In einem Vorort von Damaskus: Grosseltern und Grosskinder leben in einer kalten und feuchten Wohnung ohne Fenster. Foto: Alexandra Wey

«Wir leben, mehr nicht.»

Das Leid in Syrien dauert immer noch an. In einem Vorort von Damaskus unterstützt die Caritas, wo es geht.

Sechs Jahre dauert der Krieg in Syrien bereits und kein Ende ist in Sicht. Die Not der Menschen ist enorm, die Ungewissheit über die Zukunft ist erdrückend. In Jaramana, einem Vorort von Damaskus, finden intern Vertriebene Unterstützung bei der Caritas.

Jaramana liegt wenige Kilometer südöstlich von Damaskus. Der Vorort hat eine lange Tradition in der Aufnahme von Flüchtlingen. Früher kamen sie aus Palästina, dann aus dem Irak. Seit Beginn des Krieges 2011 aber sind es Menschen aus Syrien selbst, die hier Zuflucht suchen. Die Bevölkerung von Jaramana hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt und nähert sich der Millionengrenze. Tag für Tag kommen sie hier an, der Zustrom von flüchtenden Menschen scheint kein Ende zu nehmen.

Für den Vorort, dessen Bewohner traditionell Drusen oder Christen sind, ist das Zusam- menleben der verschiedenen Religions- gemeinschaften des Landes nichts Ungewöhnliches. Zwar kam es auch hier schon mehrmals zu mörderischen Attentaten, bisher jedoch blieb Jaramana von den Kampfhandlungen und Bombardierungen weitgehend verschont.

In einer kleinen Seitenstrasse abseits der Hauptverkehrsader von Jaramana liegt das örtliche Zentrum von Caritas Syrien. Rund 5000 Familien sind hier registriert und beziehen punktuelle Hilfe in Form von Gutscheinen in der Höhe von 25 000 bis 40 000 syrischen Pfund (50 bis 80 Franken). Mit bestimmten Geschäften hat die Caritas Vereinbarungen über Preisnachlässe abgeschlossen. Hier können die Familien mit den Gutscheinen Kleider, Putzmittel, Decken und Nahrungsmittel kaufen. «Der Gutschein lässt den Menschen die Wahl, sie wissen am besten, was sie brauchen», erklärt Louis Kawa, der Leiter des Zentrums. Zwischen zwei Stromausfällen schildert er die Situation: «Tag für Tag klopfen neue Hilfesuchende an unsere Tür.»

Um die Ecke liegt ein baufälliges Haus, in dem Abduljalil Kutaib und seine Frau Salwa Mohamad Ali eine Bleibe fanden. Vor zwei Jahren flohen sie aus Deir ez-Zor. Nach dem Tod ihrer Tochter, deren Leben durch einen Schuss aus dem Hinterhalt ein jähes Ende fand, verliessen sie ihre Stadt von heute auf morgen. Ihr jetziges Zuhause ist eine Wohnung ohne Fenster, feucht und im Winter eisig kalt. Hier leben sie jetzt mit ihren vier Grosskindern. Zwei Kinder hat ihre getötete Tochter hinterlassen, die zwei weiteren Enkel vertraute ihnen die andere Tochter an, da sie ihren krebskranken Mann pflegt. Als ehemaliger Angestellter des Staates bezieht der Grossvater eine Rente von 30 000 syrischen Pfund (60 Franken) pro Monat. Doch allein die Miete verschlingt 80 Franken. Die Grosseltern sind krank und auch die Kinder leider immer häufiger unter Atemnot und Hustenanfällen. Überleben können sie nur dank der Solidarität der Nachbarn und der Hilfe von Caritas und anderen Organisationen.

Ein paar Strassen weiter treffen wir Ali Al-Ahmad am Fuss des Wohngebäudes, auf dessen Dach seine Familie lebt. 2012 verliessen sie ihr Dorf in der Umgebung von Aleppo. Rebellengruppen hatten wiederholt versucht, die beiden älteren Söhne von Ali einzuziehen. Mit versteinerter Miene spricht er über Mohamed, seinen ältesten Sohn, der als Soldat der Armee getötet wurde. 22 Jahre jung war Mohamed. An seinem Todestag im Sommer 2016 geriet das Leben der Familie vollkommen aus der Bahn. Zahra, die Mutter, und der zweite Sohn Hussein konnten seitdem nicht wieder Tritt fassen. Die zwanzigjährige Tochter Zenab wird sich demnächst verloben. Hassan, der jüngste Sohn, konzentriert sich auf die Schule und versucht über Nachhilfestunden das aufzuholen, was er in der Zeit verpasste, als Islamisten ihm den Schulbesuch untersagten. Hussein dagegen verkriecht sich tagelang in seinem Zimmer. Seine Mutter sitzt viele Stunden am Tag zusammengekauert gegen eine Wand gelehnt und starrt ins Leere: «Ich denke an meinen Sohn.» Ali ist von Hilfe abhängig, aber bemüht sich unermüdlich, sich nützlich zu machen. Von früh bis spät durchstreift er in seinen zu grossen Gummistiefeln, die Mütze fest ins Gesicht gezogen, das Quartier. Sein Glück ist, dass er mit seinen Händen unheimlich geschickt ist und fast alles kann. Er repariert Waschbecken, macht Abflüsse frei, isoliert Fenster. Auch für den Transport der Waren zum Markt ist er sich nicht zu schade. «Vor dem Krieg lebten wir sehr einfach, aber wir hatten das Nötigste. Olivenbäume, einige Tiere, etwas zu essen. Die Kinder gingen zur Schule», erinnert er sich voller Nostalgie. Die heutige Situation scheint hoffnungslos: «Wir leben, mehr nicht.»

Fabrice Boulé

Weitere Informationen:
www.caritas.ch/syrien
Spendenkonto Caritas Schweiz: 60-7000-4 (Vermerk Syrien)

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