Fünf Jahre war Stefan Signer Pfarrer in Frutigen BE. Ende August ging er frühzeitig in Pension. Wie geht es ihm jetzt? Was treibt ihn um, und welche Pläne hat er?
Das «pfarrblatt» hat Stefan Signer in Einsiedeln getroffen.
Von Vera Rüttimann
Zum Gespräch sitzen wir im Restaurant im Abtei-Hof des Klosters Einsiedeln. Nach seinem Abgang als Pfarrer von Frutigen wechselte Stefan Signer die Region. Er fand eine Wohnung in Trachslau, einem kleinen Dorf hinter Einsiedeln. Da passt gut für ihn. «Ich habe seit einigen Jahren schon einen gewissen Bezug zum Kloster und habe bei Anläsen mitgeholfen», sagt er.
Auf dem Klosterplatz trifft man den Thurgauer aber immer wieder an. «Als Pilgerbetreuer zeige ich den Leuten den Weg zur Pforte, zum Laden oder zum WC. Ab und an entwickeln sich längere Gespräche», erzählt der 63-Jährige. Wenn es darum gegangen sei, seelsorgerlich da zu sein, habe er sich schon immer die Zeit dafür genommen. Beim Bayerischen Pilgerbüro ist er jetzt auch eingeteilt als geistlicher Begleiter für Pilgerreisen.
Gottesdienst als reine Events
Was Stefan Signer schon lange umtreibt, ist die Art und Weise, wie ein Gottesdienst gefeiert wird. Es sei ein vierzigjähriges «Erbstück», an dem er sich abarbeite. «Seit den achtziger Jahren begann man, Gottesdienste zum Event zu machen.» Er habe früh das Gefühl gehabt, dass das «nicht mehr eine Feier ist».
Wenn eine Schulklasse im Gottesdienst in einem Theaterstück eine Bibelstelle darstelle, könne das durchaus förderlich sein. «Viele Leute aber kommen mit dem Gedanken in den Sonntagsgottesdienst: Was läuft heute?» Die tiefsinnigsten Gottesdienste, die er erlebt habe, seien diejenigen gewesen, wo gar nichts Besonderes abgelaufen sei. «Die Leute, die dort waren, wollten mitfeiern, also beten, singen und hören. Da sein.»
Ein schlichter Gottesdienst, ist das nicht uncool in einer Zeit wie heute? Stefan Signer dazu: «Ich finde das zeitgemäss. Ich finde die anderen unzeitgemäss.» Er habe schon das Gefühl, dass er so feiere, dass es den Leuten guttut. Stefan Signer betont: «Was mich an der Eventhaftigkeit von Gottesdiensten stört: Man traut der herkömmlichen Form der Eucharistiefeier nicht. Man muss immer selber etwas dazu tun, damit es Substanz bekommt. Das ist ein Trugschluss.»
Er wisse, dass er auch hier mit seiner Haltung in der Minderheit sei. «Ich muss mich oft rechtfertigen für das, was ich tue und wie ich es tue. Das macht müde.» Dazu kommt für ihn der angebliche Reformstau: «Schon seit 30 Jahren werden immer die gleichen Reizthemen angesprochen. Das Wagnis, übliche Wege zu verlassen, wollen dann doch nur wenige eingehen, auch nicht die meisten Seelsorgenden und weitere Verantwortliche. Auch jene, die Kritik üben, halten sich an das, was man kennt.»
Gern erzählt Stefan Signer in diesem Kontext von seinen drei Jahren, die er in den neunziger Jahren in Brasilien verbracht hat, ein Jahr davon in einer Drogenstation. Was er als Priester geschätzt habe: «Ich musste mich nicht ständig rechtfertigen für das, was ich mache. Und ich spürte mir gegenüber einen Grundrespekt.»
Mangelnde Kommunikation
Stefan Signer nimmt die Krise der katholischen Kirche ganz genau wahr. Er beobachtet, wie manche Pfarreien, welcher Grösse auch immer, am Leben erhalten werden, obwohl nur wenige die Gottesdienste besuchen. Viele aber, kritisiert er, setzen sich nicht tiefer mit den Ursachen der Krise auseinander. Er fragt: «Was heisst Christ:in sein? Warum feiern wir überhaupt?» Und: «Wie sind wir mit Bibelworten unterwegs?» Auch darüber werde zu wenig geredet. Überhaupt bemängelt er die Kommunikation. Als er entschieden habe, in Frutige wegzugehen, habe dies in der Pfarrei und im Pastoralraum kaum zu vertieften Nachfragen geführt.
Kampf und Kontemplation
Wo sehen Sie die Kirche in zwanzig Jahren? «Ich hoffe», sagt Stefan Signer, «dass ich noch die Trennung von Kirche und Staat erlebe.» Die Kirche habe noch immer zu viel Geld – und nicht immer werde dieses gut eingesetzt. Er schiebt nach: «Wenn das Geld einmal fehlt, dann wird klarer, was unser Auftrag als Christ:innen, als Kirche insgesamt, wirklich ist.»
Zudem plädiert er dafür, dass die Leute mündiger werden sollen. So, wie er es in den Bibelgruppen in Taizé oft erlebt habe. «Es wäre an den Gemeindeverantwortlichen, Gefässe zu schaffen, dass sich die Leute mehr trauen zu sagen, was in ihnen vorgeht.»
Stefan Signer liebt das von Taizé-Gründer Roger Schütz geprägte Wort «Kampf und Kontemplation». Ebenso bewundert er die italienische Gemeinschaft Sant’Egidio. Er resümiert: «Sie gehen raus und helfen. Und was sie erleben, bringen sie wieder hinein in das Gebet.»