Buchtipp: Tommy Orange, Dort dort

Ein schmerzliches Buch über moderne Natives, die keinen Ort mehr haben, den sie ihr eigenes nennen könnten - und für die nichts «ist schon gut» ist.

Die Native Americans, so stellt man sich das häufig aus der Ferne vor, leben entweder in Reservaten oder sind voll im urbanen Amerika integriert. In seinem Debütroman zeigt uns Tommy Orange, selbst Nachkomme von Cheyennes und Arapahos, dass die grosse Wunde, die über Jahrhunderte nicht behandelt wurde - «die Wunde, die gerissen wurde, als die Weissen kamen und sich nahmen, was sie nahmen» - noch immer ein zentrales Thema ist und das Leben, die Identität, das Selbstverständnis der Native Americans prägt.

Der Originaltitel «There there» bedeutet einerseits «ist schon gut», andererseits ist es ein Zitat aus einem Gedicht über Oakland von Gertrude Stein: «Es gibt kein dort dort» - die Natives haben keinen Ort mehr, den sie ihr eigenes nennen könnten, kein «dort».

Zwölf Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechtes begleitet das Buch, jedes Kapitel springt zu einer anderen Person – da ist Tony Loneman, der mit dem fetalen Alkoholsyndrom geboren wurde und dealt, seit er vierzehn ist. Oder Jacquie Red Feather, die als Kind mit ihrer Mutter und ihrer Halbschwester dabei war, als Native Americans die Insel Alcatraz besetzten, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Einer ihrer Enkel, Orvil, 14, der lange gar nicht gewusst hatte, dass er Cheyenne-Wurzeln hat .«Die Beschäftigung mit deinem Erbe ist ein Privileg. Ein Privileg, das wir nicht haben», erklärte ihm seine Grosstante, bei der er aufwächst. Seine Mutter hat sich das Leben genommen, seine Grossmutter ist Alkoholikerin. Überhaupt: der Alkohol – keine Familie, in der er Unheil anrichtet, in der jemand mit aller Kraft versucht, von ihm loszukommen.

Das grosse Oakland-Powwow ist das Ereignis, das alle diese verschiedenen Figuren verbindet. Hier kommen Generationen zusammen, finden sich verschollene Väter, Mütter, Enkel zusammen. Jede Person aus dem Buch bereitet sich anders auf dieses Zusammenkommen vor: der eine will mit seiner Kamera Geschichten einfangen, der andere übt die traditionellen Tänze mittels Youtube-Videos, dann gibt es auch welche, die es mit Pistolen aus dem 3-D-Drucker auf das Preisgeld abgesehen haben. So gibt ihnen das Powwow zwar für kurze Zeit ein «dort», das sie ihr eigenes nennen können, aber von «ist schon gut» keine Spur.

Sabrina Durante


Tommy Orange, Dort dort. Erschienen am 19.08.2019 im Hanser Verlag. Deutsch von Hannes Meyer. ISBN: 978-3-446-26413-7

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