«Die Hauptverantwortung für eine faire Industrie soll schlussendlich nicht bei den Konsument*innen, sondern bei den Herstellern liegen.» Jamil Mokhtar und Salma Alaoui in der Berner Wirkerei Viktoria. Foto: Pia Neuenschwander

Fair statt Fast Fashion

Ein Gespräch mit Jamil Mokhtar über nachhaltige Mode und sein eigenes Label.

Jamil Mokhtar hat in aller Welt mitgeholfen, Kooperativen von Kleinbauern zu stärken und ihnen den Zugang zum Markt aufzuzeigen. In New York merkte er, dass «richtig konsumieren» bei Kleidern, anders als beim Essen, kaum grossgeschrieben wird. So baute er sein eigenes Label auf, besuchte die «Fashion Revolution Week» vor Ort und stieg in die Modewelt ein. Im Interview sagt er, warum Slow Fashion und Upcycling heute Stil haben.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Was haben Sie vor 20 Jahren angezogen?

Jamil Mokhtar: Damals habe ich mich gern im Ausland inspiriert und mir dort mit meinem Studentenbudget Kleider zusammengesucht, die es hier nicht gibt. Städtereisen waren gross im Trend, Nachhaltigkeit noch kaum ein Thema. Switcher und Helvetas gab es bereits, aber das entsprach nicht meinem Stil.

Was tragen Sie heute?

Ich bin gerne farbig angezogen und trage oft grossflächige Prints. Ich gehöre nicht zur Fashion Front. Trends renne ich nicht nach, aber sie lassen mich nicht unberührt. Heute kaufe ich in nachhaltigen Läden ein, das nimmt mir Infoarbeit über die Herkunft der Kleider ab. Gewisse Labels vereinen Stil und Nachhaltigkeit. Dort leiste ich mir online etwas, wenn ich es brauche.

Wie will «Fashion Revolution» das Modesystem verändern?

Die meisten Menschen hier wissen über die Schattenseiten von «Fast Fashion» Bescheid. Dementsprechend wollen wir keine Basisinfos liefern, sondern Handlungsoptionen aufzeigen. Wir wollen die Leute abholen, mit ihnen reden und sie inspirieren, ihre Haltung und ihr Verhalten zu verändern. Gerade bei Kleidung ist die Ästhetik wichtig – und diese lässt sich mit dem Ansatz von «Fashion Revolution» verbinden, bei dem der Kauf neuer Kleider als letztes kommt.

Viele Secondhandläden haben heute einen Stil oder eine Linie entwickelt. Bestehendem aus dem eigenen Kleiderschrank kann man zudem ein zweites, drittes, ja, viertes Leben geben. Man kann die Stücke abändern, umfärben, flicken, tauschen etc. Das verschiebt den Fokus vom Konsum auf bewusstes Handeln. Indem wir Sorge tragen zu dem, was wir haben, lernen wir den Wert unserer Kleidung (wieder) schätzen. Das gilt auch beim Kauf von etwas Hochwertigem, das man dann länger tragen kann.

«Fashion Revolution» will mit entsprechend sensibilisierten Kund*innen Druck auf die Unternehmen und Brands machen, Transparenz bei ihrer Produktion zu schaffen, so dass sie sich rechtfertigen müssen, wenn sie es nicht tun. Die Hauptverantwortung für eine faire Industrie soll schlussendlich nicht bei den Konsument*innen, sondern bei den Herstellern liegen.

Welche Fairtrade-Labels gibt es? Welche sind etwas wert?

In den Achzigerjahren gab es in der Schweiz rund 50 Biobauernhöfe. Nach Tschernobyl und dem Brand der Schweizerhalle ist die Nachfrage nach Bioprodukten in den 1990ern rasant angestiegen. Im Vergleich dazu ist die Kleiderindustrie heute am Punkt Tschernobyl. Rana-Plaza hat die sozialen Kosten der Textilproduktion – die menschlichen Ressourcen und die Umweltzerstörung – schlagartig aufgezeigt. Das Bewusstsein der Konsument*innen um eine faire Industrie wächst. Dazu braucht es Wissen und Empathie. In Labels aus der Industrie selber steckt viel Selbstdeklaration, Marketing und «Green Washing» für ein «umweltfreundliches» und «verantwortungsbewusstes» Image drin. Eine hinreichende Grundlage dafür fehlt jedoch oft. Von extern vergebene Gütesiegel hingegen stehen für ein geprüftes und verbürgtes Produktionssystem, zum Beispiel www.labelinfo.ch oder www.getchanged.net


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