«Wir sind nicht verzweifelt.Wir sind einer Prüfung ausgesetzt.» Ramzi Garmou, Erzbischof von Teheran der chaldäisch-katholischen Kirche. Foto: Kirche in Not

Wir verlieren die Wurzeln unserer Zivilisation

Der Erzbischof von Teheran zu Besuch bei der Paroisse in Bern.

Vor einigen Tagen durfte die französisch sprechende Pfarrei Berns den Bischof von Teheran, Ramzi Garmou, empfangen. Bei diesem Treffen wurde mir bewusst, wie wenig ich über die christlichen Minderheiten im Osten weiss.

Seitdem koptischen Arbeitern in Libyen die Kehlen durchschnitten wurden und das irakische Mossul durch IS-Anhänger belagert ist, sind uns längst vergessene Gemeinschaften wieder ins Bewusstseingerufen worden: Chaldäer, Assyrer, Nestorianer, Armenier, Kopten, Melkiten, Maroniten und Byzantiner. Neben diesen altchristlichen Kirchen erfahren wir, dass es noch andere Minderheitsreligionen gibt, wie die Zoroaster und die Jesiden, die zurzeit einen Völkermord erleben.
Die meisten dieser Glaubensgemeinschaften haben nicht das Arabische, sondern das Aramäische als Grundsprache. Sie leben im Nahen und Mittleren Osten seit der Zeit der Apostel. Sie sind die Erben der Kultur Mesopotamiens.
Wir verdanken diesen Völkern sehr vieles, denn sie wussten ihr Wissen weiterzugeben. Sie pflegten Beziehungen mit China, bevor Europa wusste, dass es China gab. Jahrhundertelang lebten sie mit einer islamischen Mehrheit so gut wie möglich zusammen. Diese Minderheiten wurden toleriert. Sie waren ein wichtiges Zeichen, dass das Zusammenleben zwischen Religionen möglich war.

Mit der Zerstörung der Zwillingstürme in NewYork am 11. September 2001 gab es eine Wende. Der darauf folgende Einmarsch der Vereinigten Staaten brachte mehr Chaos als Frieden mit sich. Seitdem werden diese Minderheiten als Feinde betrachtet und haben in ihrem Land keine Perspektiven mehr. Es bleibt ihnen nur eins: das Land zu verlassen. Vor 20 Jahren gab es in Iran etwa 80000 Chaldäer. Heute zählt Bischof Garmou in seinen anvertrauten Gemeinden nur noch viertausend Mitglieder.
Was geschieht in zwei oder drei Generationen mit diesen Kirchen? Werden ihre Kulturen und ihre Sprachen noch überleben? Mit ihnen verlieren wir nicht nur die Wurzeln unserer Zivilisation, sondern auch die Christenheit wird erheblich ärmer. Diese orientalischen Kirchen sind ein Mehrwert für die universale Kirche. Sie bezeugen, dass das Christsein in verschiedenen Formen und Riten gelebt werden kann. Sie fordern uns heraus, denn sie sagen uns, dass die lateinische oder römische Kirche nicht alleinige Kirche ist.

Abbé Christian Schaller, Paroisse de langue française Berne

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