Regina Müller, Thieng Ly, Maria S. Lahiguera, Spanierin und Anne M. Francis im Gespräch über die Bedeutung und Spiritualität der Mutter Gottes und ihres jährlichen Festes. Foto: Pia Neuenschwander

Die Seele kann aufatmen

Am 27. Mai findet zum 20. Mal das Internationalen Marienfest in Bern statt. Ein multikulturelles Ereignis speziell im Marienmonat. Ein Gespräch mit vier beteiligten Frauen.

Das Internationale Marienfest in Bern findet heuer zum 20. Mal statt. Frauen aus verschiedenen Ländern tragen ihre Marienstatuen in einer Prozession durch das Quartier im Berner Ostring. Thieng Ly, Vietnamesin, Maria S. Lahiguera, Spanierin, Anne M. Francis, Tamilin und Regina Müller, Koordinatorin, im Gespräch über die Bedeutung und Spiritualität der Mutter Gottes und ihres jährlichen Festes.

«pfarrblatt»: Was hat Maria aus der Sicht Ihrer Länder für eine Bedeutung?

Maria S. Lahiguera: Ich bin Spanierin, aber in der Schweiz aufgewachsen. Als katholisches Land ist in Spanien die Marienverehrung natürlich wichtig. Maria gibt meinem Glauben einen praktischen Sinn, der Glaube wurde für mich konkreter.

Anne Milani Francis: Bei uns in Sri Lanka feiern und ehren wir alle Religionen. Unter Katholiken werden demnach auch die diversen Heiligen verehrt, darunter auch Maria. Überall, auch in anderen Ländern, gibt es die speziellen Marienstatuen, die feiern wir dann speziell, gerade als Menschen mit Migrationshintergrund in den jeweiligen Ländern. Ich besuchte im letzten Sommer Madhu, den wichtigsten christliche Marien-Wallfahrtsort in Sri Lanka. Das war ein grosses Erlebnis.

Thieng Ly: In Vietnam verehren wir Maria besonders. Nach dem Schlussgebet im Gottesdienst wird immer ein Lied an Maria für den Frieden in unserem Land und zu ihrer Ehre gesungen. Um die Zeit meiner Erstkommunion war ich Teil einer Gruppe, die im Marienmonat Mai jeden Samstag Blumen zur Maria in der Kirche gebracht hat. Da wurde dann gesungen und eine Prozession abgehalten. Das war für mich wichtig. Nur – am Abend musste ich immer nach den Singproben im Dunkeln allein nach Hause – wir wohnten ausserhalb des Dorfes –, das hat mir damals etwas Angst gemacht.

Regina Müller: Meinen Bezug zu Maria fand ich über die schwarze Madonna. Die weisse Madonna bekam ich mit über meine Grossmutter. Für sie stimmte diese Art von Frömmigkeit, ich fand jedoch keinen Zugang zu ihr. Auf dem zwanzigjährigen Weg des internationalen Marienfestes entdeckte ich immer wieder neue Aspekte der Marienfrömmigkeit. Die Themen gingen uns nicht aus.

Was war der Zauber der schwarzen Madonna, die Ihnen die Faszination zurückbrachte?

Regina Müller: Unser traditionelles Marienbild war mir zu fromm, es war zu wenig lebendig. Ich brauchte den Umweg über die Religionsgeschichte, die Tatsache, dass an vielen Wallfahrtsorten von heute schon früher weibliche Gottheiten verehrt wurden. Das hat sich mit der Zeit vermischt. In den fast zwanzig Jahren Internationales Marienfest habe ich gelernt, dass jede Kultur und Nation ihre Marienverehrung unterschiedlich lebt. Katholischsein ist immer ganz breit, vielfältig. Dazu kommt die persönliche, individuelle Verehrung.

Anne Milani Francis: Für uns Tamilen hat die schwarze Madonna auch grosse Bedeutung. Die Madonna in Einsiedeln ist ja schwarz, dorthin wallfahren wir einmal jährlich mit der schweizerischen Tamilischen Gemeinschaft, und auch zur weissen Madonna in Mariastein. Jedes Mal begleiten uns tamilische Gläubige aus dem Ausland.


Was bedeutet Ihnen Maria als Frau? Hat sie auch eine Bedeutung in Bezug auf die Befreiung der Frau?

Thieng Ly: Maria gibt mir Schutz und macht mir Mut für mein Leben. Unsere Mutter sagte uns immer, auch im Krieg damals, wenn wir in Not seien, sollten wir nicht weit suchen, sondern Maria um Hilfe anrufen: sie werde ihren Mantel schützend über uns ausbreiten. Seither bete ich immer zu ihr und finde Schutz.


Ist dieses Beten wirksamer, als wenn Sie zu Gott beten?

Thieng Ly: Je nach Situation bete ich zu Gott. Ich habe das Gefühl, Maria ist mir sehr nahe, weil sie meine Patronin ist. Ich sammle auch Bilder von Maria aus aller Welt.


Anne Milani Francis, was bedeutet Maria Ihnen für eine junge Frau? Ist beispielsweise ihr Gehorsam ein Vorbild?

Anne Milani Francis: Maria ist sicher eine starke Frau, und ohne Maria hätte es keinen Jesus gegeben (alle lachen). Wie Maria in der ganzen Bibelgeschichte wichtig ist, sind auch die Mütter im Leben wichtig. Sie ist Ansprechperson und die, die dich in Schutz nimmt.

