Personalfragen, Flüchtlinge in Pfarreien,
Familiensynode – der Bischof des grössten Bistums der Schweiz, Felix Gmür, im Gespräch. Bild: Pia Neuenschwander

«Wieso will ich das eigentlich?»

Sie sind selten, doch es gibt sie: Konfliktfälle  zwischen Bistum und Pfarrei, zwischen Seelsorgenden  und Mitarbeitenden. Auch konkrete  Herausforderungen in den Pfarreien, wie die  Aufnahme von Flüchtlingen, können zu Reibereien  führen. Im Interview nimmt der Bischof  von Basel, Felix Gmür, Stellung. 


«pfarrblatt»: Bischof Felix, Sie haben zu Beginn  Ihrer Amtszeit keinen Bischofsvikar für das Personal  bestellt, sondern verstehen die Mitarbeitersorge  als Aufgabe des Bischofs. Bereuen Sie diesen  Entscheid?

Felix Gmür: Nein. Ich bin Personalchef, wie ich  Chef bin für die Pastoral. Operativ bin ich nicht in  die alltäglichen Personalfragen involviert, das  habe ich delegiert. Gewisse Dinge will ich als  Bischof nicht delegieren, zum Beispiel die Erteilung der unbefristeten Missio. Anstellungsbehörde ist zudem die Kirchgemeinde,  die Landeskirche, der Kanton oder das Spital. Ich bin der Auftraggeber. Das sind  zwei Schienen. Es ist zwar eher selten, doch es gibt Fälle, wo Seelsorger vor Ort den Eindruck  haben, dass sich das Bistum bei Konfliktfällen mehr einbringen müsste im Sinne der Mitarbeitersorge. Die ersten Ansprechpartner sind die pastoralen Vorgesetzten, also die Leitung der Pfarrei, des Pastoralraumes, des Dekanats.
Dann gibt es die Bistumsregionen mit den Regionalverantwortlichen. Die meisten Konflikte werden auf dieser Ebene gelöst. Weder Auftraggeber noch Anstellungsträger können im Konfliktfall alleine entscheiden. Es gibt immer die Suche nach einer Konsenslösung. Das dauert. Bei schwerwiegenden  Fällen muss man aber schnell handeln  können.

Was empfinden Sie als schwerwiegende  Vorfälle? 

Übergriffe, Missbrauch (nicht zwingend den  sexuellen), sondern auch Macht-Missbrauch durch die Vorgesetzten, die Spaltung einer Pfarrei. Letztes Jahr sind mehrere Fälle zwischen den drei Bischofsvikariaten und den Anstellungsbehörden gelöst worden.

Der Grossteil der Fälle wird also ruhig und unspektakulär gelöst?

Ja. Zum Glück. Wir suchen nach einer Lösung, die möglichst nahe an der betroffenen Ebene ist. Idealerweise gibt es bei der Konsenslösung keine Verlierer. Kein Mitarbeitender soll als Verlierer aus der Situation gehen. Das gehört zu meiner Verantwortung als Bischof.

Was ist mit dem Wunsch nach einer Art  Schiedsstelle, die man im Konfliktfall ansprechen kann?

 Es gibt manchmal die Forderung nach einer  Art Ombudsstelle. Doch die Situation im Bistum  ist komplex. Deshalb gibt es seit Jahren  die Stelle Seelsorge für Seelsorgende. Sie ist  mit drei Personen aus dem Bistum besetzt, die die Situationen kennen und mit den Betreffenden gangbare Wege suchen. Ich weiss nicht, wer davon Gebrauch macht, doch nach deren Aussage sind sie gut ausgelastet. Das ist unsere Version von Ombudsstelle. 

Wird die Stelle proaktiv beworben? 

Es gibt eine Informationsschuld auf Seiten  des Bistums und eine Informationspflicht derjenigen, die etwas wissen wollen. Es gibt den  Hinweis auf der Homepage und im Personalverzeichnis. Wenn jemand in der Abteilung Personal oder bei einem regionalen Bischofsvikariat  nachfragt, wird auf die Stelle hingewiesen. Zudem sind die Fachpersonen Seelsorge  für Seelsorgende zum Beispiel im  Rahmen von Dekanatsfortbildungen präsent  und bieten Besinnungstage an, damit die  Stelle besser bekannt wird.

Ist es sinnvoll, mehr externe Fachleute  einzusetzen? 

Für Kriseninterventionen oder therapeutische Begleitung suchen wir bewusst Fachleute, die  einen anderen Blick ins Spiel bringen. Was die Abteilung Personal angeht: Human-Resource-  Fachmenschen aus dem nichtkirchlichen Umfeld haben strengeren Umgang mit dem Personal. Es heisst schnell: Derjenige ist ungeeignet, weg mit ihm, wo wir noch Chancen geben wollen.

