelle Noth und Mathias Tanner (Hrsg.). Theologischer Verlag Zu?rich 2021, Fr. 29.80

 

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