Gesucht sind geeignete Räume. Flüchtlinge der Notunterkunft Niederscherli beim Deutschkurs.
Dieser wird von Freiwilligen, auch aus den Kirchen, engagiert betreut. Foto: Pia Neuenschwander

Wenn der Winter kommt..

Bis zu 120 junge Männer leben seit November 2015 in der Zivilschutzanlage in Niederscherli. Karl Johannes Rechsteiner macht sich ein Bild vor Ort.

Flüchtlinge werden in der Schweiz im ganzen Land verteilt untergebracht. Eine Kollektivunterkunft befindet sich in der Zivilschutzanlage in Niederscherli. Bis zu 120 junge Männer leben seit November 2015 in der «NUK». Schon kommt der zweite Winter auf die Notunterkunft und ihre freiwilligen Begleiter zu. Ein Augenschein.


Dass es eines Tages zu ihren Aufgaben als Jugendarbeiterin gehören könnte, für die Freiwilligenarbeit der Begleitung von rund 100 jungen Männern aus Ländern wie Afghanistan oder Eritrea mit zuständig zu sein, hat sich Chantal Brun wohl nie erträumt. Jetzt aber hat die engagierte Mitarbeiterin der Pfarrei St. Josef Köniz und Schwarzenburgerland seit gut einemJahr einen neuen Schwerpunkt in ihrem Pflichtenheft. Im Trägerverein «Offenes Scherli» für die Freiwilligen sind viele kirchliche Leute aktiv.

Beim Betreten der Zivilschutzanlage in Niederscherli habe ich ein Déjà-vu. Manche militärische WK-Woche hatte ich als junger Mann in solchen Unterkünften zu verbringen. Diese Anlagen haben ihren eigenen Geruch, in den Betonräumen hallt es eigenartig, die grossen Schlafsäle beherbergen jeweils etwa zwei Dutzend Betten, man kann kaum einschlafen, die trockene Luft erschwert nach ein paar Tagen das Atmen, das permanente Kunstlicht beim Leben unter Tag schlägt aufs Gemüt.
Psychologen haben wohl die Innenarchitekten beraten, da und dort etwas Farbe an die grauen Wände zu malen. Etwas war damals im Wiederholungskurs sicher. Spätestens nach drei Wochen war ich wieder zu Hause und verschwendete keine Gedanken mehr an Zivilschutzanlagen.

Die normale Verweildauer in der «NUK» sei wohl etwa ein halbes Jahr, vermutete der Könizer Gemeindepräsident Ueli Studer im Oktober 2015. Doch nach einem Jahr Betrieb geht’s in der Unterkunft im Untergeschoss nun in den zweiten Winter. Die Bewohnerschaft hat sich kaum verändert. In dieser Notunterkunft der Heilsarmee-Flüchtlingshilfe werden im Verfahren befindliche Asylsuchende betreut, unterstützt und beraten, bevor sie in eine individuelle Wohnform umziehen, weiteroder rückreisen. Die meisten jungen Männer hier haben noch keinen Entscheid bekommen.

Es geht raus ins Freie. Trotz eines dunklen, vernebelten Novembertages hellen sich die Mienen auf. Deutschstunden stehen an mit freiwilligen Lehrkräften. Das «Offene Scherli» begleitet die Flüchtlinge seit Beginn. Über 70 Ehrenamtliche unterstützen die Menschen in der Notunterkunft. Heute ist es Vereinspräsident Jürg Schneider selber, der zusammen mit seiner Frau Eva-Meret Neuenschwander Deutsch vermittelt – einst dozierte er an Fachhochschulen Betriebswirtschaft, jetzt managt der pensionierte Helfer den Verein, der von den Kirchgemeinden mitgetragen wird.
In einem Zimmer des reformierten Kirchgemeindehauses sitzt ein Dutzend der jungen Männer. Sie sind bis über die Haarspitzen hinaus motiviert, diese schwierige Sprache zu lernen und anzuwenden. Teilweise erstaunlich, wie souverän sich etwa ein junger Afghane bereits in Deutsch ausdrückt. Die Gruppe plant eine Exkursion nach Luzern. «Ich möchte gerne das Verkehrshaus besuchen...», formuliert bedächtig einer der Jungs.

«Wir haben genügend Freiwillige, die sich engagieren wollen», kommentiert Jürg Schneider. «Doch uns fehlen Räume, vor allem Räume mit Tageslicht», ergänzt Chantal Brun. Und selbst das Angebot der Reformierten geht nächstes Jahr zu Ende – es stehen Renovationen und eigene Raumbedürfnisse an. An den Tischen im Gemeinschaftsraum der «NUK» sitzen einige der jungen Männer beim selbstgekochten Znacht. Plötzlich betritt ein Freiwilliger mit drahtiger Statur das Lokal in sportlicher Kleidung mit Stirnlampe. Berndeutsch motiviert er für eine Joggingtour im eindunkelnden Niederscherli.

Niederscherli ist eines der vielen Dörfer und Flecken in der weiträumigen Stadt Köniz. Hier gibt’s viel Wohnqualität. Doch zum Zentrum Bern ist es auch nicht weit – an der langen Hauptstrasse entlang wird die Strukturveränderung der Gemeinde sichtbar. Ständig sieht man geleerte Schaufenster und aufgegebene Läden. Die einzige Neueröffnung ist ein Imbiss im Balkan-Look. Räume mit Tageslicht gäbe es viele zu mieten. Doch Kanton und Heilsarmee wissen nicht, wie lange es die «NUK» noch gibt. So engagieren sich die vielen Freiwilligen, wenn überhaupt Räume zur Verfügung stehen, weiterhin vorwiegend untertags für die Integration von Flüchtlingen. Im neusten Newsletter werden Winterjacken und Winterschuhe für Herren gesucht. Für junge Männer aus aller Herren Länder, die hier langsam etwas heimisch werden.

Karl Johannes Rechsteiner


Hinweis:
www.offenes-scherli.ch

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