Andrea Arz de Falco, Vizedirektorin BAG, Leiterin Direktionsbereich Öffentliche Gesundheit. Foto: zVg

«Es braucht nur noch ein bisschen Geduld»

Andrea Arz de Falco berät den Bundesrat in Sachen Wiederzulassung von Gottesdiensten.

Es ist eine ereignisreiche Zeit im Kirchenjahr. Ostern, Weisser Sonntag, Auffahrt und Pfingsten. Das Versammlungsverbot trifft darum praktizierende Katholik*innen hart. Bischof Felix Gmür ersuchte den Bundesrat unlängst in einem Brief um die Wiederzulassung der Gottesdienste ab 21. Mai. Kann er sich Hoffnungen machen? Wir haben bei Andrea Arz de Falco, Vizedirektorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), nachgefragt. Sie berät Bundesrat Alain Berset beispielsweise bei der Wiederzulassung von Gottesdiensten.

von Andreas Krummenacher  

«pfarrblatt»: Frau Arz de Falco, wann werden die Gottesdienste wieder zugelassen? Gibt es morgen, am 19. Mai, eine Entscheidung, wenn sich Bundesrat Alain Berset mit Religionsvertretenden trifft?

Andrea Arz de Falco: Dass keine Gottesdienste gefeiert werden können, liegt am Versammlungs- und Veranstaltungsverbot, das der Bundesrat zur Bekämpfung der Ansteckungen mit dem Coronavirus erlassen hat. Eine Aufhebung dieses Verbots ist auf den 8. Juni geplant und muss auf die epidemiologische Lage abgestimmt sein; d. h. die Infektionsgefahr darf nur noch gering sein. Damit dies auch so bleibt, müssen vor allem Hygiene- und Distanzregeln eingehalten werden. Wie das z. B. im Rahmen eines Gottesdienstes umgesetzt werden kann, muss in einem Schutzkonzept festgehalten werden. Die Umsetzung ist in einem grossen Gotteshaus mit verschiedenen Eingängen und grosszügigen Platzverhältnissen sicher einfacher als in einem kleinen Raum. Beim Bundesrat und beim BAG sind viele Anfragen eingegangen, die eine möglichst baldige Öffnung der Gottesdienste wünschen, ganz im Sinne von «der Mensch lebt nicht vom Brot allein…». An dem geplanten Treffen vom 19. Mai wird Bundesrat Berset nochmals die Anliegen der Religionsvertretenden abholen und diese in seine Entscheidung, ob eine vorgezogene Öffnung möglich ist, mit einbeziehen.

Wie gehen Sie vor, wie arbeiten Sie, konkret am Beispiel der Gottesdienste? Werden da Schutzkonzepte geprüft, Gefahren diskutiert? Was macht es so schwierig, Gottesdienste wieder zu erlauben; in Fitnesscentern z. B. gibt es mit Schutzkonzept auch viele Leute, und diese sind offen?

Aktuell arbeitet das BAG an einem Rahmenschutzkonzept, an das sich die Schutzkonzepte der einzelnen Religions- und Konfessionsgemeinschaften anlehnen müssen. Für das Rahmenschutzkonzept konnten wir uns auf viele spezifische Schutzkonzepte abstützen, wie sie u. a. von der Bischofskonferenz, der evangelisch-reformierten Kirche, dem jüdischen Gemeinbund oder den muslimischen Gemeinschaften eingereicht wurden. Persönlich war ich sehr beeindruckt, mit welcher Sorgfalt und Umsicht diese Konzepte erarbeitet worden sind. Das Anliegen, die Pandemie gemeinsam weiter unter Kontrolle zu halten, ist spürbar. Ganz wichtig erscheint es mir, nochmals daran zu erinnern, dass die Schliessungen wie auch die Lockerungen nicht einer Logik der sozialen Bedeutung von Institutionen und Veranstaltungen folgen. Fitnesscenter sind nicht wichtiger als Gottesdienste. Ein Fitnesscenter ist aber keine Veranstaltung und die Personen, die sich dort aufhalten, trainieren je für sich und müssen selbstverständlich auch alle Hygiene- und Abstandsregeln einhalten. Der Bundesrat ist sich sehr wohl bewusst, dass die Freiheit der Religionsausübung in Gemeinschaft nicht nur ein Bedürfnis vieler Gläubigen, sondern ein Grundrecht ist, das nur im Falle einer grossen Bedrohung eingeschränkt werden darf. Die Diskussionen um die Lockerung dieser Einschränkung verlaufen entsprechend intensiv.

Sie müssen alle Religionsgemeinschaften und Konfessionen im Blick haben. Könnten Sie auch beispielsweise der katholischen Kirche Gottesdienste erlauben, anderen Kirchen aber nicht?

