Amnesty International dokumentiert seit Jahren, wie die Polizeiarbeit in ganz Europa durch diskriminierende Praktiken wie Ethnisches Profiling beeinträchtigt wird. Ein juristischer Überblick.
Alicia Giraudel, Juristin bei Amnesty International Schweiz
Ethnisches Profiling liegt vor, wenn bei Kontrollen, Ermittlungen oder Überwachungsaktivitäten der Polizei Merkmale wie nationale Herkunft oder ethnische Zugehörigkeit ohne objektive Rechtfertigung herangezogen werden. Ethnisches Profiling, eine Form der Diskriminierung, ist nach Völkerrecht und Schweizer Recht verboten.
Ethnisches Profiling wirkt sich negativ auf Einzelne, die Gemeinschaften und die Strafverhütung aus. Opfer Ethnischen Profilings berichten, dass sie Angst vor der Polizei haben und sich von ihr gedemütigt fühlen. Diese Praxis stigmatisiert Minderheiten und kann dazu beitragen, bereits bestehende Vorurteile in der Gesellschaft zu verstärken. Ethnisches Profiling hat zur Folge, dass bestimmte Gruppen der Polizei misstrauen, was der Legitimität und Effizienz der Polizeiorganisation schadet und das Strafjustizsystem untergräbt.
Zudem zeigen Studien u. a. aus den USA, den Niederlanden, Schweden und dem Vereinigten Königreich, dass die Erstellung ethnischer Profile keine wirksame Methode der Polizeiarbeit ist. Oft sind sich die Beamt:innen nicht bewusst, dass die Bezugnahme auf die physischen Merkmale einer Personen als Indiz für ihren möglichen irregulären Aufenthalt eine Diskriminierung darstellt.
Trotz wiederholter Mahnungen internationaler Menschenrechtsgremien haben die kantonalen Polizeibehörden in der Schweiz bisher wenig getan, um Ethnisches Profiling aufzudecken und zu verhindern. Es werden keine Daten erhoben, es gibt keinen Rechtsrahmen, und den Polizeibeamt:innen fehlt es an der Ausbildung, klaren Instruktionen und dem Wissen, um negative ethnische Stereotypen wirksam bekämpfen zu können.
Auch wenn es in einigen Kantonen Ombudsstellen gibt, existieren in der Schweiz keine wahrhaft unabhängigen Aufsichtsorgane, die befugt sind, Beschwerden gegen Vollzugsbeamte zu untersuchen. Im März 2024 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz zum ersten Mal für Ethnisches Profiling verurteilt.
Im Grundsatzurteil Wa Baile gegen die Schweiz kam der Gerichtshof zum Schluss, dass die polizeiliche Durchsuchung einer Schweizer Person mit kenianischer Herkunft am Bahnhof Zürich im März 2015 Rassendiskriminierung darstellte, weil die Polizei keine stichhaltige Begründung für die Identitätskontrolle liefern konnte. Zudem rügte der EGMR, dass die Schweizer Verwaltungs- und Strafgerichte den Vorwurf der Diskriminierung nicht prüften und keine wirksamen Rechtsmittel zur Verfügung standen.
Das Verwaltungsgericht hatte die Frage, ob die Hautfarbe bei der Identitätskontrolle eine Rolle gespielt habe, offengelassen und das Bundesgericht kam als letzte Instanz zum Schluss, dass Wa Baile nicht beschwerdeberechtigt sei, weil ihm ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Diskriminierung fehle. Dieses Urteil des EGMR ist ein durchschlagender Erfolg für Minderheiten in Europa.
Es ist ein wichtiger Aufruf an die Schweizer Politiker:innen und Behörden, das Problem Ethnisches Profiling anzuerkennen, Daten zu erheben, die Aufschluss über dessen Ausmass geben, und unverzüglich Massnahmen zur Bekämpfung diskriminierender Polizeikontrollen zu ergreifen. Es ist an der Zeit, die Gesetze und Regelungen in Übereinstimmung mit internationalen Standards zu überarbeiten, eine Untersuchung aller Vorwürfe von Rassendiskriminierung im Zusammenhang mit der Polizeiarbeit sicherzustellen und wirksame Rechtsmittel gegen Ethnisches Profiling zu schaffen.