Caritas-Markt Bern. Foto: Ruben Sprich

Wenn eine Sorte Konfitüre reicht

Nur auf den ersten Blick ganz normal - Anouk Hiedl hat sich im Caritas-Laden in Bern umgeschaut.

Es ist 09.00. Erste Kund*innen warten an diesem kalten Wintermorgen vor einem Geschäft, das erst in einer Stunde öffnet. Im Inneren ist es ruhig und warm, die letzten Vorbereitungen laufen, Mitarbeitende füllen Waren auf. Das Angebot reicht von frischem Gemüse und Früchten über Brot, Milch und Frühstücksflocken bis hin zu Tiefkühlprodukten und Konserven. Auch Süssigkeiten, Waschmittel und Strumpfhosen präsentieren sich in den Regalen.

von Anouk Hiedl

Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass dieser Quartierladen doch etwas anders ist. Die Kasse des Caritas-Markts in Bern hat ausschliesslich Tasten zum Tippen, keinen Scanner, kein Fliessband. Im Sortiment stösst man auf Artikel, die es jetzt woanders nicht mehr gibt – Adventskarten, Schoggisamichläuse oder Weihnachtsbilderbücher. Alle Preise sind sehr tief angesetzt: 500 g Teigwaren gibt es beispielsweise für 65 Rappen, und ein Joghurt kostet bloss 35 Rappen.

Viel zu viel versus zu wenig

«Unser Angebot deckt vor allem den täglichen Grundbedarf ab», erklärt Daniel Lauper, Betriebsleiter dieses Caritas-Markts. «Dazu haben wir eine breite statt eine tiefe Produktauswahl. Das heisst, wir haben zum Beispiel eine Sorte Konfitüre und volle sowie teilentrahmte, aber keine laktosefreie Milch.» Die günstigen Angebote stammen von Grossverteilern und Lieferanten, die ihren Warenüberschuss, bald abgelaufene oder nicht mehr aktuelle Produkte preiswert anbieten, zum Beispiel Fussballnudeln der letzten Weltmeisterschaft. Ausserdem gibt es Warenspenden. Die Einkaufsgenossenschaft der Caritas in Sempach kauft und koordiniert all diese Waren und verteilt sie an die 21 verschiedenen Caritas-Märkte in der ganzen Schweiz.

Den Caritas-Markt Bern gibt es seit 25 Jahren. «Aktuell kaufen täglich etwa 200 Menschen für durchschnittlich 12 Franken pro Person hier ein», berichtet Lauper. Die Kundenzahlen steigen. Was in anderen Verkaufsfilialen ein Grund zur Freude wäre, lässt hier aufhorchen. Der Umsatz wächst dabei nicht, die einzelnen Leute haben also immer weniger Geld zur Verfügung. Lauper beobachtet, dass vermehrt Schweizer*innen, ältere Menschen und auch Studierende vorbeikämen.

Mit einer Caritas-Einkaufskarte oder KulturLegi können Menschen mit kleinem Budget hier einkaufen. Diese können sie bei Caritas Bern, Sozialdiensten, kirchlichen Beratungsstellen oder Büros für AHV- und IV-Ergänzungsleistungen beziehen – so bleibt mehr Geld für anderes übrig, das sonst nicht möglich wäre.

Der Armut ins Auge schauen

Um 09.30 trifft eine angemeldete Firmandengruppe aus Thun ein. Lauper erläutert den jungen Menschen den Laden, zeigt Zusammenhänge auf und steht Rede und Antwort. Danach können die Jugendlichen selbst Hand anlegen. Sie füllen Kühlregale auf, schreiben den Preis auf Haushalts- und WC-Papier-Packs und beschriften Etiketten. Zum Znüni gibt’s Weggli «frisch von gestern» und Milchschokolade. Was ist den Firmlingen im Caritas-Markt aufgefallen?

«Es ist weniger schön als in normalen Läden», «Die Einrichtung ist etwas alt», «Es hat keine Musik», «Die Spielzeugecke ist winzig» und «Es gibt keine Chips, Kaugummis oder Kleider» lassen sie verlauten. Einig sind sie sich, dass sie dennoch alles finden, was zum Leben nötig sei. Umso deutlicher wird, wie gross das Angebot in anderen Geschäften ist. Unwillkürlich taucht die Frage auf, was wir davon denn wirklich «brauchen».

