Es ist Frühling 2021. Was hat die Kirche aus der Corona-Krise gelernt? Verschiedene Autor*innen blicken auf 2020 zurück und zeigen auf, wie sich die Kirche bis dahin entwickelt hat. Ein Gedankenexperiment.

Sich neu erfinden

von Jacqueline Keune, Theologin

Wieder ist April, wenn auch ein kälterer und nässerer als letztes Jahr. Warum ich mich so genau erinnere? Weil April 2020 jener war, in dem dieses Virus die Einen von uns tagelang auf dem warmen Balkon hat sitzen und die Anderen bis zum Umfallen hat schuften lassen.

Die Welt danach
Wieder ist ein Jahr vorbei. Die Überschriften aber, die habe ich noch immer vor Augen. «Die Welt danach wird eine andere sein» und «Danach wird nichts mehr so sein wie zuvor». Habe ich sie schon damals ungläubig gelesen, so kommen sie mir heute noch unwirklicher vor. Alles anders wegen ein paar Wochen Zwangspause?

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– Wo doch nicht einmal sechs Millionen Morde ausgereicht hatten, um den Hass gegen das Jüdische mit Stumpf und Stiel auszurotten. Damals glaubte man: «Nie wieder Krieg!» und letzten April: «Die Welt danach – eine andere.»

Wie eh und je

Nun, ein Jahr später, sind die inneren Widersprüche verträglich wie eh und je. Die Wolken müssen sich den Himmel wieder mit den Flugzeugen teilen, die Motoren der Wirtschaft laufen noch geschmierter, um Verlorenes einzuholen, und die Geschäfte tragen Rabattschlachten aus, um aus kurzzeitig Unabhängigen wieder Konsument*innen zu machen. Und hat uns das Virus vergangenen Frühling diesen Musse-Monat beschert, so haben wir die Zeit längst wieder zum knappen Gut erklärt.
Die anderen Güter werden wieder international umhergeschoben, derweil das Denken nationaler geworden ist (wo wir letzten April noch gedacht haben, dass es umgekehrt sein sollte). Und die Kirchen, die haben alle die Andachten im Netz und die Anrufe wieder runter- und alle die Gottesdienste und Sitzungen, die nicht viele vermisst hatten, wieder raufgefahren. Nur die Tochter, die wird einfach nicht fertig damit, dass sie die letzten Tage im Leben ihrer Mutter nicht bei ihr war. Und der Fabrikbesitzer, der bricht auf dem Konkursamt in Tränen aus, als er seinen Namen auf das Papier setzt. Und ich, ich wasche mir die Hände anders als früher und zucke immer noch leicht zusammen, wenn mir jemand zu nah kommt.

Geschärfte Sicht

Nein, viel Neues hat das Virus nicht geschaffen, vielleicht aber die Sicht auf «Altes» geschärft. Dass die Einen von uns verletzlicher sind als die Anderen, dass Reisen keine Selbstverständlichkeit ist und wir über unsere Verhältnisse leben. Dass es glücklicher macht, wenig zu brauchen, denn viel zu haben, und die Schöpfung ohne uns weit besser dran wäre. Und wie wichtig und wertvoll alle die Pflegefachfrauen und Kehrichtmänner, die Verkäuferinnen an den Kassen und die Lastwagenfahrer hinter den Lenkrädern sind.

Geschmack vom Anderen

Und die vergangenen Apriltage haben einen Geschmack vom Anderen auf die Zungen gelegt. Von dem, wie es auch sein könnte. Ein Leben mit mehr Spazieren im Wald, mehr Spielen mit den Kindern, mehr gemeinsam kochen und weniger Handtaschen, Frühaufstehen und Druck im Nacken. Ein Leben, das nachfragt, wie es Anderen geht und was sie nötig haben. Ein Leben mit einer Wirtschaft, die die Grundbedürfnisse der Menschen und das Gemeinwohl sichert. Mit Banken, die das tun, wofür sie einmal geschaffen worden sind: zu vermitteln zwischen denen, die mehr Geld haben, als sie brauchen, und denen, die zu wenig davon haben. Und mit Kirchen, die Zeit haben und zuhören. Die in die Wohnblocks und Asylunterkünfte und Pflegeheime gehen und Bündnisse bilden mit anderen. Die zu Tischgemeinschaften und Gesprächsabenden einladen, an denen die Menschen zusammenlegen, was sie in ihren Alltagen erfahren. Mit Kirchen, die keine Lust mehr haben auf einsam entworfene Monolog-Gottesdienste und immer noch anziehendere Angebote für Konsumierende, sondern sich zusammen mit den Menschen neu erfinden. Und mit Kirchen, die mit den Kleinen und den Grossen Visionen für den gemeinsamen Lebensraum entwickeln und in aller Hoffnungslosigkeit an der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde festhalten und ihr immer neu ein Gesicht geben.

Nicht bleiben

Oh nein, die Dinge müssen nicht bleiben, wie sie immer schon waren, das hat mir der letzte April deutlich vor Augen geführt. Und wie rasch sie sich ändern können und könnten, wenn wir es denn nur innig genug wollten.

