Sich öfters etwas Gutes tun. Foto: Jennifer Pallian, unsplash.com

Business class

Gedanken aus der Spitalseelsorge. Eine Kolumne der Seelsorger*innen am Inselspital Bern. Von Marianne Kramer

Von Marianne Kramer, reformierte Seelsorgerin

Klein ist ihre Welt geworden. Ihr Zögern, sich mit den störenden Symptomen der Krankheit in der Öffentlichkeit zu exponieren, wird nun noch verstärkt durch die Einschränkungen der Pandemie. Dann doch lieber zuhause bleiben. Sich ja nicht anstecken, denn eine wichtige Operation steht an. Absagen, wenn Freunde sich zum Nachtessen verabreden. Diese sind sich zwar gewohnt, dass sie den Wein verschüttet oder die Gabel nicht halten kann, aber das Risiko, sich anzustecken ist jetzt zu gross.

Noch gar nicht lange ist es her, da hat sie China bereist, Ecuador, Indien, Dubai, Kanada. London lag quasi vor ihrer Haustüre. Am Abend schnell einen Flug nach Stockholm zu begleiten, gehörte schon fast zur Routine. Auf vielen internationale Flughäfen fühlte sie sich zuhause, und die meisten ihrer Freunde gehören noch zu dieser Welt. Kürzlich traf sie sich mit einem alten Wegbegleiter in Kloten. Nur wenige Lokale waren geöffnet, das Terminal gespenstisch leer. Niemand war da, um sich an ihrem Zittern zu stören. Keiner bemerkte, wie es sie überfordert, Kaffeebecher, Croissant und Tasche gleichzeitig in den Händen zu halten. In diesem Moment wurde ihr bewusst, wie sehr die äussere Welt ihrer inneren glich: Entvölkert, mit prekären Zukunftsaussichten, im permanenten Ausnahmezustand.

Sie realisierte, dass nicht nur sie auf innere Reisen zurückgeworfen ist. Nein, auch für die meisten anderen Menschen ist die äussere Welt auf ein paar hundert Quadratkilometer zusammengeschrumpft. Ob sie denn etwas von ihren Reiseerfahrungen auf das innere Unterwegssein übertragen könne, frage ich sie? Ob sie daraus Strategien für den Umgang mit dem Abenteuer Krankheit ableiten könne? Sie lacht, ja, etwas habe sie gelernt: sie fliege nur noch «business class», das gönne sie sich. Auch auf inneren Reisen leiste sie sich nun den Luxus, gut auf ihre Bedürfnisse zu achten und sich wenn immer möglich zu verwöhnen.

«Gedanken aus der Spitalseelsorge» im Überblick

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