Anders und doch normal

Um 10.00 strömen die ersten Kund*innen herein und peilen zielgerichtet das Brotregal an. «Die Brote sind immer als Erstes weg», so Lauper. Um 10.45 ist der Laden gut besucht, Personen aller Couleur wandern zwischen den Regalen umher und begutachten die Waren. Ein Kunde fragt, ob es Schürzen gebe, und ein anderer Mann schmunzelt: «Man weiss nie, was man heute finden wird, man kann sich jeden Tag vom Angebot neu überraschen lassen.»

An der Kasse lachen ein paar Leute, während weitere bei einer Tasse heissem Kaffee zusammenstehen. Man sieht den Menschen hier nicht an, dass sie wenig Geld haben. Die Getränke aus dem Automaten sind für die Kund*innen des Caritas-Markts gratis. Die Menschen kommen hier zusammen, der Markt ist auch ein Treffpunkt, wo man redet und sich austauscht.

Perspektiven und Luft geben

Daniel Lauper und seine Stellvertreterin führen den Caritas-Markt Bern als einzige Festangestellte mit insgesamt 130 Stellenprozenten. Ein Zivildienstleistender und vier freiwillige Mitarbeitende packen im Verkauf und bei den täglich anfallenden Aufgaben mit an. Zudem sind zwölf stellensuchende Männer und Frauen aus Eritrea, Sudan, Syrien, Tibet und Weissrussland im Laden tätig. Diese werden in sechs- bis zwölfmonatigen Teilzeitpraktika mit den Aufgaben im Detailhandel vertraut gemacht und verbessern so ihre Chancen für einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.

«Seit zwei Jahren bilden wir auch Lernende aus, zunächst gab es eine Vorlehrstelle und seit letztem August auch eine reguläre Lehrstelle. Sie lernen hier alles, was es im Detailhandel braucht, ausser den Verkauf von Alkohol und Tabak», sagt Lauper lächelnd.

Seit März 2017 leitet Daniel Lauper den Caritas-Markt Bern. Sein Werdegang als Detailhändler ist klassisch. Lange war er bei einem Grossverteiler und in einem Motorradgeschäft tätig. Bei beiden Arbeitgebern gingen ihm die herrschenden Hierarchien, Strukturen sowie die Firmenkultur immer mehr gegen den Strich, sodass er sich zu einer Umorientierung entschloss. Da stiess er auf die Ausschreibung seiner jetzigen Stelle. Mit dem Slogan «Menschen mögen» hat er sich beim Caritas-Markt beworben und gepasst. «So lebe und arbeite ich. Hier stimmt es für mich.

 

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Caritas-Märkte im Kanton Bern

Der Caritas-Markt an der Brunnmattstrasse 44 in Bern besteht seit 25 Jahren (1994), jener an der Seestrasse 18 in Thun seit 14 Jahren (2005). Der Caritas-Markt Bern ist ein ausgewiesener Lehrbetrieb, in Thun kann man eine Vorlehre absolvieren. Die Märkte sind als Hilfswerke zertifiziert. Mitte 2019 soll ein weiterer Caritas-Markt in Biel eröffnet werden, der Standort ist noch offen.

Finanziell getragen werden die Caritas-Märkte Bern und Thun hauptsächlich durch die Erträge aus dem Warenverkauf. Aufgrund ihrer Tiefstpreisangebote sind sie aber nicht selbsttragend, sondern werden unter anderem von der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Bern, der röm.-kath. Gesamtkirchgemeinde Bern und Umgebung, der reformierten Gesamtkirchgemeinde Thun, der Stadt Thun sowie von katholischen und reformierten Kirchgemeindenim Kanton Bern unterstützt.

Anouk Hiedl

Zum Dossier

Infos:
www.caritas-bern.ch 
Caritas Märkte  
Neuer Caritas Markt in Biel

 

 

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