Freiwillige Volkskirche

Die Menschen auf den Färöer gelten als sehr religiös. Mitten im Nordatlantik gelegen, ist die Bevölkerung den Naturgewalten besonders ausgesetzt. Die evangelisch-lutherische Volkskirche lebt nur dank den Freiwilligen und Laien. Vor über zehn Jahren hat sich die Inselgruppe von der dänischen Kirche losgelöst. Für Bischof Jógvan Fríðriksson ein nachvollziehbarer Schritt.

Text und Foto: Fabienne Wüthrich, freie Journalistin


Die evangelisch-lutherische Volkskirche auf den Färöern gehörte bis 2007 als Bistum zu Dänemark – mittlerweile ist sie selbstständig. Bischof Jógvan Fríðriksson spricht von einem langen Prozess, der zu dieser Unabhängigkeit geführt hat. Er betont jedoch: «Es war eine friedliche und natürliche Entwicklung.»

Mitten in der färöischen Hauptstadt Tórshavn liegt die Residenz von Bischof Jógvan Fríðriksson. Ankommende werden herzlich empfangen und sofort beim theologisch-geistlichen Oberhaupt der hiesigen Volkskirche angekündigt. Ein stattlicher Mann mit weissen Haaren, einem Schnurrbart, Brille sowie Krawatte kommt die Treppe herunter. Mit einem festen Händedruck begrüsst er den Gast und lacht, als die Frage nach der korrekten Anrede gestellt wird. «Wir sagen hier Du zueinander.»

Fríðriksson wurde vor fast elf Jahren geweiht – als erster Bischof auf den Färöern, seit die evangelisch-lutherische Volkskirche autonom ist. Bis dahin war die Inselgruppe im Nordatlantik ein Bistum Dänemarks. Von einer Abspaltung zu sprechen, findet der 61-Jährige unpassend, denn: «Es war eine friedliche und natürliche Entwicklung.» Vielleicht könne die Trennung von der dänischen Volkskirche sogar als «glückliche Scheidung» bezeichnet werden.

Der Prozess sei allerdings lange gewesen, bis die Volkskirche im Juli 2007 unabhängig wurde. «Die Färinger waren sich nicht einig, ob sie diesen Schritt vollziehen wollten oder nicht.» Die Entscheidung nahm ihnen schliesslich die Regierung ab, als sie die Übernahme der Volkskirche durch den färöischen Staat beschloss – und damit die kirchliche Loslösung von Dänemark. Der Bischof präzisiert: «Die Agenda war politisch, nicht religiös.» Beide Volkskirchen seien nicht direkt in diesen Prozess involviert gewesen.

Enge Beziehung trotz Trennung

Für Fríðriksson ist der Schritt jedoch nachvollziehbar. «Wir haben unsere eigene Sprache, Kultur, eigene Traditionen – und werden immer selbstständiger», sagt er. Zahlreiche Anliegen wie etwa die soziale Verwaltung oder das Schulsystem wurden bereits «nach Hause geholt».

Trotz der Unabhängigkeit sei die Beziehung zur dänischen Volkskirche eng geblieben. Noch immer seien sie auf die Hilfe Dänemarks angewiesen. «Wir sind klein, haben keine Expertise und nicht genug Arbeitskräfte hier, um alle verschiedenen Wirkungsbereiche der Kirche zu pflegen.» Er denkt dabei an Stichworte wie den lutherischen Weltverband oder die «Grüne Kirche».

«Es ist uns bewusst, dass wir in gewissen Bereichen abhängig sind.» Die dänische Volkskirche sei nun einmal viel grösser. Dennoch sieht er einen Vorteil in der Autonomie. Gebe es einen kirchlichen Konflikt auf den Färöern, sei nicht mehr Kopenhagen dafür zuständig. «Das Problem liegt dann auf meinem Schreibtisch und wir müssen es selber lösen.»

Diese Nähe könne aber ebenfalls ein Nachteil sein. «Alle wissen alles.» Über jeden Fehler, den er mache, seien die Färinger schnell informiert. Fríðriksson zeigt sich während des Gesprächs als offener Mensch. Während der Konversation steht er plötzlich auf. Seine Handgeste signalisiert, dass der Gast mitkommen soll. Er präsentiert das Wohnhaus, bietet in der Küche Kekse an. Während des Rundgangs erzählt er von seiner Frau, mit der er seit 40 Jahren verheiratet ist. Seine vier Kinder erwähnt er ebenfalls voller Stolz.

Volkskirche ohne Freiwillige? Unmöglich.

