Zuhören, hinhören, spüren, fühlen,
erahnen. Das sind zentrale
Begriffe für den Geigenbauer
Martin Schleske. Foto: Janina Laszlo

«Eine Geige zu bauen, ist eine Form von Beten»

Beim Beten und beim Geigenbauen geht es ums Hören, sagt Martin Schleske.

Beim Geigenbau und beim Gebet gehe es zentral um das Hören, sagt Martin Schleske. Ein Gespräch mit dem Geigenbauer und Autor spiritueller Bücher.


Interview: Sylvia Stam


«pfarrblatt»: Ihre Geigen werden von Solist*innen weltweit gespielt. Trotzdem sagen Sie, dass Sie noch nie eine Geige gebaut haben, mit der Sie ganz zufrieden waren.

Martin Schleske: Ja, weil Klang noch so viel mehr sein kann. Er muss so sein, dass die Menschen, wenn sie eine Geige hören, sofort still werden. Ich habe das einmal erlebt, als ich die Slowenische Philharmonie in Ljubljana gehört habe. Ich war so erschüttert über die unfassbare Schönheit dieses mächtigen Klangs. Das war ein Vorgeschmack auf die Ewigkeit. In solchen Momenten könnte man auch sagen: Wir erleben Gott. Gott ist da.

Haben Sie das schon erlebt beim Klang Ihrer eigenen Geigen?

Ich habe vor zwei Jahren eine Bratsche gebaut für die ehemalige Solobratscherin im Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Sie probierte das Instrument in der Werkstatt. Nach kaum einer Minute musste sie aufhören, weil die 2Tränen in Strömen auf die Bratsche getropft sind. Sie sagte, sie könne nicht mehr spielen, sie müsse das erst einmal verkraften. Dann hat sie sich hingekniet und gebetet.

Trotzdem mögen Sie den Begriff «Zufriedenheit» nicht.

Es gibt eine Form von Selbstgefälligkeit, die mir zuwider ist. Dies ist der Fall, wenn ein Mensch nicht erkennt, wo seine Grenzen sind und wo er wachsen könnte. Im künstlerischen Prozess ist Zufriedenheit Stillstand, eine tödliche Eigenschaft, die jede Entwicklung sofort beendet. Es gibt allerdings Momente der Genugtuung: Ich habe alles getan, und jetzt ist es gut so, ich habe genug getan. Wenn ich eine Geige gebaut habe und, sobald die ersten Töne erklingen, höre: Das ist ein gutes Instrument! Dieser Moment inneren Friedens ist ein Gefühl von Genugtuung.

Sie schreiben auf Ihre Geigenzettel* im Innern der Instrumente als Widmung einen Bibelvers. Machen Sie das auch bei Violinist*innen, die keinen Bezug zur Bibel haben?

Ja, ich mache das immer. Von allen 300 Instrumenten, die ich gebaut habe, kam es nur einmal vor, dass jemand das nicht gut fand. Häufig habe ich erlebt, dass ich ein Bibelwort gewählt hatte, das die Menschen schon lange begleitet hat. Letztes Jahr ging eine Bratsche mit einem Bibelvers in die Schweiz. Die Musikerin hat zurückgeschrieben, es gebe kein Bibelwort, das sie mehr beschäftigt habe als dieses. Drei Jahre zuvor war ihr Vater gestorben, sie hatte viel getrauert und war in Taizé, wo dieser Bibelvers immer gesungen wurde. Der Vers hatte sie seither begleitet.

Wie wählen Sie diese Bibelverse aus?

Ich halte einen Moment Stille und frage: Was soll das Wort sein, das ich der Geige mitgeben soll? Oft habe ich sofort einen Vers vor Augen.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen Geigenbau und Spiritualität?

Geigenbau beruht auf Intuition, auf Vertrauen: zu spüren, was mit dem Holz geschehen soll. Zu vertrauen, dass die Hände geführt sind. Das sind Merkmale, die sehr nah an dem sind, wie ich Spiritualität erlebe. Eine Geige zu bauen, ist eine Form von Beten.

Können Sie das ausführen?