 

Zurück in die Zukunft: Pfarreibrief 2021

von Anne Burgmer, Theologin und Pfarreiseelsorgerin


Liebe Pfarreimitglieder
der neuen Pfarrei Theresa von Avila

Dieser rückblickende Pfarreibrief ist allgemeiner gehalten als sonst. Die Mitteilungen zu Veranstaltungen, die Namen der Verstorbenen sowie andere Informationen finden Sie am Schluss, oder – falls Sie den Podcast hören – ab Minute 23. Den Kinder- und Jugendbrief/-podcast gibt es wie immer separat – diesen Monat führten die Minis Regie. Falls Sie Unterstützung bei technischen Fragen benötigen, finden Sie alle Kontaktdaten der Generationengruppe auf der Pfarreiwebseite.

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Für Hausbesuche im Lockdown und persönliche Gespräche stehen wir jederzeit zur Verfügung.

Im ersten Corona-Lockdown veröffentlichten wir vor rund einem Jahr einen recht hilflosen und offenen Fragenkatalog: Wie können wir Kirche und Gemeinschaft sein, wenn wir uns nicht versammeln dürfen? Wo ist unser eigener Glaube durch den Lockdown in Frage gestellt? Was ist überhaupt der Kern unseres Glaubens? Wie soll das mit der Kirche weitergehen?

Wir rannten damit offene Türen bei Ihnen ein. Die Kommunikation auf Augenhöhe hat Ihnen gefallen, und es etablierten sich schnell ein monatlicher Brief und Podcast. Im Kielwasser entstanden andere Projekte und thematische Diskussionen. Es bildeten sich Gruppen, die Hausgottesdienste entwarfen oder das Videostundengebet lancierten. Die Frage, welche Kommunikationskanäle besser sind, stellte sich seitdem nicht mehr. Sie sind alle gut, wenn sie den Menschen dienen. So pflegen wir Online-Treffen per Zoom ebenso wie die Gartenzaungespräche. Der Austausch per Mail, Brief, Telefon oder Messenger wird gleichermassen genutzt. Die Hörer*innenzahl beim Pfarreipodcast wächst. Genauso passé ist das Gegenüber von «Seelsorgenden und Gläubigen». Wir sind alle Kirche. Wir sind alle Suchende. Wir sind alle Expertinnen und Experten des eigenen Glaubens und gehen gemeinsam Gottes Spuren in unserem Leben nach.

Wo dieser Wechsel in der Pastoral verpasst wurde, schrumpfen Kirchgemeinden. Wir dürfen uns hier in der neuen Pfarrei Theresa von Avila glücklich schätzen, denn Kirchenrat und Seelsorgeteam haben an einem Strick gezogen und zum März 2021 in Rekordzeit neue pastorale Modelle entwickelt und erste finanzielle Grundlagen dafür geschaffen. In gewisser Weise hat die Corona-Pandemie zwar die bestehende Krise der Kirche verschärft. Gleichzeitig hat sie – wie hier in der Pfarrei Theresa von Avila – zu Neuanfängen geführt.

Als wir Sie im letzten Brief/Podcast nach dem prägendsten Ereignis des letzten Jahres gefragt haben, antworteten Sie mit überwältigender Mehrheit: die zweite Corona-Welle und ihre Folgen. Das einsame Sterben vieler Menschen jeden Alters in den Spitälern und Heimen; das erschreckende Schweigen der offiziellen Kirchen dazu. Doch auch aus diesem Schock heraus entstand Heilsames: Die sogenannten «Kleinen Heiligen» leben als moderne Eremiten unter einfachsten Bedingungen in den Spitälern und Heimen und stehen den Kranken und Sterbenden bei. Denn Angehörige dürfen ja an vielen Orten weiterhin nicht in die Spitäler. Diese Frauen und Männer stellen sich aus Nächstenliebe und ohne Angst um ihr eigenes Leben in diesen Dienst und bitten erneut um Spenden und das begleitende Gebet.

Wir wissen, dass auch Angehörige unserer Pfarrei durch «Kleine Heilige» begleitet wurden und so nicht allein sterben mussten. Wir danken diesen Menschen von Herzen dafür, dass sie da sind. Am Schluss wie immer der Hinweis auf die neue Liturgie für die Hausgemeinde: Das Ehepaar Wernli hat gemeinsam mit Familie Obrist die biblischen Texte der kommenden Wochen gelesen und Fragen und Gedanken formuliert. Dazu haben Sie Vorschläge für Lieder und Gebete aus dem «Liturgiebuch für die Hausgemeinde der Pfarrei Teresa von Avila» zusammengestellt. Ob hier in der Region oder an anderen Orten in der Schweiz oder gar im deutschsprachigen Ausland – wir sind gemeinsam die neue Pfarrei Teresa von Avila. Wir wollen gemeinsam gelingendes Leben gestalten. Danke für Ihre Spenden, Rückmeldungen und Ihr Mittun. Gott segne Sie. Tragen Sie sich Sorge bis zum nächsten Mal.

