Plädiert für eine diakonale Kirche: Barbara Hallensleben. Foto: zVg

Von den Rändern her denken

Theologieprofessorin Barbara Hallensleben zum synodalen Weg

Papst Franziskus startet weltweit einen synodalen Prozess. Jeder Bischof soll Verantwortliche ernennen. Die Dogmatikerin Barbara Hallensleben schlägt Menschen mit diakonischer Erfahrung und Menschen am Rand vor – und nicht Kirchenfunktionäre.

Interview: Raphael Rauch, kath.ch

Kath.ch: Übertreibt das britische Magazin «Tablet», wenn es den weltweiten synodalen Weg als grösstes katholisches Ereignis seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil beschreibt?

Barbara Hallensleben*: Die erste Pressemeldung, die ich las, stammte von «La Croix International» und trug den Titel: «A papal bombshell or a huge flop?», also: Eine «Bombennachricht» oder ein grosser Flop? Mir sagt diese nachdenkliche Überlegung mehr zu. Synodalität hat eine doppelte Bedeutung: einerseits ist es eine Definition der Kirche, die als pilgerndes Gottesvolk gemeinsam auf dem Weg ist. Andererseits ist es ein Ausdruck für eine bestimmte Beratungs- und Entscheidungsstruktur, die das tagtägliche synodale Leben der Kirche unterbricht: Man setzt sich zusammen – oder auseinander –, um anstehende Frage zu klären. Das kann den Weg der Kirche beflügeln oder hemmen.

Papst Franziskus eröffnet den synodalen Prozess am 9. und 10. Oktober 2021. Rechnen Sie mit einer programmatischen Ansprache? Oder hat Papst Franziskus alles gesagt, was zu sagen ist – und will dem weiteren Prozess nicht vorweggreifen?

Papst Franziskus ist immer für Überraschungen gut. Natürlich wird er sich äussern! Nur so kann diese Synode vor der Synode ein Gesicht behalten!

Beim synodalen Weg soll sich jeder einbringen können. Wenn sich jemand weder über die Kirchenpflege noch über seinen Bischof repräsentiert fühlt: Wie kann er trotzdem mitmachen?

Realistisch betrachtet: gar nicht! Der jetzt eingeleitete Prozess wird de facto die vorhandenen kirchlichen Strukturen favorisieren. Schon aus Zeitgründen ist das gar nicht anders möglich. Das aber steht in Spannung zu der Dynamik der Peripherie, die der Papst mit aller Kraft fördert. Er sagt doch: Geht an die Ränder, setzt euch den Erfahrungen des Fremden aus. Die jetzt geplanten Strukturen könnte die Kirche an sich selbst und an das Bestehende fesseln – das ist meine grösste Sorge.

Jeder Bischof soll einen diözesanen Verantwortlichen oder gar ein Team für die synodale Konsultation ernennen. Bei wem wäre das auf Ebene der Schweizer Diözesen am besten aufgehoben?

Bei Aussenseitern. Ich denke an einen Diakon, der als Gefängnisseelsorger arbeitet, eine Sozialarbeiterin in einem Migrantenzentrum, eine alleinerziehende Mutter, einen Protestanten und einen orthodoxen Christen – oder warum nicht gleich ein Gefangener, eine Migrantin, die unsere Landessprachen nicht kennt, die heranwachsenden Kinder der alleinerziehenden Mutter? Aber das wird nicht passieren, schon deshalb nicht, weil diese Menschen ihren Alltag nicht unterbrechen können.

Franziskus liebt empirische, soziologische Methoden. Er hat nicht nur eine Vision, wo es hingehen soll – sondern möchte auch wissen, wo sich die Menschen bereits befinden. Deswegen gibt es im Herbst eine Umfrage. Überzeugt Sie das?

Es geht weder um die Empirie noch um die Soziologie als solche. Papst Franziskus liebt die empirischen Menschen und die soziologische Realität, weil er weiss: Hier und jetzt sind der Ort und die Zeit, um dem lebendigen Gott zu begegnen. Die Zukunft planen zu wollen, könnte uns davon ablenken, dass die Zeit der Gnade immer der Augenblick ist. Er ist das Tor zu der Zukunft, die in Gottes Händen liegt. Ja, das überzeugt. Die Umfrage überzeugt mich aber nicht. Sie erreicht wenige und trennt die Antworten von den Menschen. Umfragen sind nicht synodal. Wie sollten sie Statistikern überlassen.

