Authentizität. Das Echte, Unzensierte. Wann hast du das letzte Mal dein wahres Ich gezeigt? Proben zum Stück «Stichfest». Foto: Pia Neuenschwander

«Die Gruppenprozesse machen das Projekt aus»

Junge Bühne Bern

Die Junge Bühne Bern wurde 2006 mit dem Ziel gegründet, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene fürs Theater zu begeistern. Seit 2016 richtet sich das Projekt «Theater kennt keine Grenzen» spezifisch an geflüchtete Menschen. Über die Inklusion hinaus wird viel Gewicht auf Partizipation und kreative Prozesse gelegt.

von Antonio Suárez

Insgesamt rund 200 Laiendarstellende nehmen in altersgetrennten Theaterclubs jährlich in zwölf Produktionen an 60 Aufführungen teil. In wöchentlich stattfindenden Proben setzen sie sich mit gesellschaftsrelevanten Themen auseinander. Nach neun Monaten Probezeit wird ein Projekt schliesslich der Öffentlichkeit vorgestellt. So ist es auch beim TKKG/U26, wo junge Erwachsene von zwei professionellen Theaterschaffenden mit pädagogischer Qualifikation begleitet werden. In der aktuellen Spielzeit befassen sich die 32 Ensemblemitglieder mit dem Thema Authentizität.


Einer von ihnen ist der Informatikstudent Hamed Rezaii (27) aus Afghanistan, der seit vier Jahren mitmacht. «Ich sehnte mich nach einer Herausforderung und wollte vor Publikum auftreten», begründet er seine Teilnahme. «Nach jeder Theatersession habe ich stets ein gutes Gefühl. Es tut mir einfach gut.»

Das Theatermachen half Rezaii auch bei der Integration. Das liege daran, sagt er, dass man sich in der Gruppe viel näherkomme als im normalen Alltag. «Wir gehen bei unserer Arbeit in die Tiefe. Wenn wir über Themen wie Authentizität sprechen, dann hilft das sehr bei der Integration. Spannend finde ich es auch, andere Kulturen kennenzulernen. So sind zum Beispiel einige Leute aus der Ukraine dabei.»


Seit drei Jahren ist Maron Teil von Junge Bühne Bern. Gleichzeitig arbeitet sie als Sozialarbeiterin bei der Katholischen Kirche Bern. Um junge Menschen mit Migrationshintergrund zu gewinnen, führt die Theaterpädagogin Probeworkshops an Schulen durch. Beim TKKG/U26 hat rund die Hälfte eine Fluchterfahrung.

«Die Themen kristallisieren sich jeweils heraus, indem wir Leitende Inputs geben, welche die Schauspielenden so umsetzen, dass sich eine bestimmte Richtung entwickelt», erklärt die Co-Leiterin des Theaterclubs. «Oft ist es so, dass verschiedene Themen ein Kopf-an-Kopf-Rennen führen. Doch letztlich fällt ein Entschluss, der ebenfalls auf partizipative Art und Weise zustande kommt.» Der zentrale Fokus liege auf dem Prozess: «Die Gruppenprozesse machen das Projekt aus. Das Ensemble soll zunächst zusammenwachen. Bevor etwas Neues entsteht, muss Vertrauen aufgebaut werden, damit wir in einer demokratischen Situation zusammenarbeiten können. Gleichzeitig ist auch das Endprodukt relevant. Denn das Projekt soll ein tolles Theaterstück werden, das die Öffentlichkeit erreicht.»


Authentizität im Rahmen von Festen

Psychologiestudentin Melina Jörg (27) erfuhr an einer Vorlesung der Universität Bern von den Theaterclubs. Für die Theaterenthusiastin aus Luzern, die bereits seit Jugendjahren schauspielert, ist es inzwischen die dritte Spielzeit.

«pfarrblatt»: Was probt Ihr zurzeit?

Melina Jörg: Wir proben für unser Stück, dass im Sommer aufgeführt wird. Es dreht sich um das Thema Authentizität im Rahmen von Festen. Es entstand während unserer Proben. Zunächst fangen wir an zu spielen, ohne uns auf etwas Bestimmtes festzulegen. Erst mit der Zeit schält sich ein Thema heraus. Zurzeit testen wir Dinge aus, machen verschiedene Übungen und Spiele. Innerhalb kürzester Zeit kreieren wir zum Beispiel Szenen in Rohfassung, die wir uns dann gegenseitig vorführen, um uns Feedbacks zu geben. Und so wie sich das Thema entwickelt hat, entwickelt sich schliesslich auch das Stück.

Es gibt folglich kein Drehbuch. Stattdessen wird improvisiert.

Genau. Ein Stück entsteht aus der Improvisation heraus. Und Improvisation entsteht über improvisierte Szenen, die wir gewissermassen recyceln. In diesem Sinne schreiben wir alle Szenen und Texte selber.

Welchen persönlichen Bezug hast Du zum Thema Authentizität?

Ich denke, alle haben einen Bezug dazu. Es begegnet uns alltäglich. Heute wird viel über Soziale Medien diskutiert, und darüber, was daran authentisch ist und was nicht. Es geht um Fragen, die einen in der Jugend sehr beschäftigen: Wer bin ich? Was bin ich? Ich denke, das hört auch mit zunehmendem Alter nicht auf. Zwar festigt sich die eigene Persönlichkeit irgendwann einmal. Trotzdem stelle ich mir immer wieder die Frage: Wer bin ich? Was macht mich aus? Wann bin ich authentisch? Es gibt immer wieder Situationen, bei denen ich merke, dass ich überhaupt nicht ich selbst bin.

Weshalb machst Du Theater?

Weil es mir einfach ungemein Spass macht. Egal wie kaputt ich bin oder wie schlecht ich mich fühle, ich komme danach jedes Mal mit mehr Energie wieder raus und bin meist positiv gestimmt. Ausserdem erlaubt es mir, viele Dinge auszuprobieren und an mir selbst zu arbeiten.

Speziell an dieser Gruppe ist ihr inklusiver Charakter. Hier wirken auch Geflüchtete mit. Was bedeutet das für Dich?

Für mich ist es eine enorme Bereicherung. Ich finde es spannend, mehr über andere Kulturen zu erfahren. Es entsteht ein ganz neuer Input, wenn Personen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen dabei sind, auch wenn es manchmal Verständigungsschwierigkeiten gibt. Doch grundsätzlich finde ich es einfach nur wunderschön.

 

TKKG/U26
«Stichfest»
«Wir feiern das Rohe, Echte, Unzensierte. Und das Konstruierte, Phantasievolle, im Kopf Kreierte. Wann hast du das letzte Mal dein wahres Ich gezeigt? Dein rohes, nacktes Ich? Gestern war ich langweilig. Heute bin ich ein Paradiesvogel! Lass uns ein Fest feiern!»
Spielort: Junge Bühne Bern, Brückenpfeiler, Dalmaziquai 69, Bern
Aufführungen: Do 29.6., 20.00; Fr 30.6., 20.00; Sa 1.7., 20.00; So 2.7., 17.00.
Weitere Infos: https://junge-buehne-bern.ch und www.quart-jukebox.ch

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