Ihr Team der neuen Pfarrei Theresa von Avila

 

Ein Jahr lang Pfingsten feiern

von Lukas Fries-Schmid, Theologe, www.sonnenhuegel.org

Plötzlich sind die Kirchen leer. Es finden keine öffentlichen Gottesdienste mehr statt. Das ist bedauernswert. Aber auch eine Chance. Denn: Die Kirchen sind schon lange leer. Seit Jahrzehnten ist der regelmässige Gottesdienstbesuch am Sonntag für die Meisten eher die Ausnahme als die Regel. Dass man inmitten einer Krise an Altem festhält, ist zwar weit verbreitet, aber nicht hilfreich. Darum erstaunt es mich, wieviel Energie gerade jetzt darin investiert wird, den Sonntagsgottesdienst aufrechtzuerhalten oder wieder in Gang zu bringen. Zuerst die «Privatmessen» und Livestream aus leeren Kirchenhallen. Nun aufwändige Schutzkonzepte und Gottesdienste mit Zugangsbeschränkungen – als ob wir nicht seit Jahren die vielen leer gebliebenen Plätze in den Kirchen beklagen.

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Mit dieser Fokussierung auf die sonntägliche Liturgie geraten – einmal mehr – jene aus dem Blickfeld, die sich von den gängigen Ausdrucksformen der Kirche schon lange nicht mehr angesprochen fühlen. Viele von ihnen haben sich von der Kirche verabschiedet. Andere fanden einen Weg, sich engagiert und selbstermächtigend in eine Nische zurückzuziehen: Manche unterhalten Treffpunkte, wo sich Menschen begegnen und tragfähigen sozialen Austausch erleben. Andere engagieren sich in diakonischen Angeboten, welche Lücken im sozialen Angebot schliessen. Und etliche feiern Gottesdienste ausserhalb der Kirchengebäude: Basisgruppen, die sich seit jeher regelmässig in Wohnungen und Häusern treffen zum Austausch und Feiern; Gemeinschaften, die auch ohne Priester Brot brechen und Wein teilen; Stubenmessen; Familien, die nicht bloss vor dem Essen zusammen danken und beten – und all dies schon vor Corona.

Gerade die Not der gegenwärtigen Situation beflügelt die Suche abseits des Gewohnten: Eine Frau hat mir erzählt, wie sie in den Tagen des Lockdown an einem Feiertag eine Kirche in ihrer Stadt aufgesucht hat. Zu ihrer Überraschung waren einige andere Gläubige zum selben Zeitpunkt da. Spontan hat sich aus dieser Begegnung ein Gottesdienst entwickelt: Jemand hat ein Lied angestimmt. Eine Andere hat die biblische Lesung des Tages vorgetragen. Dazwischen hat jemand auf der mitgebrachten Klarinette Musik gespielt. Alle gemeinsam haben sie Fürbitten gehalten. Und am Schluss hat jemand den Segen gesprochen. Wo ein Bedürfnis ist, findet sich ein Weg …

Vor Jahren hat ein kirchlicher Hauptamtlicher gesagt: «Eigentlich sollten wir einmal das Kirchenjahr aussetzen und ein ganzes Jahr lang Pfingsten feiern. Damit wir Zeit haben, darauf zu hören, wonach die Menschen suchen.» Oder mit den Worten eines deutschen Diözesanratssprechers: «Wir hören Formeln, Mahnungen, Belehrungen. Die Kirche hält an Dingen fest, um die es im Kern überhaupt nicht geht.»

Jetzt wäre eine gute Zeit, auf gewohnte Formeln zu verzichten. Weil wir uns in dieser Zeit erst recht überlegen müssen, worum es geht. Jetzt wäre eine gute Zeit, das Kirchenjahr auszusetzen. Weil in dieser Zeit vieles von dem, was wir uns gewohnt sind, ohnehin nicht geht. Jetzt wäre eine gute Zeit für eucharistisches Fasten. Weil wir in dieser Zeit unsere Sinne für die Gegenwart Gottes neu schärfen müssen. Jetzt wäre eine gute Zeit, diejenigen zur Sprache kommen zu lassen, die sich verabschiedet haben. Weil in dieser Zeit viele Menschen einen neuen Hunger nach Sinn und Orientierung verspüren. Jetzt wäre eine gute Zeit, den Rand in die Mitte zu rücken. Weil in dieser Zeit viele vom Leben in den Nischen zehren. Jetzt wäre eine gute Zeit, Altes loszulassen. Weil in dieser Zeit mutige Schritte ins Ungewisse gefragt sind. Jetzt wäre eine gute Zeit, auch als Kirche unsere Orientierungslosigkeit einzugestehen. Weil wir in dieser Zeit auf Vertrauen und Hoffnung bauen dürfen.

Denn nach wie vor gilt Jesu’ Wort: «Ich bin mit euch, alle Tage, bis ans Ende der Welt.» Somit wissen wir zwar noch nicht, wo die Kirche in einem Jahr stehen wird. Aber wir kämen neu auf den Weg. Das genügt.

«Wir brauchen eine hörende Kirche»

von Sylvia Stam, Journalistin

Ein Donnerstagabend im April 2021. Peter Meyer, priesterlicher Mitarbeiter einer Pfarrei, ist auf dem Weg zu Familie Müller. Er wurde eingeladen, das wöchentliche Gebet am Donnerstag in der Familie mitzufeiern. Frau Müller zündet eine Kerze an und stellt sie vor das Fenster. Was zu Beginn des Lockdown von den Landeskirchen als Zeichen der Verbundenheit ausgerufen wurde, hat sich als festes Ritual in der Familie etabliert: Gemeinsam beten sie ein Vater-und-Mutter-Unser, singen ein Lied, formulieren reihum eine Fürbitte. Für den depressiven Arbeitskollegen, für die Eisbären, die unter der Klimaerwärmung leiden, für eine gute Note in der Französisch-Prüfung.