Ist es bei rund 1050 Mitarbeitenden im deutschsprachigen Teil des Bistums nicht fragwürdig, dass es nur einen Personalverantwortlichen gibt?

 Viele Stellenwechsel laufen zuerst über die regionalen Bischofsvikariate. Das sind acht  Personen. Wir haben zudem weniger Stellenwechsel  und Berufsanfänger als früher. Zugenommen haben administrative Aufgaben. Seelsorger, die von ausserhalb der Schweiz oder der EU kommen, müssen wir prüfen.  Die Frage nach einer Frau als Personalverantwortliche  ist derzeit offen. Wir schauen im  Moment, dass wir einen guten Modus Vivendi  finden.

Es ist also im Umbruch?

Ja. Was bleibt, ist das Dreieck Person-Institution- Situation. Es gibt nicht nur die Person,  die sich in einer guten Stelle verwirklichen  will. Die Person vertritt sich selber. Die Abteilung  Personal hat eine globalere Sicht. 

Das ist nachvollziehbar. Andererseits gibt es  Fälle, wo Auftraggeber und Anstellungsträger völlig anderer Meinung bei einer  Person sind – grade in Bezug auf Theologen,  die von ausserhalb der Schweiz kommen. 

Das ist heikel. Manchmal wissen wir Dinge von Menschen, die wir nicht sagen können. Wir haben eine Pflicht zum Daten- und Persönlichkeitsschutz  und eine Informationspflicht.  Die stehen bisweilen im Clinch miteinander.  Dann sage ich: Mir ist der  Persönlichkeitsschutz wichtiger.

Können Sie nachvollziehen, dass das auf der anderen Seite manchmal so ankommt, als  wenn nicht genügend begründet und erklärt wird?

Jein, denn oftmals wollen die Anstellungsbehörden  gewisse Informationen nicht hören. 

Die Personalsituation wird zukünftig nicht  besser. Was für Strategien gibt es?

Wichtig ist eine ausgeglichene Verteilung der  Mitarbeitenden auf das ganze Bistum. Auch  Randgebiete haben Anspruch auf gutes Personal.  Das Zweite: Wir wollen eine gute  Durchmischung der Berufsgruppen und  lebendige Teams. Gewisse Seelsorger sind  immer eher Einzelkämpfer und ein sehr kleiner Teil des Personals hat Mühe mit dem Veränderungsprozess. 

Wird es irgendwann den Punkt geben, wo es  mehr missiopflichtige Stellen als missiofähige  Bewerber geben wird?

Ich hoffe nicht. Wenn keine Kandidaten mehr  da sind, muss sich auch das Volk Gottes fragen,  wieso es keine Seelsorger mehr hervorbringt.  Die ersten Werber für die Berufe sind  immer noch die Seelsorgenden vor Ort.  Deren Berufszufriedenheit ist bei allen Umfragen  hoch bis sehr hoch, andererseits ist die  Werbebereitschaft eher tief. Ein Problem ist  die Frage der Berufsidentität. Bei uns vermischen  sich viele Aufgaben; dabei wäre ein  eindeutiges Berufsbild fördernd. Doch das ist  auch eine Chance. Der Beruf gibt sehr viele  Freiheiten in der Gestaltung unseres Auftrags:  das Evangelium zu verkündigen. 

Wenn Seelsorgerinnen und Seelsorger ihrer  zentralen Aufgabe nachgehen, nämlich das Evangelium unter das Volk zu bringen, kann dies zu belastenden Konflikten führen, etwa aktuell in der Flüchtlingsfrage. Ein Pastoralteam möchte Asylbewerbern  Wohnraum anbieten, doch die  Kirchgemeinde stemmt sich dagegen. Wie ist Ihre Haltung in einer solchen Auseinandersetzung? 

Die kirchliche Hilfe für Flüchtlinge ist subsidiär.  Zuständig ist der Staat. Das Bistum bietet  Wohnraum an, weil der Kanton Solothurn  über zu wenige Aufnahmemöglichkeiten verfügt. Wir dürfen uns aber nicht überfordern.  Deshalb bleibt die aufwändige Betreuung  dieser – möglicherweise traumatisierten –  Menschen Aufgabe des Staates. Freiwillige,  die sich bei uns zur Unterstützung melden,  verweisen wir daher an den Sozialdienst, der  ihre Tätigkeit koordiniert. Eine Kirchgemeinde  kann und soll, wenn sie tatsächlich über  freie Wohnungen verfügt, diese zur Verfügung  stellen. Dabei können Konflikte entstehen,  weil Ängste gegenüber bestimmten Personengruppen,  etwa jungen Männern, bestehen. Die Asylsuchenden sollen in das christliche Umfeld einer Pfarrei passen. 

