«Es braucht Toleranz gegenüber dem, was katholisch sein kann und sein darf.» Patrick Schafer und Ruedi Heim teilen sich die Leitung des Pastoralraums Bern. Foto: Pia Neuenschwander

«Wir sind immer noch Seelsorger, nicht nur Verwalter»

Ergänzen sich bei der Leitung des Pastoralraums Bern: Ruedi Heim und Patrick Schafer.

Nach über einem Jahr ist die Leitung des Pastoralraums Region Bern wieder komplett. Seit Anfang August teilen sich der Spitalseelsorger Patrick Schafer und der Priester Ruedi Heim die anfallenden Aufgaben. Ein Interview über die Vorteile und Herausforderungen einer geteilten Führung.


Interview: Anouk Hiedl


«pfarrblatt»: Gibt es bestimmte Bibelstellen, die etwas von Ihrer Lebenseinstellung zeigen?

Patrick Schafer (PS): Mir ist das immer wiederkehrende «Fürchte dich nicht» wichtig, für andere und für mich.

Ruedi Heim (RH): Ich mag alle Aufbruchsgeschichten aus dem Ersten und Zweiten Testament am liebsten. Da erkenne ich mein festes Grundvertrauen in Neues wieder.


Herr Heim, Sie sind seit März 2018 im Amt. Wie erleben Sie die Kirche im Kanton Bern, und was gefällt Ihnen daran?

RH: Ich begegne hier einer neuen, bisher so nicht gekannten Kirchenrealität. Sie ist anders als in der Ostschweiz, wo ich herkomme, anders als in Rom, wo ich studiert habe, und anders als in der Zentralschweiz, wo ich 20 Jahre lang in verschiedenen Funktionen gearbeitet habe. Auch die Perspektive als Leitender Priester ist eine andere als jene, die ich als Bischofsvikar hatte.

Meine 40 Prozent als Seelsorger in den zwei Pfarreien von Bern-West ergänzen und korrigieren meine Leitungsaufgaben – das geniesse ich sehr. Es ist eine Ergänzung, eine Korrektur. In der Seelsorge bin ich zu Hause. Ich erlebe in der Berner Diaspora hier ein stärkeres Entscheidungschristentum und weniger festgefahrene kirchliche Traditionen, wie es sie in einem katholischen Stammland gibt.

Ich stelle hier auch eine grössere Mobilität zwischen den Pfarreien fest. Die Kirche steht bei den Leuten nicht nur im eigenen Dorf, in der eigenen Pfarrei; sie bewegen sich mehr, weil sich auch ihr Seelsorgeteam bewegt. Der Pastoralraum ist eine Erweiterung der Pfarrei. Die Menschen sind sich dessen aber nicht immer bewusst. Wer mitmacht, ist stark engagiert, bis hin zum Kirchenkaffee. In Bern ist es fast so wichtig, sich nachher zu treffen wie den Gottesdienst vorher zu besuchen. Das hat man durchaus gut von den Reformierten übernommen. Ich kannte das bisher so nicht. Interessant und bereichernd sind auch die vielen Gläubigen mit Migrationshintergrund. Vorletztes Wochenende hatte es im Gottesdienst drei schwarze Ministrant*innen, die breitestes Berndeutsch sprechen. Wenn ich als Priester dann mit meinem Ostschweizer Dialekt komme, kann man sich schon fragen, wer hier der Zugezogene ist ...

Die Leitung des Pastoralraums Region Bern war ein Jahr lang teilweise vakant. Heute nehmen Sie alle Aufgaben in zwei Teilzeitpensen wahr. Wie kam es zu dieser Lösung?

RH: Mitte Mai 2018, nach der Errichtung unseres Pastoralraums durch Bischof Felix, hatten wir die neue Leitungsposition mit einer Vollzeitstelle ausdrücklich in erster Linie für Frauen ausgeschrieben. Als keine Bewerbungen eingingen, haben wir ein neues Modell entwickelt, das den Vorgaben des Bistums weiterhin entspricht. Wir haben die Stelle auch für Männer geöffnet und die Stellenprozente gesenkt – 50 Prozent für den/die Pastoralraumleiter*in und 60 Prozent für den Leitenden Priester.
Im Dezember 2018 fand das erste Gespräch mit Patrick statt, im April wurde er dem Bischof durch das Pastoralraumteam vorgeschlagen, und seit August ist er nun, nach Bernhard Waldmüller, der neue Pastoralraumleiter.

PS: Ich hätte mich gefreut, wenn eine Frau die Pastoralraumleitung übernommen hätte. Das hat sich leider nicht ergeben. Ich denke, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass bewusst Sorge zu Frauenaspekten getragen wird, sowohl bei Verantwortlichkeiten als auch in der Sprache. Im Pastoralraum Region Bern haben wir aktuell drei Gemeindeleiterinnen und sieben Gemeindeleiter. In unseren Arbeitsgruppen sind Frauen ausnahmslos vertreten. Sie bringen ihre Anliegen ein und werden gehört.