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Neue Rolle des Priesters

Es dauerte mehrere Monate, ehe sich Meyer an die neue Rolle als blosser Teilnehmer gewöhnt hatte. In einem schmerzhaften Prozess hatte er lernen müssen, dass die Gläubigen während den Wochen des Lockdown eine eigene spirituelle Praxis entwickelt hatten.

Dabei hatte es zuerst ganz anders ausgesehen.

Gross war die Freude, als nach Wochen gestreamter Gottesdienste und Privatmessen die Kirchen wieder öffnen durften – vorderhand für maximal 15 Personen. Möglich wurde dies dank dem beherzten Einsatz von Bischof Felix Gmür. Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz sprach persönlich bei Gesundheitsminister Alain Berset – seines Zeichens Katholik - vor, sodass die Kirchen dem Detailhandel gleichgesetzt wurden und Gottesdienste ab Mitte Mai wieder erlaubt.

Kirchenbänke erneut leer

Die Kirchen füllten sich rasch, sodass insbesondere die Anzahl Messen massiv erhöht werden musste – eine Entwicklung, die angesichts des Priestermangels auch mit Sorge um die Kräfte der Zelebranten beobachtet wurde.

Die Sorge sollte unbegründet bleiben. Schon im Sommer flaute das Bedürfnis nach Gottesdiensten ab, die Kirchgänger*innen blieben aus, und die Kirchenbänke erneut leer.

Was hingegen nicht abflaute, waren die zahlreichen persönlichen Gespräche, welche das Pfarreiteam in der Corona-Krise intensiviert hatte. Damals hatte die Gemeindeleiterin gemeinsam mit dem ganzen Pfarreiteam einen Plan erstellt: Reihum riefen sie alle Mitglieder der Pfarrei an und fragten nach ihrem Wohlergehen.

Priesterliche Berufung der Gläubigen

In diesen Gesprächen erfuhr das Team, dass die Gläubigen sich schon bald nach Ostern 2020 nicht mehr mit der blossen Konsumation von virtuellen Gottesdiensten begnügt hatten. Vielmehr hatten sie sich auf ihre priesterliche Berufung als Getaufte besonnen und angefangen, im kleinen Kreis selber Gottesdienste zu feiern. Materialien dazu fanden sich online genügend.

Als öffentliche Gottesdienste wieder möglich waren, wurde diesen Gläubigen bewusst, wie passiv ihre Rolle darin war. Sie behielten daher ihre häuslichen Feiern bei und blieben der Kirche fern. Manche beteten das Vaterunser, andere lasen das Tagesevangelium, wieder andere machten ein Bibelteilen, manche teilten auch Brot und Wein. Die einen sangen, andere musizierten – je nach den Fähigkeiten der Einzelnen. Zelebranten gab es kaum, meistens genügte eine Moderation.

Das Seelsorgeteam reagierte unterschiedlich auf diese Entwicklung. Die einen freuten sich über so viel Kreativität, andere fürchteten um die Einheit der Kirche. Die Gemeindeleiterin nahm die Sache auf jeden Fall sehr ernst.

Charismen nutzen

Inzwischen erarbeitet das Seelsorgeteam ein Konzept, wie die Charismen der Gläubigen für das gemeinsame Feiern als Pfarrei genutzt werden können. Erste Experimente mit Gottesdiensten, Gebetsformen und Mahlfeiern, von Pfarreimitgliedern gestaltet, laufen bereits.

Die Kirchen sind dadurch nicht voller geworden, das kirchliche Leben jedoch vielfältiger, lebendiger und partizipativer. Auch Messen finden weiterhin statt, jedoch nur noch alle zwei Monate. Peter Meyer ist dankbar für die Zeit, die er dadurch gewonnen hat. Er nutzt sie, wie alle im Team, für persönliche Gespräche. Die Kirche, so scheint ihm, ist nach Corona das geworden, was Papst Franziskus schon lange fordert: «Wir brauchen eine hörende Kirche.»

Unter neuen Bedingungen glauben lernen

Vom Team der Fachstelle Religionspädagogik Bern

Ein Jahr ist seit dem grossen Lockdown vergangen. Fast genauso lange hat es gedauert, bis die Welt zu einem einigermassen regelmässigen Alltag zurückgefunden hat. Zuvor blieben die Schulen Monate lang geschlossen und Versammlungen waren ebenfalls untersagt. Für kirchliche Angestellte ein Gau: keine Gottesdienste, keine Gemeinde bildenden Anlässe, keinen Religionsunterricht …
Diesen Frühling 2021 aber kann das Team der Fachstelle Religionspädagogik wieder gemeinsam in eine zweitägige Retraite fahren. Wir haben viel zu tun. Unser Arbeitsfeld ist in Bewegung und vieles will neu gedacht werden. Das war vor der Corona-Krise schon so. Doch Corona verlangsamt und beschleunigt Entwicklungen gleichermassen. Für uns eine grosse Herausforderung!

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Wir packen diese am Schopf und versuchen uns als Erstes an einer Auslegeordnung der neuen Situation. Die Corona-Krise hat die Kirche durchgeschüttelt, sie hat aber auch viel Kreativität freigesetzt.  