Die wesentlichen Dinge kann man nicht machen, sondern nur empfangen. Aber wir können uns empfänglich machen: durch die Hände, durch das Spüren, durch die Ohren, die hineinhorchen in das Rauschen des Holzes. Während das Werkzeug die Decke ausarbeitet und berührt, ist es notwendig, diesen Werkzeugklang zu hören, dadurch spüre ich schon den Faserverlauf des Holzes. Dieser Akt des Empfänglich-Machens ist für mich Spiritualität.

In der Musik, beim Geigenbau wie im Gebet geht es für Sie um das Hören. Warum ist das so zentral?

Hören ist das höchste Gebet des Lebens. Das wichtigste jüdische Gebot beginnt mit den Worten «Höre, Israel». Das Medium des Hörens und des Klangs ist die verstreichende Zeit: Ich kann sie nicht fassen, nicht halten. Wir geben uns hinein in die verstreichende Zeit und sind am Leben, weil wir hineinhören in das, was geschieht.

Sie beschreiben immer wieder, wie Gott ganz direkt zu Ihnen spricht. Was sagen Sie Menschen, die gläubig sind, aber Gottes Stimme nicht auf diese Weise hören?

Hören ist eine Form von Inspiration. Wir sind inspirierbare Geschöpfe, die mit dem Geist Gottes in Einklang sein können. Ich erlebe ein inneres Hören, das sich vom Denken unterscheidet, manchmal erschrecke ich sogar. Ich höre zu, was in mir gedacht wird. Das ist eine Art von Beten. Beten ist nichts anderes, als Gott zu erhören.

Halten Sie es für möglich, dass Menschen eine solche hörende Haltung leben, ohne an Gott zu glauben?

Ja, ich glaube, es ist möglich, in dieser Herzenshaltung zu leben. Es gibt Menschen, die haben rationale Gründe, die sie daran hindern, an Gott zu glauben. Aber an Gott zu glauben, ist nicht nur eine Überzeugung, die ich mit dem Verstand begründen kann, sondern ein tiefes Empfinden für das Leben. Wir meinen bisweilen, es reiche aus, die richtige Glaubensüberzeugung zu haben. Gott aber sieht tiefer, er sieht unser Herz an. Glaube ist ein Sich-Anvertrauen und eine Herzensfrage.

Aber Sie gehen von einem Anvertrauen an ein Gegenüber aus.

Ja, ich würde sagen: Gebet ist Eintauchen in das Du Gottes. In modernen spirituellen Kreisen spricht man vom «wahren Selbst» und setzt das häufig mit Gott gleich. Das finde ich übergriffig und respektlos. Der jüdische Philosoph Martin Buber wehrt sich sehr dagegen, wenn er sagt: «Gott ist kein Teil der menschlichen Psyche.»

Sprechen Sie mit den Geigerinnen und Geigern über Spiritualität?

Es ist häufig ein Thema. Meine Werkstatt ist in einem 800 Jahre alten Haus, in dem Karmeliter 200 Jahre gelebt und gebetet haben. Im Dachgeschoss befindet sich eine Kapelle, die aber nicht als solche erkennbar ist. Da ist eine ungeheure Kraft. Hier spielen die Musiker*innen ihre Instrumente und spüren diese Kraft. Ich habe es zweimal erlebt, dass ein Musiker, eine Musikerin in die Kapelle gelaufen und in Tränen ausgebrochen ist. Manche kommen rein und sagen: «Die Werkstatt strahlt so eine grosse Ruhe aus.» Daraus entstehen oft Gespräche über Spiritualität.

 

*Geigenzettel werden in neue Violinen eingeleimt. Sie enthalten klassischerweise den Namen des Geigenbauers, Ort und Datum.

 

Buchtipps:
Der Klang: Vom unerhörten Sinn des Lebens (2010, Kösel-Verlag)
Herztöne: Lauschen auf den Klang des Lebens (2016, adeo-verlag)

 

 

 
Martin Schleske (*1965)

führt eine Geigenbauwerkstatt in Landsberg am Lech (D). In seinen Büchern verbindet er seine Erfahrungen als Geigenbaumeister mit seinem christlichen Glauben. Schleske, evangelisch-lutherischer Herkunft, sagt von sich, er sei im Laufe seines Lebens «katholischer geworden». Er ist mit einer Katholikin verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.

 

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