Wieder zurück in seinem Büro sagt Fríðriksson, dass er sich selber als einen Direktor betrachte, der viel administrative Verantwortung habe. Zugleich betont er die Wichtigkeit der ehrenamtlichen Arbeit, denn: Auf den Färöern existieren 61 Kirchen; in 56 davon gibt es jeden Sonntag einen Gottesdienst. Und die insgesamt 25 Pfarrer können in der weitläufigen Insellandschaft nicht überall zur gleichen Zeit sein. Will heissen: In vielen Kirchen werden die Gottesdienste von Laien gehalten. Diese lesen gedruckte Predigten aus einer Hauspostille vor. «Die färöische Volkskirche basiert auf den Freiwilligen und funktioniert nur, weil sie sich aktiv beteiligen», sagt der Bischof überzeugt.

Die 17 bewohnten Inseln zu betreuen, stelle eine Herausforderung dar: In weniger bevölkerten Gebieten gebe es nur eine Art Basisdienst wie Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen. In den dichter besiedelten Regionen seien zum Beispiel die kirchliche Jugend- und Kinderarbeit sowie die Pflege von älteren Personen möglich.

Nichtsdestotrotz: Genug aktive Kirchenmitglieder gibt es. Ob es damit zusammenhängt, dass die Färinger als besonders fromm gelten? Fríðriksson mag diese Aussage nicht. Korrekt sei: «Wir halten an der Kirche und ihren Traditionen fest und nehmen sicher mehr an Gottesdiensten teil als beispielsweise die deutsche Bevölkerung.»

Es verwundert nicht, hat der Bischof auch darüber eine Meinung. Die Färöer waren lange Zeit isoliert – das sei sicherlich ein Erklärungsansatz. «Und noch heute leben wir eng mit der Natur zusammen», sagt er, um zu konkretisieren: «Mit den steilen Klippen und dem rauen Nordatlantik sind wir nahe bei Leben und Tod.» Der Geistliche zeigt dabei Richtung Fenster. Trotz des trüben Wetters ist das unruhige Meer sichtbar. Es lässt erahnen, wie gefährlich es da draussen sein kann.

80 Prozent der Färinger sind evangelisch-lutherisch

Die Färöer liegen zwischen Schottland, Island und Norwegen. Die Inselgruppe gehört zu Dänemark, hat aber eine eigene Regierung und Verwaltung. Sie setzt sich aus 18 Inseln zusammen, wovon 17 bewohnt sind.

Die Hauptstadt ist Tórshavn. Zirka 51'000 Personen leben derzeit auf den Färöern. Davon sind laut Bischof Jógvan Fríðriksson 80 Prozent Mitglied der evangelisch-lutherischen Volkskirche. Zahlenmässig sei die Kirche in den letzten zehn Jahren gewachsen, doch der prozentuale Anteil sei gesunken, weil es mehr Einwohnerinnen und Einwohner gibt, sagt Fríðriksson.

Gemäss einer Schätzung gehören rund 12 bis 15 Prozent den «Plymouth Brethren» an. Der Rest der färöischen Bevölkerung wird zu diversen Freikirchen, der Pfingstbewegung, den Katholiken, Buddhisten und auch Muslimen gezählt – oder es sind Atheisten.

Die katholische Gemeinschaft besitzt laut Fríðriksson in Tórshavn die Marienkirche und hat einen Repräsentanten in der Bibelgesellschaft. Sie sei in den 1930er-Jahren für die Frauenbewegung auf den Färöern zentral gewesen. Als die Frauen zu arbeiten begannen, war die Frage der Kinderbetreuung nicht geklärt. Die katholische Kirche habe Schulen und Kindergärten eröffnet. Sie habe für die Hauptstadt eine «fantastische Bedeutung» gehabt, weil sie damals soziale Verantwortung übernommen hat.

Staatskirche oder nicht?

Oft wird die evangelisch-lutherische Volkskirche auf den Färöern als Staatskirche bezeichnet. Bischof Jógvan Fríðriksson findet diese Bezeichnung nicht korrekt; er spricht lieber von einer Volkskirche. Die Regierung schaffe den Rahmen mit Gesetzen und die Kirche selber kümmere sich um kircheninterne Anliegen. Werde aber eine Entscheidung getroffen, stehe das Parlament über der Kirche.

Der Bischof erhält laut Fríðriksson eine Lizenz von der Regierung; das Oberhaupt der Volkskirche ist der färöische Ministerpräsident. Staatskirche heisst für den Bischof, dass die Kirche durch den Staat gesteuert wird.

«Aber wir haben sowohl direkte als auch indirekte Demokratie in unserer Kirche. Die Mitglieder der Kirche wählen den örtlichen Kirchenrat, der die Interessen der örtlichen Kirchen wahrnimmt», sagt er und erklärt weiter: «Darüber hinaus wählen die Kirchenräte die obersten Organe in der Kirche, die sich um alle Aspekte der färöischen Volkskirche kümmern – zum Beispiel in Bezug auf die Wirtschaft, den Inhalt oder die Praxis.»

Die Kirchensteuer beträgt 0,6 Prozent des Einkommens. Laut Fríðriksson ist die Volkskirche auf den Färöern im nordeuropäischen Raum die kleinste solche Kirche.

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