«Die Regel ist also immer ökumenisch»


Im Gespräch mit dem «pfarrblatt» erzählen der reformierte Johannespfarrer Jürg Liechti-Möri, die Kirchgemeinderätin Patricia Stucky und der Gemeindeleiter Manfred Ruch von der katholischen Marienpfarrei über ihre Erfahrungen im ökumenischen Zusammenwachsen, von den Knackpunkten, ihren Zielen und Wünschen.

von Andreas Krummenacher

Die Ausgangslage

Manfred Ruch: Wir hatten schon früher mit allen Teams der Kirchen im Berner Nordquartier gemeinsame Sitzungen. Da machten wir jeweils eine Auslegeordnung, was ökumenisch gemacht wird, was man noch mehr gemeinsam machen könnte, was man besser weiterhin allein macht. Plötzlich warf jemand ein, dass wir doch besser nicht vom Einzelnen ausgehen, sondern das Ganze in den Blick nehmen sollten.
Bei allen neuen Projekten wird seither geprüft, ob man das nicht ökumenisch machen könnte. Um ein Bild zu gebrauchen: Vorher wohnten drei Parteien in drei verschiedenen Wohnungen, hin und wieder beschlossen sie, einander zu besuchen. Das Neue ist nun, dass wir gemeinsam in einer Wohngemeinschaft leben. Die Regel ist also immer ökumenisch und das Ausserordentliche ist konfessionell getrennt. Ich glaube nicht mehr daran, dass die kleinen Schritte zu einer Einheit führen. Das hoffen wir doch seit 50 Jahren.

Patricia Stucky: Hier im Nordquartier sind viele Familien bikonfessionell. In den unteren Primarklassen gibt es konfessionell getrennten Religionsunterricht. Eine solche konfessionelle Trennung war im Nordquartier schon immer künstlich. Die Haltung, dass man gemeinsam unterwegs ist, die kommt hier bei den Menschen stark zum Ausdruck. Als ich Mitglied im Kirchgemeinderat wurde, war von dieser ökumenischen Bewegung bereits sehr viel zu spüren.

Jürg Liechti-Möri: Es ist jetzt der ideale Zeitpunkt für ein solches Projekt. Biblisch gesprochen der Kairos. Jetzt oder nie. Die Zeitumstände spielen uns in die Hände. Auf reformierter wie auf katholischer Seite sind die Kirchgemeinden seit Jahren daran, sich zu reorganisieren. Es muss gespart werden. Stellen wurden gestrichen, Kirchen geschlossen. Der angedachte Zusammenschluss eröffnet auf einmal ganz neue Perspektiven. Statt abzubauen und den eigenen Untergang zu verwalten und möglichst hinauszuzögern, können wir etwas ganz Neues aufbauen. Das ist faszinierend und motivierend.

Der Prozess

Patricia Stucky: Sobald man bei den Menschen, die hier leben, anfängt und beginnt, bei ihnen nachzufragen und gemeinsam darüber nachzudenken, wie und wo man zusammenkommen will, und so beginnt, zusammen zu gestalten: da läuft der Prozess richtig gut. Da ist viel Freude und Drive vorhanden. Bei uns gibt es drei etablierte Gemeinden, aber nun lassen wir uns darauf ein, von den Menschen auszugehen, und haben begonnen, gemeinsam etwas Neues zu «bauen» und uns zu überlegen, wie wir das machen wollen: da wird auf einmal ein «Feuer» spürbar. All die Schwierigkeiten, wer sich anpassen muss und wer das oder jenes nicht mehr machen kann, treten dann komplett in den Hintergrund.
 

Jürg Liechti-Möri: Also dort, wo es gelingt, die Verlustängste wegzulegen. Diese sind natürlich auch da. Jeder hat sein Gärtlein, also gibt es in diesem Prozess auch Momente, wo man sein Gärtlein verteidigt. Wo es aber gelingt, diese Gedanken wegzulegen, das Fenster zu öffnen und frische Luft hineinzulassen, da merkt man plötzlich, dass es tolle Möglichkeiten gibt. In der Fachgruppe Religionsunterricht gab es solche Momente.
Wir sind stolz auf unseren Unterricht. Der ist gut, und ich gebe gerne Unterricht. Aber mit den Jahren entwickelt man einen bestimmten Rhythmus, dann ist es faszinierend, über gewisse Punkte ganz neu nachzudenken. Man wird dann innovativ, wie man es sonst nie hätte sein können, weil die Zeit fehlte. Ich werde beispielsweise mit dem katholischen Busssakrament konfrontiert, frage nach, worum es da geht, und komme zum Schluss: das ist ein wertvolles Element. Die katholische Seite merkt vielleicht, dass sie das zu früh im Unterricht thematisiert und besser später einbringen sollte.
 

Manfred Ruch: Wenn wir den Religionsunterricht gemeinsam neu planen, dann merken wir, was wir vom Eigenen behalten wollen, was wir als wertvoll erachten. Vorher schaut man sich das gar nicht an. Wir haben bislang eine selektive Ökumene, wo wir nur das ökumenisch machen, was keine Schwierigkeiten bereitet. Überall dort, wo sich Unklarheiten ergeben – beispielsweise bei den Sakramenten oder der Dogmatik – macht man einen grossen Bogen. Wir haben bisher nicht darüber nachgedacht, wie man die Vorbereitung zur Erstkommunion gemeinsam mit den Reformierten durchführen könnte. Das kann man ja mal andenken. Auch die Konfirmation und die Firmung. Wie könnte man das zusammen feiern? Da sind wir jetzt dran, neue Wege zu gehen.