Neue Verbindlichkeit gemeinsamer Feiern

Pfarreien, die sich vorher mit den neuen technischen Möglichkeiten schwergetan hatten, streamten plötzlich Gebetsmomente, Kontemplationen, Andachten und Sonntagsgottesdienste. Das gefiel natürlich nicht allen; Gottesdienste gehen nicht ohne Gemeinschaft! «Die Kirche ist doch mehr als Gottesdienst!» So tönte es von Kritiker*innen. Doch vielen Menschen kamen diese neuen Ange bote sehr gelegen. Sie fühlten sich abgeholt mit ihrem Bedürfnis nach einem besinnlichen Moment und nach Zugehörigkeit zu dieser katholischen Kirche und ihren Formen.

Spannend war zu beobachten, dass diese Angebote mit den Lockerungsmassnahmen nicht einfach verschwanden. Während sich heute wieder an manchen Orten Gruppen von Menschen zum gemeinsamen Gebet treffen, bleiben nach wie vor viele weg, die in den gestreamten Angeboten genügend spirituelle Nahrung finden. Für die Gruppen vor Ort keine einfache Situation, sind sie doch umso stärker gefordert, miteinander solidarisch zu werden, was dem gemeinsamen Feiern eine spürbar grössere Verbindlichkeit verleiht. Im Feiern aus dem Alltag und aus persönlicher Betroffenheit heraus teilen Menschen sich einander mit, sie tragen und ertragen einander. So stärkt das Teilen und Feiern aller Höhen und Tiefen des Lebens die Gemeinschaften, ist Zunder für solidarisches Handeln und Bestärkung für das gemeinsame Weitergehen zugleich.

Die Ressourcen werden knapper

So nötig dieser Lockdown zur Bekämpfung des Virus war, so schwierig waren und sind seine Folgen für die Wirtschaft. Um nahezu zehn Prozent ist die Wirtschaftsleistung in der Schweiz im Jahr 2020 geschrumpft. Viele Menschen sind nach wie vor arbeitslos. Gewisse Wirtschaftszweige werden sich von der Krise voraussichtlich nicht mehr erholen. Natürlich, die Politiker*innen bemühen sich nach Kräften, die Wirtschaft zu stärken, und es sind viele Initiativen zu beobachten, die eine klimafreundliche Wirtschaft vorantreiben. Insofern war die Krise auch Chance.

Die eingebrochenen Steuer einnahmen sind jedoch für die Kirchen eine echte Herausforderung. Doch haben die knapper werdenden Ressourcen die Gestaltungskraft gefördert: Partizipation, Menschen aus den Gemeinden zu beteiligen, ist heute nicht mehr eine pastorale Option, sondern eine Notwendigkeit. Wer sich engagiert, trägt mit. So haben wir vom Team der Fachstelle in den letzten Monaten in vielen Pfarreien neue Aufbrüche beobachtet:

  • Eine Gruppe von engagierten Menschen, die während der Corona-Zeit für Randständige gekocht hat, bietet neu einmal in der Woche einen «Mittagstisch für Familien und die ganze Pfarrei» an. Sie entlastet so die familiären Systeme und ermöglicht soziale Kontakte.
  • Gefirmte Jugendliche setzten sich ein, dass ihr Glaube an Kinder weitergegeben werden kann, und engagieren sich ehrenamtlich in der Katechese von kleineren Kindern.
  • Eine Gruppe von Menschen, die in der Corona-Krise ihre Arbeit verloren haben, unterstützt Familien und Angehörige von Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten in den anspruchsvollen Betreuungsaufgaben. Durch ein Crowdfunding ist ein stattlicher Betrag zusammengekommen, der eine kleine Entlöhnung der Betreuer*innen ermöglicht.
  • Die Ministrant*innen haben in der Zeit der Corona-Krise eine Suche-Biete-App entwickelt. Inzwischen haben viele Menschen aus der Pfarrei diese App auf ihrem Handy und vernetzen sich auf diesem Weg. Jugendliche helfen Rentner*innen beim Rasenmähen, Einkaufen oder bei Fragen zu technischen Geräten, während ältere Menschen die Kinder einer überlasteten Familie betreuen, Gegenstände flicken oder Migrant*innen bei Übersetzungen helfen. Die App hat viele neue Kontakte ermöglicht und für die Pfarrei ein schönes Netzwerk geschaffen.
  • Die Sozialarbeiter*innen aller Pfarreien des Pastoralraumes haben gemeinsam ein «Umverteil»-Projekt aufgebaut. Sie sammeln an zwei Nachmittagen wöchentlich Warenspenden, Nahrungsmittel, Kosmetika, Kleider und Spielzeug und beliefern damit bedürftige Personen. Eine weiterführende Zusammenarbeit mit den Caritas-Märkten ist angedacht.
  • Die Schulleitungen der Sekundarschulen des Ortes haben aktiv mit Religionslehrpersonen Kontakt aufgenommen. Seit Corona haben Fragen zu Sinn und Religion in der Schule stark zugenommen und die Lehrpersonen wünschen sich Unterstützung.
  • Angeregt über einen Onlinewettbewerb der Pfarrei haben Jugendliche Bilder zu Ostern, zum Leben nach dem Tod und zur Auferstehung gemalt. Auch Videobeiträge kamen zustande. Die Werke konnten zur Wiedereröffnung im Quartiertreff ausgestellt werden.
  • Nachdem die durch Corona verursachte Isolation endlich aufgehoben werden konnte, führen die Frauengemeinschaft und eine Gruppe engagierter Eltern nun jeden Nachmittag ein Pfarreikaffee. Das bunte Kommen und Gehen belebt nicht nur die Pfarreiräume, sondern auch das Quartierleben.

