Der Berg als Ort geheimnisvoller Gottesnähe, wie er im Alten Testament vielfach erwähnt wird, ist mit der Menschwerdung Gottes entmythologisiert. Jetzt geht es nicht mehr darum, auf Berge zu steigen, um Gott zu erleben.

Das Neue Testament erzählt uns vom Leben, Wirken, Sterben und Auferstehen von Jesus Christus: Er ist DA, ist Gott und Mensch in einer Person, lebt und wirkt in Palästina, in jener Gegend, die bereits in den Büchern des Alten Testamentes beschrieben wird.

Als gläubiger Jude ist Jesus mit den Metaphern der Schrift bestens vertraut und so erstaunt es nicht, dass Berge auch in seinem Wirken und in seinen Worten eine wichtige Rolle spielen. Im Prinzip könnten viele geographisch auf Bergen festgelegte Orte von Jesu Handeln auch anderswo, in einer Stadt, irgendwo in einer Ebene stattfinden.

Es scheint jedoch von Bedeutung, dass entscheidende Worte in Anlehnung an die grossen Ereignisse der Vergangenheit ebenfalls auf Bergen oder von Bergen herab gesprochen werden. Auch zieht sich Jesus gerne in die Stille der Berge zurück, wenn er allein sein und beten will, so etwa in seinem Time Out nach der aufwendigen Speisung der Fünftausend: „Nachdem er sich von ihnen verabschiedet hatte, ging er auf einen Berg, um zu beten“ (Mk 6, 46). Die Wahl seiner engsten Jünger geschieht nicht in einem Büro oder bei einem Essen, sondern im Matthäus-Evangelium am See Genezareth (Mt 4, 18-22) und im Lukas-Evangelium auf einen Berg (Lk 6, 12-16). Hier betet er allein eine ganze Nacht lang, ruft dann seine Begleiter zu sich und bestimmt unter ihnen jene zwölf, denen er besonders viel anvertraut und zumutet: Er nennt sie seine Apostel, heisst es ausdrücklich: Die Ausgesandten.

Jene, die mit ihm zusammen vom menschennahen Gott, von Nächstenliebe und wahrer Gerechtigkeit predigen. Das tut er auch in der Bergpredigt (Mt 5-7): Es lohnt sich, dieses verdichtete Programm eines christlichen Lebens immer wieder zu lesen. Warum nicht diesen Sommer einmal auf einem Kirchenbank in luftiger Höhe?

Marie-Louise Beyeler