Das Gebet der Maria, das Magnifikat, hat ja auch einen politischen Inhalt. Sie betet um Gerechtigkeit. Hat Maria auch eine politische Botschaft?

Thieng Ly: Ich denke nicht. Ich vermische Religion und Politik nicht. Für mich ist das getrennt. Ich denke, Maria ist für die Schwachen da, wenn jemand Hilfe braucht; so ist sie das für alle.

Anne Milani Francis: Das kann ich nur bestätigen. Politik und Religion sind zwei paar verschiedene Schuhe. Aber Maria ist da für die, die sie nötig haben.

Maria S. Lahiguera: Maria ist universell, das ist mir wichtig.

Regina Müller: Die Gerechtigkeit, für die Maria auch steht, wird in unseren Gottesdiensten immer wieder angesprochen. Da kommt dann auch die Befreiung durch ihren Sohn vor, der die Befreiung verkündet hat und dafür gestorben ist. So bleibt Maria eine Frau, die zur Befreiung beiträgt, persönlich und politisch.

Thieng Ly: Natürlich war es für uns Frauen am Anfang nicht so einfach, am Altar zu stehen und zu verkünden. In Vietnam spüren wir nichts vom Priestermangel. Deshalb kam bei uns die Frage nach Priesterinnen gar nie auf. Das lernte ich erst in den 20 Jahren Marienfest hier in der Schweiz kennen. Die Männer in unseren jeweiligen Gruppen hatten zuerst auch Mühe damit, dass Frauen vorbeten. Wir brauchten am Anfang sicher auch Mut, um hinzustehen. Mit der Hilfe von Maria gelang es.

Was bedeutet Ihnen allen das Marienfest?

Anne Milani Francis: Ich war schon als Kind mit meiner Mutter am Marienfest dabei. Die hat mir dann die Aufgaben weitergegeben. Mir wurde das Fest zum Teil des Lebens. Ich bin in unserer tamilischen Gruppe die Jüngste. Manchmal ist es schwierig, unsere Leute zu informieren, damit sie mitfeiern. Wenn der tamilische Priester, der für uns zuständig ist, mitkommt, ist es einfacher, die Leute zu mobilisieren.

Maria S. Lahiguera: Das Fest gehört für mich einfach zum Mai. Ich freue mich schon wieder auf die Prozession, auf den Rosenkranz. Das Rosenkranz-Gebet ist ein Schatz unserer Kirche, den wir wiederentdecken müssten. Dieses Gebet hilft doch wieder zum Wesentlichen zu kommen, es macht fröhlicher, die Seele kann wieder atmen ...

Regina Müller: Wesentlich ist auch, dass die Vorbereitung ebenso wichtig ist wie das Fest selbst. Hier erleben wir auch immer wieder im Vertrauen auf Maria, dass dann trotz aller Unterschiede ein stimmiges Ganzes zustande kommt.

Thieng Ly: Für mich ist auch noch wichtig, dass die Idee des Internationalen Marienfestes von vietnamesischen Gruppen in Zürich, Luzern und St. Gallen übernommen wurde.


Wie läuft das Fest konkret ab?

Regina Müller: Es beginnt jeweils am Sonntag um 15.30 mit der Begrüssung in der Kirche. Jede Sprachgruppe sitzt für sich, damit sie für die darauffolgende Prozession mit Rosenkranzgebet in unterschiedlichen Sprachen bereit ist. Die Prozession mit den verschiedenen Marienstatuen und den Blumenbögen führt durchs jeweilige Quartier, ungefähr eine Dreiviertelstunde. Anschliessend zieht man wieder in die Kirche ein, und der Gottesdienst geht weiter. Um ca. 18.00 folgt das internationale Buffet. Anschliessend gibt es je nach Angebot kulturelle Darbietungen mit Tanz, Gesang, Musik. Wir sind immer auch dankbar für die engagierte Mithilfe der jährlich wechselnden Gastpfarreien.


Früher waren Prozessionen bekannt, heute sind sie bei uns etwas fremd. Wie reagieren die Zaungäste?

Thieng Ly: Das stimmt, am Anfang war uns etwas unwohl, jetzt, nach zwanzig Prozessionen, haben wir uns daran gewöhnt.

Regina Müller: Für mich ist es immer noch etwas fremd. Die Leute denken, ach, was kommt denn da. Es gibt solche, die bleiben stehen oder beten sogar mit. Einmal zogen wir, wie dieses Jahr nun auch wieder, um den Egelsee. Da haben junge Leute ihre Musik lauter gestellt, aber sie hatten keine Chance: Wir waren mehr und lauter (alle schmunzeln).

Anne Milani Francis: Für mich ist eine Prozession nicht fremd. In Bern feiern wir Tamilen in der Kirche Wabern den Heiligen Josef. Da gehen wir auch mit einer Prozession jeweils durchs Quartier. Das bin ich von klein auf gewohnt. Natürlich gibt es immer Menschen, die fragen, was hier geschehe. Ich gebe jeweils mit Stolz Auskunft.

Interviews: Jürg Meienberg

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Hinweis:
20. Internationales Marienfest in Bern. Unter dem Motto «Maria, Hüterin unserer Sehnsucht», «Mary, Guardian of our Yearning» findet am Sonntag, 27. Mai um 15.30 eine Eucharistiefeier mit Prozession statt. Anschliessend Teilete/Potluck (etwas mitbringen). Ort: Kath. Kirche Bruder Klaus/ Segantinistrasse 26, 3006 Bern, Tram 7 (Ostring) bis Burgernziel, Tram 8 (Saali) bis Brunnadern.

 

 

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