Bezüglich unserer Teilzeitpensen, denke ich, dass dieser Entscheid genau richtig ist. Der Pastoralraum ist errichtet, deshalb verändern sich viele Aufgaben für die Pastoralraumleitung. Unsere Vorgänger haben in der Aufbauphase viel Konzeptarbeit geleistet. Darauf können wir nun aufbauen und den Pastoralraum inhaltlich weiterentwickeln. Ruedi als Leitender Priester und ich als Pastoralraumleiter werden uns die anfallenden Aufgaben teilen. Klar ist, dass er für die Priester und Missionen zuständig ist und ich den Fachstellen vorstehen werde. Weiteres wird sich im Lauf der Zeit und unserer Zusammenarbeit ergeben.

RH: Der Pastoralraum Region Bern ist gross – den Überblick zu haben, was wo bereits gemacht ist, ist nicht immer einfach. Das Angebot der Berner Dreifaltigkeit etwa ist klassisch und traditionell, die Pfarreien der Agglomeration sind freier. Jede Pfarrei hat ihre eigene Kultur. Im Pastoralraum soll Gemeinsames gestärkt werden, ohne dass diese Profile verloren gehen.

PS: Auch wenn wir beide dazu verschiedene Aufgaben wahrnehmen – Entscheide werden wir gemeinsam diskutieren, fällen und tragen. Dazu ist es gut, dass wir beide noch einen Fuss in der Seelsorge haben. So sind wir immer noch Seelsorger, nicht nur Verwalter.


Was schätzen Sie aneinander?

PS: Ruedi hat viel Projekterfahrung und kann sich sehr gut und schnell auf etwas fokussieren. Da er nicht in Bern aufgewachsen ist, bringt er häufig einen Blick von aussen mit. Zudem kennt er durch seine langjährige Arbeit als Bischofsvikar das Bistum Basel sehr gut.

RH: Meine Zeit in Rom und die Arbeit als Bischofsvikar in vier Kantonen kommt mir hier zugute. Dort habe ich die katholische Vielfalt kennengelernt und Toleranz gegenüber dem, was katholisch sein kann und sein darf. Das Eigene ist sehr wenig im Rahmen der ganzen Weltkirche. Ich sehe die Kirche nicht als Pyramide, sondern als Ellipse, in der viele Kirchenbilder Platz haben, die sich oft korrigieren und ergänzen. Ich versuche zu verstehen, warum diese entstehen und existieren. Das letzte Jahr hat mir gezeigt, Leitung macht einsam. Patrick und ich konkurrieren einander nicht, im Gegenteil – ich bin froh, nun den Austausch mit ihm zu haben. Wir werden gemeinsam diskutieren und auftreten und wollen damit im Pastoralraum auch Vorbild sein.

PS: Dieses gemeinsame Entscheiden wird eine Herausforderung sein, der wir uns gerne stellen. Ich freue mich auch auf Diskussionen, in denen wir nicht derselben Meinung sind. Denn klar gibt es Unterschiede. Ruedi ist Priester, ich nicht. Diese Tatsache soll in unserer Leitungsaufgabe positiv verstanden werden. Wir ergänzen, korrigieren und bereichern einander.

RH: Ja. Patrick kennt Bern und die Kirche hier sehr gut. In der Spitalseelsorge wird er viel mehr mit Krankheit und Tod konfrontiert als ich.

PS: Im Spital taucht oft die Frage auf, wie Gott Leid zulassen kann. Trotz aller Ohnmacht gelingt mit Gesprächen Trost. Plötzlich kommt wieder Dankbarkeit auf. Das ist für mich Gnade.

 

 

 

Patrick Schafer, 46, begann seine Berufslaufbahn im Marketing und Verkauf und wechselte später zum Finanzbereich und ins Webdesign. Nach einer Pflegeassistenz auf einer Berner Palliativstation arbeitete er acht Jahre therapeutisch in Spitälern und Privatpraxen. Im Rahmen seines Theologiestudiums in Fribourg und Luzern war er als Jugendarbeiter, später als Pfarreiseelsorger und Gemeindeleiter in St. Antonius Bümpliz und St. Mauritius Bethlehem tätig. Seit 2018 arbeitet Schafer als Spitalseelsorger und im Care-Team des Inselspitals (50%). Seit August 2019 leitet er den Pastoralraum Region Bern (50%). Er wohnt in Bern und verbringt seine Freizeit gerne draussen in der Natur.

 

 

 

Ruedi Heim, 51, war während und nach seinem Theologiestudium in Fribourg und Rom Pastoralassistent und Vikar in Sursee. Nach seiner Priesterweihe arbeitete er in Menzingen und war danach 14 Jahre als Bischofsvikar der Bistumsregion St. Viktor (LU, SH, TG, ZG) tätig. Seit März 2018 ist Heim Leitender Priester des Pastoralraums Region Bern (60%) und Pfarradministrator der Pfarreien St. Antonius und St. Mauritius Bern (40%). Als Armeeseelsorger begleitet er seit 2010 auch die Informationswoche für Jugendliche, die sich für die Schweizergarde interessieren. Er ist ein begeisterter Skifahrer und Alpinwanderer und liest gerne Theologisches, Biografien, Krimis und aktuelle Literatur.

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