Spitalteam während des Lockdowns in Barcelona, Spanien. iStock/xavierarnau

Die Sehnsucht nach der Sehnsucht

Bettag im Corona-Jahr 2020

Der eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag ist ein staatlich verordneter Gedenktag. Er wird am Sonntag, 20. September, begangen. Sowohl Politik als auch Religion tun sich schwer damit. Wie könnte man diesen Tag in Corona-Zeiten gesamtgesellschaftich einbetten?

Von Eva-Maria Faber / Daniel Kosch*

Sind die Kirchen während der Coronazeit theologische Deutungen schuldig geblieben? Verschiedentlich wurde ihnen Sprachlosigkeit vorgeworfen. Nun sind solche Vorwürfe schon deswegen fragwürdig, weil sie in ihrer Pauschalität gar nicht in der Lage sind, ein umfassendes Bild dessen zu zeichnen, was Seelsorgende, Theologen und Theologinnen in dieser Zeit je auf ihre Weise zur individuellen und gesellschaftlichen Bewältigung der Krisensituation beigetragen haben.

Tatsächlich aber haben theologische und seelsorgliche Wortmeldungen meist auf einfache Antworten und allumfassende Deutungen verzichtet. Sie haben keine «Meta-Erzählung» vorgelegt, die der Pandemie einen klaren Ort, eine eindeutig bezeichnete Rolle zuweisen würde. Frühere Generationen haben sich da leichter getan: Sie sahen in Krisen – Krankheiten ebenso wie Hungersnöten oder aussergewöhnlichen astronomischen Phänomenen – eine Manifestation des Zornes oder jedenfalls des mahnenden Umkehrrufes Gottes. Daraus erwuchs die Tradition von Buss- und Bettagen, an denen das «christliche Volk» seinen Willen zur Umkehr durch Akte des Gebetes und der Busse gemeinschaftlich kundtat. Sicherlich hätte man als Reaktion auf die Pandemie einen solchen Tag ausgerufen.

Da das Gottes- und Weltbild dieser früheren Bussriten fragwürdig geworden ist, ist komplexer zu beschreiben, wie wir den Bettag 2020 begehen. Dazu trägt schon die von der Tagsatzung im Jahr 1832 beschlossene Institutionalisierung je und je einberufener Busstage in Form des jährlich am 3. Septembersonntag wiederkehrenden Eidgenössischen Dank- und Buss- und Bettags bei. Die feste Einrichtung eines solchen Tages führt zu einem Perspektivenwechsel: Nicht mehr die Situation ist Anlass für einen Tag besonderer Busse, sondern der besondere Tag ist Anlass zur Besinnung. Damit verbunden weitet sich das Spektrum: Es kommt die Trias von Dank, Busse und Gebet/Bitte in den Blick. Dies scheint auch für den Bettag 2020 angemessen zu sein.

Wie sehr haben wir – gerade angesichts der Pandemie – als Gemeinschaft und als Staat Grund zur Dankbarkeit. Die Hamsterkäufe waren unnötig. Unser Pflegepersonal tut, was es kann; unser Gesundheitssystem ist tragfähig und für einen sehr grossen Teil der Bevölkerung zugänglich. Der Staat kann es sich leisten, Einzelnen und Unter-nehmen wirtschaftlich zu helfen. Eine totale Ausgangssperre mit entsprechenden Folgen für das Zusammenleben auf engstem Raum blieb uns erspart.

Das heisst nicht, dass wir keinen Grund hätten, Busse zu tun, selbstkritisch zu fragen, ob unsere Solidarität weit genug reicht, ob wir als Individuen zu egoistisch nur ans eigene Davonkommen gedacht haben, und ob wir bereit sind, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen, auch wenn sie – z.B. bei höherer Wertschätzung der Arbeit der Pflegenden – einen Preis haben. Zu einer solchen Reflexion gehört auch die Rechenschaft darüber, ob wir uns den existenziellen Fragen gestellt oder entzogen haben, mit denen die Erfahrung der Verletzlichkeit und der Begrenztheit unseres Lebens uns konfrontiert.

Auch das Beten und Bitten kann die Pandemie uns lehren – wenn wir anerkennen, dass wir vieles nicht selbst in der Hand haben, dass wir immer wieder Hilfe anderer und Kraft aus der Tiefe brauchen, sei es um tatkräftig unseren Beitrag zu leisten, wo er gefragt ist, sei es um hinzunehmen, dass es manchmal angesichts fremden Leids, aber auch angesichts von Schmerz und Krankheit im eigenen Umfeld nichts anderes gibt als standzuhalten, weder davonzulaufen noch zu verdrängen.

Die in den Grundvollzügen von Dank, Busse und Bitte thematisierte Nachdenklichkeit teilen Glaubende mit nicht-religiös empfindenden Menschen. Letztere würden zwar eher nicht von Busse und Gebet sprechen und die darin liegende Sehnsucht nach Gott nicht teilen, aber vielleicht doch eine Sehnsucht nach der Sehnsucht kennen. In Corona-Zeiten, in denen der Staat auf allen Ebenen stark gefordert ist, könnte der ebenfalls staatlich verordnete Bettag gesamtgesellschaftlich vielleicht sogar als eine Art minimales «Schutzkonzept» für diese Sehnsucht nach der Sehnsucht dienen.

*Eva-Maria Faber ist Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur. Daniel Kosch ist Generalsekretär der Römisch-katholischen Zentralkonferenz der Schweiz. Gemeinsam veröffent-lichten sie 2017 die Publikation «Dem Bettag eine Zukunft bereiten. Geschichte, Aktualität und Potenzial eines Feiertags».

 

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