Wir haben uns bewusst für ein Rahmenschutzkonzept entschieden, das für alle Gottesdienste und religiösen Zusammenkünfte gilt, um Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen zu vermeiden. So ist es an den einzelnen Kirchen und Gemeinschaften zu prüfen, ob und wie ihre Gottesdienste und Feiern unter diesen Bedingungen gestaltet und durchgeführt werden können. Ab einem vom Bundesrat zu bestimmendem Zeitpunkt – der sicher in ganz naher Zukunft liegt – dürfen Gottesdienste, welche die Rahmenvorgaben einhalten können, durchgeführt werden, müssen aber nicht. Und was es auch zu bedenken gilt: Nicht nur unter den Gottesdienstbesuchenden gibt es besonders gefährdete Personen, die es zu schützen gilt, auch unter den Gottesdienstleitenden gibt es zahlreiche Menschen, die sich vor einer Ansteckung unbedingt schützen müssen. Das hohe Durchschnittsalter der katholischen Priester ist hier ein deutliches Indiz.

Das spirituelle Wohlbefinden ist laut Weltgesundheitsorganisation eine Dimension von Gesundheit. Gerade älteren Menschen dürften Gottesdienste in dieser schwierigen Zeit wichtig sein...

Wichtig und unzweifelhaft, aber wie bereits ausgeführt, bedürfen gerade auch die älteren Menschen eines besonderen Schutzes. Für alle gilt auch die Eigenverantwortung bezüglich der Sorge um die eigene Gesundheit. Aber auch der Staat und Institutionen wie Kirchen haben eine Fürsorgepflicht. So empfehlen einige Schutzkonzepte ihren besonders schutzbedürftigen Gemeindemitgliedern auf andere Formen der Religionsausübung auszuweichen statt an Gottesdiensten teilzunehmen. Stichwort Verhältnismässigkeit.

Die Kirchen sind nicht systemrelevant, gleichwohl gibt es Grundrechte. Sie sprachen die Religionsfreiheit an. Rechnen Sie mit juristischen Auseinandersetzungen?

Nach Abschluss der Krise wird es eine breite Aufarbeitung der Krisenbewältigung geben müssen. Im Rahmen dieser Evaluation werden alle getroffenen Massnahmen, der Zeitpunkt ihrer Veranlassung und ihrer Lockerung, sorgfältig geprüft werden, um Lehren für zukünftige Gesundheitsbedrohungen dieses Ausmasses ziehen zu können. Speziell im Fokus werden sicher auch die Grundrechtseinschränkungen sein. Gleichzeitig zeigt uns der Blick über die Landesgrenzen, dass es – mit ganz wenigen Ausnahmen – in allen anderen betroffenen Ländern zu ähnlichen Entwicklungen und Entscheiden gekommen ist. Bezüglich juristischer Auseinandersetzungen: Erfahrungsgemäss finden diese nur dort statt, wo es um finanzielle Fragen geht – z. B. Ausfälle von Einnahmen aufgrund von Betriebsschliessungen.

Unlängst publizierten Geistliche, die sich am Rand des katholischen Spektrums bewegen, ein Schreiben mit kruden Verschwörungstheorien. Es ging unter anderem um eine Gesundheitsdiktatur durch die Weltgesundheitsorganisation. Wie gehen Sie mit solchen Inhalten um, beunruhigt Sie das?

Verschwörungstheoretiker haben in Krisensituation immer ein günstiges Umfeld und stossen auf viele offene Ohren von Menschen, die sich für komplexe Fragen und Probleme einfache Antworten erhoffen. Jeder ist frei, seine eigenen Interpretationen bezüglich der aktuellen Lage zu entwickeln und zu vertreten. Kritisch wird es dann, wenn offensichtlich zum «zivilen Ungehorsam» aufgerufen wird – sich beispielsweise bewusst nicht an die Abstands- und Hygieneregeln zu halten – und damit möglicherweise über eine Verbreitung von Infektionen Menschenleben gefährdet werden.

Eine Leserin hat unlängst in einem Brief geschrieben: «Vergesst uns nicht! Ohne Messe verhungern wir sakramental und verdursten liturgisch.» Was würden Sie dieser Frau schreiben?

Ganz wichtig erscheint es mir, den Menschen zu sagen, dass diese Situation vorübergehend ist und ein Ende der einschneidenden Massnahmen in Sicht ist. Die Massnahmen selbst sind zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, speziell der besonders gefährdeten Personen, getroffen worden und haben allen Menschen Einschränkungen auferlegt und Verzicht abverlangt. Aber wie die Entwicklung der Epidemie zeigt: Es hat sich gelohnt. Die gemeinsame Anstrengung hat Früchte getragen und die Zahl der Ansteckungen massiv gesenkt. Bis zur Öffnung der Gottesdienste braucht es nur noch ein bisschen Geduld.

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