Interesse an Glaubensfragen

Beobachten auch Sie in Ihrer Pfarrei solche Aufbrüche? Diese engagierten Aufbrüche begeistern und ziehen an. Ebenso wie die Gruppen, die in Gottesdiensten gemeinsam ihr Leben vor Gott legen, danken, sich stärken lassen und feiern. Das Team der Fachstelle bezeichnet dies als «Landschaft von Gruppierun gen», eine Gemeinschaft von Gemeinschaften, die miteinander auf dem Weg sind, handelnd, suchend, feiernd, liebend. In so eine Gemeinschaft wachsen Kinder sehr natürlich einfach hinein, genauso handelnd, suchend, feiernd, liebend, wie wir Erwachsenen auch. Und was die Erwachsenen angeht, so fällt uns auf, dass uns in den letzten Monaten immer wieder Katechet*innen und Seelsorger*innen von berührenden, tiefen, anregenden Gesprächen – selbst geführten oder gehörten – berichten, in denen Menschen sich gegenseitig nach ihrer Hoffnung fragen, miteinander nach Antworten suchen und gemeinsam ringen um Deutungen für das Leben.

Raum – Zeit – Haltungen

Für uns als religionspädagogische Fachstelle ist die Versuchung wohl gross, hier gleich wieder mit einem Angebot aufzuwarten. Doch vielleicht reichen auch einfach Möglichkeiten zu Begegnungen und kleine Impulse? Wir haben uns vorgenommen, die Entschleunigung, die Corona uns auferlegt hat, zum Programm zu machen. Vieles entsteht erst, wenn es Raum bekommt zu wachsen. Manchmal äussern Menschen ihre Bedürfnisse auch erst, wenn sie sicher sind, gehört zu werden. Und so ist unsere erste Erkenntnis in dieser Teamretraite 2021: Raum geben, zuhören, entstehen lassen! Und vertrauen: Vertrauen, dass es gut kommt und dass da Menschen sind, die an dieser Kirche und dieser Gesellschaft mit uns bauen!

 

Wir erkannten ..

Von Dr. Andreas M. Walker, Zukunftsforscher

Endlich können wir im Mai 2021 in unserer Pfarrei wieder eine Erstkommunion im gewohnten Rahmen feiern, endlich können wir wieder gemeinsam Eucharistie feiern, zwar nicht am Weissen Sonntag, da dort noch Versammlungsverbot galt, aber immerhin zu Pfingsten. Wie schön ist doch diese Idee, dass wir die Erstkommunion des letzten und dieses Jahrganges auf diesen Tag gelegt haben, diesem ersten gemeinsamen Pfarreigottesdienst nach der zweiten Welle von Covid-19.
Diesen Frühling 2021 kam endlich der Durchbruch, eine Impfung war da und wurde breit akzeptiert. So konnte nun eine Woche vor Pfingsten der zweite grosse Lockdown endlich aufgehoben werden und gemeinsame Gottesdienste waren wieder möglich.

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Wie waren wir damals im Frühsommer 2020 erleichtert, als die Fallzahlen in der Schweiz sanken und der Bundesrat die Massnahmen lockerte. Massnahmen, die wir brav befolgt hatten, obwohl wir in unseren Kirchen uneins waren, ob es gut und sinnvoll war, dass der Staat uns unsere Gottesdienste so lange verboten hatte. Wir freuten uns einfach nur auf eine schnelle Rückkehr zur Normalität im Sommer. Doch dann wurde es bitter: trotz Bekundungen vieler Volkswirte und Wirtschaftspolitiker kam es im Sommer nicht zur schnellen Erholung der Wirtschaft. Die finanziellen Stützmassnahmen von Bund und Kantonen reichten nicht. Die Rezession kam - und sie blieb.

Und auch die humanitären Spenden gingen drastisch zurück, was Fastenopfer und Caritas hart traf. Infolge der anbrechenden Rezession kam dann die mediale und politische Schlammschlacht ziemlich schnell. Und diese war für unsere Schweizer Kultur erschreckend aggressiv. Jeder wusste es besser, jeder zitierte eine andere Quelle oder eine andere Statistik. Ich erinnere mich noch gut an die damalige Zoom-Konferenz mit den anderen Pfarreiräten: Wir waren ziemlich konfus: Was stimmte denn nun wirklich? Wem können wir noch vertrauen? Wie gehen wir nun mit Fehlentscheiden, mit Verantwortung und mit Schuld um?

Wir erkannten, dass es dabei um grundlegende christliche Themen ging: Um Wahrheit und Vertrauenswürdigkeit. Um Friedenstiften und um Versöhnung. Um Gemeinschaft und Vergebung, die wir in der Eucharistie feiern wollten. Und so setzten sich immer mehr Kirchen und Christen für die politische Kultur in unserem Lande ein.