Im Bischofssitz leben nun zwölf Frauen und  Kinder aus Eritrea und Syrien. Hatten Sie schon persönliche Begegnungen mit Ihnen?

Heute werde ich sie zum ersten Mal treffen  (das Gespräch fand Anfang Dezember statt).  Zuerst mussten diese Menschen in Ruhe  ankommen und sich einleben können. An diesem  exponierten Ort wollen wir ihnen genügend  Privatsphäre bieten, lassen deshalb auch nicht zu, dass Journalisten Kontakt mit  ihnen aufnehmen. Noch einmal: Ich unterstütze  es grundsätzlich, wenn Kirchgemeinden  sich für Asylsuchende engagieren. Aber dies  sollte ihren eigenen Möglichkeiten und Ressourcen  angepasst sein.

Manche Leute ärgern sich über die Initiative des Bistums. Sie schreiben etwa in  Internetforen, dass arme Schweizer und  Schweizerinnen bislang ja auch keine  Herberge im Bischofssitz gefunden haben. Was erfahren Sie für Reaktionen?

Die meisten Reaktionen sind positiv. Arme  Schweizer und Schweizerinnen haben andere  Institutionen, an die sie sich wenden können.  Die Flüchtlinge sind aktuell in Not. Sie sind  da, es ist Winter und kalt, wir geben ihnen Obdach, Punkt. Etwas anderes sind die politischen Entscheide, die gefällt werden müssen.  Ich bin dafür, dass Asylgesuche viel  schneller bearbeitet werden und dass die  Asylsuchenden während des Verfahrens eine  Beschäftigung haben. 

Die Anforderungen an die Seelsorgenden,  aber auch an die Glaubenden werden in  Zukunft nicht kleiner. Das Abschlussdokument zur Weltbischofssynode über Ehe und Familie rückt den persönlichen Gewissensentscheid ins Zentrum. Was bedeutet dies für die Frage, ob eine Person würdig ist, die Kommunion zu empfangen?

Die Rolle des Gewissens wird in diesem Dokument ausdrücklich erwähnt. Die einzelne Person muss selber wieder mehr Verantwortung übernehmen. Jemand, der die Kommunion empfangen möchte, muss sich fragen: Weshalb will ich dies eigentlich, und, lebe ich in Frieden mit dieser Gemeinschaft, in der ich die Kommunion feiere? In Fällen, die ausserhalb der Norm sind – wie wiederheiratete  Geschiedene – will Papst Franziskus das  esetz zwar nicht ändern, aber die Betroffenen sind für ihren Gewissensentscheid selber verantwortlich. Den Entscheid kann ihnen niemand abnehmen.

Wenn der eigene Gewissensentscheid so zentral ist, dann kann doch eine Person sich als würdig für den Kommunionempfang betrachten, unabhängig davon, welche Vergehen sie aus Sicht der offiziellen Kirche begangen hat?

Es gibt nicht eine offizielle und daneben eine  nichtoffizielle Kirche. Ein Gewissensentscheid  kann nicht isoliert vom Umfeld gefällt werden,  das heisst von der konkreten kirchlichen Gemeinschaft, der Familie usw. Subjektive  und objektive Sicht müssen sich ergänzen.

Sind die Meinungen der Schweizer Bischöfe  zur Bewertung und den Folgerungen aus  dem Abschlussdokument der Bischofssynode sehr unterschiedlich?

Das Abschlussdokument hat keinen definitiven rechtlichen Charakter. Entscheidend wird  sein, wie das Thema in die Praxis umgesetzt wird. Das ist eine typische Aufgabe für die Seelsorgenden in einem Pastoralraum. Diese  kennen die Familienformen, die dort leben. So gibt es in Biel viele jugendliche Migranten, während in anderen Pastoralräumen mehr Senioren leben.

Sie haben also das Vertrauen in die Leute vor Ort, dass diese ihre Arbeit in der Familienpastoral gut und richtig machen werden?

Mit jeder Missio drücke ich dieses Vertrauen  aus. Dabei muss ich mich darauf verlassen  können, dass sich die Seelsorgenden innerhalb  des grossen Rahmens, der römisch-katholisch  heisst, bewegen. Die allermeisten  Mitarbeitenden tun dies auch, und ihnen sei  hier Dank gesagt. 

Interview: Anne Burgmer, Niklaus Baschung 

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