Ein Knackpunkt

Jürg Liechti-Möri: Im grossen kompletten Zusammenschluss hätte ich persönlich schon meine Probleme. Die Ämterfrage ist letztlich eine Schwierigkeit, also das katholische Verständnis des Priesteramtes. An der Basis gibt es aber keine unüberwindbaren Hindernisse.


Manfred Ruch: Man hat sich ja selbst in der Eucharistie angenähert. An die Präsenz von Christus glauben beide, auch an die Wandlung, wobei die Reformierten mehr die Verwandlung der Menschen betonen als die Verwandlung des Brotes. Das tut uns Katholiken auch gut, wir glauben eigentlich dasselbe, wir haben uns historisch aber sehr auf das Brot konzentriert. Wir haben hier also sehr gute Ansätze. Der Knackpunkt ist dann tatsächlich das Amt. Wenn eine Kirche nicht im katholischen Sinn gültig geweihte Priester hat, kann eine Eucharistie nicht gefeiert werden. Da gibt es für uns offene Fragen, da müssen wir einen Weg finden.

Das Ziel

Manfred Ruch: Wir möchten eine Gemeinschaft sein, die Kirche ist für das Quartier. Wir gaben der Marienpfarrei schon früher das Profil «ökumenisch im Quartier». Eine Kirche den und für die Leute, möglichst nahe und vernetzt, miteinander und mit anderen Institutionen. Mit den reformierten Schwestergemeinden haben wir schon lange zusammengearbeitet. Mit dem Projekt Ökumene Bern-Nord wollen wir nun einen Schritt weiter gehen. Wir wollen als eine Kirche, mit einer Adresse, für die Menschen im Quartier da sein. Nicht nur als feiernde Gottesdienstgemeinde für Mitglieder, sondern auch als Gemeinde, die ein Quartierfest feiert, die Räume zur Verfügung stellt und so weiter. Ein Player in dieser ganzen Quartierlandschaft zugunsten einer guten Lebensqualität.


Jürg Liechti-Möri: Wir wollen in fünf Jahren eine Kirche sein, die alles zusammen feiert, die alle Gottesdienste gemeinsam feiert; der Unterricht findet gemeinsam statt, von A bis Z sind wir gemeinsam unterwegs. Wir haben dann eine Identität, nicht katholisch oder reformiert, sondern: Wir gehören zur Maria-Johannes-Markus-Gemeinde. Zugegeben, den Namen müssen wir noch optimieren.


Patricia Stucky: Ich sehe Familien und Nachbarschaften, die endlich ganz selbstverständlich zusammen an den verschiedenen Angeboten teilnehmen können. Ich sehe eine Gemeinschaft, wo die Trennung nach Konfession keine Rolle mehr spielt. Die Kinder können miteinander, mit ihren Klassengspänli, Freundinnen und Freunden am Religionsunterricht teilnehmen und werden nicht getrennt. Es gibt Kirchen mit den verschiedensten Angeboten, diakonisch und vielfältig.

Die Umsetzung

Patricia Stucky:  Es gibt nun sogenannte Hearings, Veranstaltungen, wo die Ideen öffentlich diskutiert werden. Alle sind eingeladen, mitzudenken, mitzuwirken. Wir möchten möglichst viele Menschen dabeihaben, die das Angedachte zu ihrem Projekt machen. Die Menschen haben Wünsche und gute Ideen. Es soll allen offenstehen, bei diesem Projekt mitzumachen.


Manfred Ruch: Es braucht die Zustimmung der verschiedenen Kirchgemeinderäte, und es braucht die breite Abstützung bei den Menschen. Am 25. Mai ist das nächste Hearing geplant. Da werden wir verschiedene Bereiche wie Gottesdienst, Religionsunterricht, Diakonie, Kinder- und Jugendarbeit präsentieren. Wir hoffen, dass Menschen kommen, die Kinder im Schulalter haben und ihre Rückmeldungen geben, ob sie sich das so vorstellen könnten. Wir probieren ein Bild einer künftigen Kirchgemeinde zu entwerfen. Daneben braucht es natürlich das Wohlwollen oder zumindest das Gewährenlassen des Bischofs. Meine Hoffnung ist, dass es auch da Feuer fängt. Das Beste wäre, wenn unser Projekt als Aufbruchsignal gedeutet werden könnte, in einer Zeit, die alles andere als Wachstum und Aufbruch für die Kirche bedeutet.
 

Jürg Liechti-Möri: Beide Kirchen sind in einer Krise, in beiden Kirchen gibt es aber vieles, das lebt, an dem festzuhalten sich lohnt. Im optimalen Fall stärken sich die aufbauenden Kräfte in diesem ökumenischen Prozess gegenseitig und geben ein starkes Zeichen von kirchlicher Präsenz im Quartier. Wichtig aber ist, dass das Projekt und die Umsetzung nicht nur von uns Mitarbeitenden getragen wird, sondern dass möglichst viele sich einmischen und mitdenken

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