Solothurner Filmtage

Das katholische Korsett – oder der mühevolle Weg zum Frauenstimmrecht

Erst 50 Jahre ist es her, seit die Schweizerinnen das Stimmrecht erhielten. Sieben Kantone waren auch damals noch dagegen – sieben katholische Kantone. War die katholische Prägung in den Kantonen der Urschweiz mit ein Grund, den Frauen das Stimmrecht zu verweigern? Dieser Frage gingen die Regisseure Beat Bieri und Jörg Huwyler in ihrem Dokumentarfilm nach. Dazu lassen sie engagierte Frauen aus allen Kantonen der Innerschweiz zu Wort kommen und von ihrem Weg zur Selbstermächtigung erzählen.

Es sind nicht nur Politikerinnen wie Judith Stamm oder Cécile Bühlmann, sondern auch Schriftstellerinnen wie Margrit Schriber, Historikerinnen, Juristinnen, Theologinnen: das ganze «Biotop» der Frauen zu dieser Zeit wird im Film dargestellt. Was war das für eine Schweiz vor 50 Jahren? In den ländlichen Kantonen arbeiteten Männer und Frauen Hand in Hand, hatten aber auch eine klare Rollenteilung: der Mann draussen, die Frau innen. Dazu passte auch die hierarchische Struktur der katholischen Kirche, die den Mann als Oberhaupt der Gemeinschaft sah.

«Dienen und gehorchen» war die Rolle der Frau gemäss der katholischen Kirche: Ihr Platz war zuhause, sie musste für Mann und Kinder da sein. Ihr Vorbild: die heilige Maria, die für ihre Demut und ihren Gehorsam verehrt wird. Diese «göttliche Ordnung» zu durchbrechen brauchte Mut und Bildung – letzteres war für Mädchen nicht selbstverständlich und ebenfalls in den Händen der katholischen Kirche. Der Film ermöglicht spannende Begegnungen mit engagierten Frauen und gibt Einblicke in eine Welt, die nur 50 Jahre her ist und doch so fremd erscheint.

Das katholische Korsett – oder der mühevolle Weg zum Frauenstimmrecht.CH 2021, 61 Minuten. Regie: Beat Bieri, Jörg Huwyler.

Der Film ist bis zum 1.3.2021 auf SRF zu sehen.

Das neue Evangelium

Matera, eine Kleinstadt in der süditalienischen Basilikata, ist als Filmkulisse für Bibelfilme beliebter als Jerusalem: vor den Höhlen, in denen noch bis vor dem 2. Weltkrieg Menschen hausten, ohne Wasser und Strom, haben schon Pier Paolo Pasolini und Mel Gibson ihr «Matthäus-Evangelium» bzw. ihre «Passion Christi» gedreht.

Als 2019 Matera Kulturhauptstadt Europas wurde, bekam der Schweizer Regisseur Milo Rau die Anfrage, etwas in Matera zu drehen. Es bot sich an, etwas in dieser Tradition zu schaffen, doch für den engagierten Regisseur muss ein moderner Jesus-Film auch eine soziale, politische Komponente beinhalten. «Was würde Jesus heute predigen? Wer wären seine Apostel?» Diese Fragen stellt Rau in den süditalienischen Kontext mit afrikanischen Migranten, die unter menschenunwürdigen Bedingungen auf den Tomatenfeldern arbeiten und täglich mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert werden.

Der Hauptdarsteller, Yvan Sagnet, studierte am Polytechnikum in Turin und kam im Sommer in den Süden, um bei der Tomatenernte Geld für sein Studium zu verdienen. Seither setzt er sich als Aktivist für die Rechte der Migranten ein. Die Apostel kommen aus Ghana, Kamerun, Senegal… doch auch der Bürgermeister von Matera spielt im Film mit, ebenfalls wie Bewohner*innen der Stadt und der Umgebung. Sogar der ehemalige Jesus-Darsteller aus dem Pasolini-Film ist dabei und coacht den «neuen» Jesus.

In diesem Mix als Dokumentarfilm und Fiktion reihen sich Bibelszenen neben Interviews mit Migranten und Aufnahmen von realen Protesten der Landarbeiter. Dazu kommen Szenen aus dem «Making of», dem Casting mit lokalen Laiendarstellern. So taucht man nie ganz in die fiktive Welt des Films ein, sondern behält die beiden Welten immer im Blickpunkt. Und er wäre nicht Milo Rau, wenn sein Film nach dem Abspann aufhören würde: Aus den Protesten und Aktivitäten der Migranten ist eine Kooperative entstanden, die ihre eigenen Dosentomaten vertreibt – gemäss Regisseur bald auch in der Schweiz unter dem Label «Iamme» («gehen wir») erhältlich.

Das neue Evangelium, CH 2020, 107 Minuten. Regie: Milo Rau.

Zurzeit ist der Film per Stream abrufbar

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