Auch in unserer Pfarrei hatten wir erkannt, dass die Bibel eigentlich drei christliche Tugenden lehrte: Glaube, Liebe und Hoffnung. Und wir erkannten, wie häufig Dispute um den richtigen Glauben unser religiöses Engagement prägte – aber nun ging es eben um Liebe und Hoffnung. Und die Enzyklika Spe Salvi von Papst Benedikt XVI war relevant wie noch nie.

Tragischerweise wurde dann im Spätherbst 2020 klar, dass wir nicht um eine zweite Welle herumkamen. Die Situation in den armen Ländern und die Dunkelziffer in den Megacities in Asien und Afrika war weitaus dramatischer als lange gedacht. Der Virus mutierte. Die Euphorie nach dem Ende des Lockdowns hatte zu Unvorsichtigkeiten geführt, die wir nun bereuen sollten. Jetzt zeigte sich, wie heimtückisch Corona war. Zu viele Fragen waren noch offen, das Krankheitsbild immer wieder unklar, kein Impfstoff war in Sicht. Auch unsere weltweite katholische Kirche war davon betroffen: diverse Kardinäle, die wichtige kirchenpolitische Meinungsmacher waren, und insbesondere zahlreiche Nonnen, Mönche und Priester, die sich an den Krankenbetten angesteckt hatten, verstarben. Und irgendwann konnte jeder von einem schweren Krankheits- oder Todesfall in seinem familiären oder kirchlichen Umfeld erzählen.

Corona war keine abstruses Phänomen der Medien und Statistiken mehr wie im Frühling 2020, sondern für jeden konkret geworden. War dies nun der Kairos Moment für die Kirchen? Obwohl Papst Franziskus schon im April 2020 dazu aufgerufen hatte – eine Umkehr fand nicht statt. Obwohl zahlreiche Pfingst- und Freikirchen weltweit zu Busse und Gebet aufgerufen hatten – ein göttliches Wunder fand nicht statt. Es war so deutlich: Unsere Bildungs- und Wissensgesellschaft war überfordert durch Corona, weil Unwissen und Ungewissheit das prägende Gefühl über Monate waren. Obwohl manche sehr unter diesem Verlust litten und immer wieder auf den geistlich nicht zu unterschätzenden Wert der Sakramente hinwiesen, der staatlich erzwungene Verzicht auf unsere gewohnte Liturgie und Eucharistie führte zu einer Neuorientierung.

Dabei wurde zur zentralen Frage: Was bleibt von Kirche übrig – ohne Gottesdienst, ohne Eucharistie, ohne Priester? Anfangs war es ungewohnt, ohne die Hilfe unserer Priester und Pfarrer über unseren christlichen Glauben zu reden. Und so begannen wir, uns in der Nachbarschaft oder beim Warten vor einem Geschäft miteinander auszutauschen, nicht im Streit über Politik oder Religion, sondern im Austausch, was uns konkret half, diese ungewisse Zeit zu meistern.

Wir mussten in unseren Familien und der Nachbarschaft einen Weg finden, wie wir mit der Unsicherheit, der Langeweile, den Einschränkungen und den zahlreichen schwelenden Konflikten aufgrund der erzwungenen Nähe zurechtkamen. Nach einer Phase des massiven Internet-, Netflix- und Porno-Konsums wurden wir diesem überdrüssig und wir begannen, wieder zu suchen und zu lesen.

Corona hatte uns entschleunigt und lehrte uns nach Jahren des Konsums und der Ablenkung wieder zu sinnieren. Wir sehnten uns nach guten Beziehungen und echten Gesprächen. Unsere Spiritualität durchlief einen bemerkenswerten Wandel. Wir wollten nicht mehr über den formell und dogmatisch richtigen Glauben streiten. Wir suchten etwas, das uns Mut gab. Etwas, das uns Hoffnung gab, dran zu bleiben, um Lebenswille und Lebensfreude zu behalten, auch wenn vieles einfach mühsam und unklar blieb. Wir suchten etwas, das uns ein friedliches und positives Zusammenleben ermöglichte. Da wir nicht mehr regelmässig zur Messe gehen konnten, begannen wir schliesslich mit einfachen liturgischen Hausandachten. Wir hatten ein altes Stundenbuch, die Familienbibel und die gesammelten Heiligenerzählungen unserer Omi wieder ausgegraben und lasen regelmässig den Rundbrief eines befreundeten Klosters.

Und so erlebten wir schliesslich ein neues Pfingsten, ein anderes Pfingsten, eben nicht von den grossen Kirchenführern und den grossen kirchlichen Organisationen her, sondern von den Christen an der Basis her, in den kleinen Zellen unserer Paare und Familien, oder wie das nun neudeutsch hiess: in unseren Infektionsgemeinschaften. Lehrte nicht bereits Jesus: «Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind»? Also weniger als fünf, dann war ja alles in Ordnung. So wie bereits beim ersten Pfingsten der Heilige Geist und die Erkenntnis Gottes über alle Gläubigen ausgegossen worden ist, fanden wir uns nun als die einfachen Leute der Basis. Wir erkannten, dass Leiden, mühseliges Ausharren und Krankheit in der Bibel und in den alten Geschichten schon immer ein Thema waren. Und trotzdem haben die Menschen ihren Glauben nicht aufgegeben.

