Wenn ich für etwas brenne, kann ich in der Krise darauf zurückgreifen. Foto: Clay Banks, unsplash.com

Eine Formel des Wohlbefindens

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Was kann ich machen, wenn es mir nicht gut geht? Vor Kurzem bin ich auf eine «Formel des Wohlbefindens» gestossen, die eine Antwort auf diese Frage anbietet.

Zunächst dachte ich: Formel? Das klingt gewaltig nach Reduktion der Komplexität. Und das stimmt natürlich auch in gewisser Weise – so wie all unser Sprechen über existentielle Fragen unvollständig und vorläufig ist. 
Aber dann habe ich eine Zeitlang über die Formel nachgedacht, und ich finde sie immer noch bedenkenswert. Sie lautet so:

Unser Wohlbefinden (W) ist der Quotient der Glut im Quadrat (G²) geteilt durch die Summe von körperlichem Schmerz (Sk) und seelischem Schmerz (Ss).

Der norwegische Abenteurer und Autor Erling Kagge erläutert diese Formel, die er wiederum beim Philosophen Arne Næss gefunden hat, so: «Wir müssen beachten, worauf wir uns fokussieren, wenn wir unser Wohlbefinden erhöhen wollen. Meist richten wir nämlich unsere Aufmerksamkeit nur auf die körperlichen oder seelischen Schmerzen, unter denen wir leiden, und versuchen, diese zu reduzieren. Das hat oft nur mässigen Erfolg. Denn manches ist unserem Einflussbereich entzogen. Für manches sind nicht wir selbst, sondern andere oder etwas anderes zuständig. Und manchmal ist die Belastung, der wir ausgesetzt sind, schlicht gar nicht veränderbar.

Wir mühen uns ab, aber das Wohlbefinden verbessert sich nicht.Hingegen können wir versuchen, die Glut – also das, wofür wir brennen und wofür wir Leidenschaft empfinden – zu mehren. Schon allein sich bewusst zu machen, sich wieder einmal zu erinnern, worin diese Glut (die vielleicht im Moment nur schwelt) denn besteht, verändert etwas. Und wenn wir die Glut wirklich entfachen, wenn wir sie pflegen und uns ihr hingeben, bewirkt eine solche ‹Vergrösserung› ungleich mehr als eine gleich grosse ‹Verkleinerung› des körperlichen oder seelischen Schmerzes.

Denn – das ist das Bestechende an der Formel – die Glut wird mit sich selbst potenziert, während die Schmerzen einfach addiert oder subtrahiert werden. «Eine kleine Erhöhung der Faktoren Glut/Freude/Engagement [kann] viel Schmerz aufwiegen» (S. 86). Mit anderen Worten: Sie kann die gesamte Situation, also das, was unter dem Strich herauskommt, wesentlich verbessern, sogar dann, wenn die Summe der Schmerzen gleichbleibt.

Voraussetzung ist natürlich, dass ich tatsächlich etwas habe, für das ich brenne und auf das ich irgendwie zurückgreifen kann. In der akuten Krise ist es meist nicht möglich, eine neue, bisher unbekannte Glut zu entfachen.

Hubert Kössler

Lesetipp
Erling Kagge: Gehen. Weiter gehen. Eine Anleitung; Berlin (Insel); 2018

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