Sie haben die Ökumene im Blick. Wo liegen hier Chancen?

Die jetzige Einladung sieht nach einem innerkatholischen Prozess aus. Dabei erschliesst gerade eine ökumenische Synodalität neue Chancen. Auf diese Weise könnten die theologischen Konsensdokumente der Ökumene sich in einen Prozess gradueller gegenseitiger Anerkennung des gemeinsamen Kircheseins verwandeln. Der Kairos für diesen nächsten Schritt der Ökumene ist gekommen – und das innovative Potential scheint mir grösser als in einem jahrelangen innerkatholischen Prozess.

Und wo liegen Risiken?

Alle neuen Schritte sind immer ein Risiko. Wollen wir zur Sicherheit alle zu Hause bleiben wie in COVID-Zeiten?

Was kann am Ende rauskommen? Richtig Handfestes – oder eher ein diffuses Stimmungsbild?

Je weniger wir das jetzt wissen, desto grösser die Chance, dass etwas wirklich Neues entsteht. Veni, Sancte Spiritus!

Priesterlicher Zölibat und ein Priestertum der Frauen «sind nicht die Probleme, die die Kirche und die Menschheit heute plagen», sagte der italienische Kardinal Gualtiero Bassetti. Laut dem Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz sind die «wirklichen Probleme Kindererziehung, Arbeit, Familie». Aber ganz ehrlich: Für Kindererziehung, Arbeit und Familie wartet niemand auf Rom. Das können Laien seit langem besser. Ist der synodale Weg ein interkulturelles Missverständnis? Schweizer*innen hoffen auf grundlegende Reformen.

Wenn ich als Christin und als Dogmatikerin richtig informiert bin, ist Jesus gekommen, um den Menschen und die Schöpfung zu erlösen und der gesamten Welt eine grosse Hoffnung zu geben. Alle Religionen bis hin zum Transhumanismus sagen: Das eigentliche Problem ist der Tod mit seinen Vorboten in Armut, Hunger, Hass, Krieg, Krankheit, Gewalt und allen Arten von Leiden.

Worauf wollen Sie hinaus?

Während wir dieses Interview führen, stirbt alle zehn Sekunden weltweit ein Kind an Hunger. Wenn wir für einen Moment unsere Wohlstandsprobleme vergessen, dann tauchen die Abgründe der menschlichen Existenz und des bedrohten Planeten wieder auf. Es gibt nur ein Thema, das die Kirche einzigartig macht: gerettetes Leben, ewiges Leben durch und in Gott als Schöpfer, Erlöser und Vollender. Das ist die grundlegende Reform!

Sind psychische Leiden von Frauen, die nicht Priesterinnen werden können, oder Suizide von jungen Schwulen für Sie Wohlstandsprobleme?

Das sind Themen für weitere Interviews, zu denen ich gern bereit bin. Die Frauen und die jungen Schwulen, von denen Sie sprechen, brauchen Lebensperspektiven statt Ausgrenzung.

Welcher Aspekt erscheint Ihnen sonst noch wichtig?

Ich setze viel Hoffnung auf die bevorstehende Prüfung des Diakonats der Frauen. Hier wird zugleich und als erstes die Frage nach einer diakonalen Kirche neu zu stellen sein. Vielleicht wird ein Berufungsweg mit einer «Unterscheidung der Geister» entstehen? Die diakonale Kirche könnte uns wieder in eine zentrifugale Bewegung bringen und an die Peripherien führen.

Sie sind Mitglied einer Kommission, die im September in Rom den Frauendiakonat prüft. Heisst das, Sie werden sich für den Frauendiakonat stark machen?

Ich plädiere für eine diakonale Kirche und bin zuversichtlich, dass sie den Platz für den diakonalen Dienst von Frauen entdecken wird!

 

* Barbara Hallensleben (64) ist eine Theologin von Weltruf. Sie ist Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene in Freiburg. Sie ist Konsultorin des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Mitglied der Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission und Mitglied einer Studienkommission zum Frauendiakonat, die im September in Rom tagt.

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