Wir realisierten, dass wir das Elend von Ungewissheit, Krankheit und Angst weder an unsere Kirche noch an unsere Priester delegieren konnten, sondern dass wir als Christen in unseren Familien selber mutig in diese Bresche springen mussten. Wir erkannten, wie hilfreich die kleinen Freuden der Nachbarschaftshilfe waren, wie wir als Menschen näher zusammengerückt waren, egal ob katholisch oder reformiert, Landeskirche oder Freikirche, Moslem oder Atheist.

Wir spürten, wie wichtig Versöhnung und innerer Friede waren. Und so merkten wir, wie allmählich eine diakonische Kirche in uns erstarkte. Und unser Gottesbild hatte begonnen, sich zu wandeln: Als konsumverwöhnte und ungeduldige Christen suchten wir keinen wundertätigen und schicksalswendenden Gott mehr, sondern wir fanden einen mitleidenden und mittragenden Gott, der uns trösten und uns Hoffnung spenden konnte, weil uns die Bibel und unsere Heiligenlegenden so viele Geschichten erzählen, in denen gerade auch Jesus gelitten und ausgeharrt hat. Ein Jesus, der sich trotz eigenem Leid immer wieder in Diakonie und Nächstenliebe offenbarte.

 

Besuch im Restaurant – eine Regnose

Von Patrik Böhler

Frühling 2021. Ein Jahr ist seit dem grossen Lockdown vergangen. Fast so lange hat es gedauert, bis die Welt zu einem einigermassen regelmässigen Lauf zurück gefunden hat. Zuvor blieben die Beizen lange geschlossen, so auch das Restaurant/Stehbar «No 19» in Solothurn, deren Chefinnen Corinne und Tabera sind.
Sorgen machte ihnen die ungewisse Situation. Als Macherinnen ist es schwer auszuhalten, dass man nicht das machen kann, was man am liebsten macht – Gäste empfangen und sie mit den selbstgemachten Häppli beglücken. Alleine, sagen sie, hätten sie es nicht geschafft. Aber zu zweit konnten sie einander stützen und ermutigen. «Es kommt anders, aber gut», sagten sie zueinander. Deshalb wurde auch ihr Shop ausgebaut.

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Über ihre Webseite www.no19.ch konnte man ein alternatives Osternest bestellen, oder man spendete einen Betrag und von ihnen gemachte Köstlichkeiten wurden in den Spital für das Gesundheitspersonal geliefert.

Der Shop wurde laufend ausgebaut und verändert. Da war mal der Picknickkorb zu bestellen oder ein Päckli für den Muttertag zu versenden. Ihr Motto war und ist, die Leute an einen Tisch zu holen. Aber das war auch nach dem Lockdown mit den Auflagen nicht durchführbar. Auf ihrer Webseite wurde das Anfang Mai 2020 so kundgetan: «Die allgemeine Einstellung zu ‹je enger, desto besser, je mehr, desto lustiger› hat sich in letzter Zeit geändert. Voller Vorfreude haben wir unser kleines Restaurant ausgemessen und ernüchtert festgestellt, dass es kleiner ist als gedacht oder zwei Meter Abstand mehr sind als angenommen.»

Die «No 19» lebt davon, dass Menschen physisch zusammenrücken, an den gleichen Tisch eben. Die Hoffnung und den Glauben haben sie trotz aller Schwierigkeiten nie verloren. Den Glauben an das, was möglich ist mit der Hoffnung, dass es anders, aber wieder gut wird. Diesen Frühling 2021 läuft es wieder rund. Corinne und Tabera sind voll im Schuss in ihrem kleinen Beizli. Sie freuen sich auf Gäste. Denn Gastgeberinnen sind sie am liebsten. Sie haben eine Leidenschaft für das Detail. Im Detail ist Sorgfalt zu entdecken, deshalb gibt es bei ihnen 19 Häppli mit 19 ausgewählten Weinen. Ihr Motto ist «Häpply together», was für sie so viel heisst wie: Miteinander essen ist mehr als essen, es ist auch einander erzählen, was Mut und Freude, aber auch was Sorgen und Angst macht.

Wenn die «No 19» fast voll ist und noch Gäste kommen und deren Blick durch den vollen Raum schweift, sagt eine der beiden zu den Neueintreffenden: «Vielleicht möchten sie dort zu diesen schönen Menschen sitzen, dort an diesen Tisch.» Und die Gäste setzen sich dazu. Bei ihnen sind alle Könige – die Gäste, die Mitarbeitenden und die Lieferanten. Sie sind mit dem Herzen bei der Sache. Im Einfachen liegt die Kraft. Das Einfache ist ein Lächeln im Service und viel Achtsamkeit und Liebe beim Kochen. Und der Funke springt von der Küche in  den Service zu den Gästen.

Da kommt mancher Gast anders hinein als heraus – dann meist mit einem vollen Magen und einem Lächeln auf dem Gesicht. Die Mitarbeitenden bezeichnen die beiden als das Wertvollste. Ihnen gebührt ihrer Meinung die Krone der «No 19» – und «Gott sei Dank haben wir einander», sagen Corinne und Tabera. «Wir sind happy together!»

 

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