Titelbild des «pfarrblatt» zum Rücktritt Benedikts XVI. im Februar 2013. Foto: Reuters, Alessandro Bianchi

«Habt keine Angst vor Christus»

Zum Tod des ehemaligen Papstes Benedikt XVI.

Für die ökumenisch geprägte katholische Kirche im Kanton Bern bleibt das Vermächtnis des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. zwiespältig.

Von Andreas Krummenacher

Der ehemalige Papst Benedikt XVI. ist heute Morgen im Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan im Alter von 95 Jahren gestorben. Geboren als Josef Ratzinger war er zwischen 2005 und 2013 Papst Benedikt XVI., das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche.

Josef Ratzinger wurde bekannt als Theologe des Zweiten Vatikanischen Konzils. Er widmete sein Leben der Hierarchie der katholischen Kirche. Er war Professor, Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre und damit zuständig für die Glaubens- und Sittenlehre der katholischen Kirche, Kardinal und einer der engsten Mitarbeiter von Papst Johannes Paul II., dem er im Papstamt nachfolgte.

Polarisierend

Nach seiner Wahl zum Papst im April 2005 sagte der damalige Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jean-Pierre Ricard, Benedikt werde «Wächter der Menschlichkeit, Zeuge der Liebe Gottes für alle und erster Diener der Einheit sein».

Gleichzeitig äusserte der Befreiungstheologe Leonardo Boff damals im «pfarrblatt» seine Bedenken: «Kardinal Ratzinger ist ein grosses Risiko für die Einheit in der Kirche und eine direkte Gefährdung der Freiheit des theologischen Denkens. Er ist zwar ein intelligenter Theologe, aber er hat kaum pastorale Praxis (...). Als Verantwortlicher für die Lehre der Kirche in Rom hat er viele Theologen gemassregelt, bischöfliche Konferenzen gedemütigt, wie die von Holland und Brasilien, und er hat eine doktrinäre Strenge im ökumenischen Dialog eingeführt.»

Der damalige Co-Dekenatsleiter der Dekanats Bern, Karl Graf, betonte die Kontinuität mit der Wahl Benedikts. Der Dialog der Religionen gehe weiter, das Engagement für Frieden und Gerechtigkeit sei auch Benedikt wichtig. Es hänge nicht alles an der Person eines neuen Papstes. So wie sich Benedikt bei seinem ersten Auftritt demütig als «Gärtner im Weinberg des Herrn» bezeichnet habe, «so sind wir alle als Getaufte Gärtner auf Gottes Acker, den wir aus unserer eigenen Lebensberufung kreativ gestalten können.»

Die Ökumene

Die Ökumene, die Zusammenarbeit der christlichen Konfessionen, war Josef Ratzinger stets ein Anliegen. 1999 hatte er entscheidenden Anteil an der «Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre». Bloss ein Jahr später aber veröffentlichte Josef Ratzinger als Glaubenshüter die Schrift «Dominus Iesus», es ist dies die Erklärung «über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche», nicht nur indirekt wird darin den protestantischen Kirchen das Kirche-Sein abgesprochen. Die Empörung war gross, die Verletzungen wirken nach.

In Fragen der Sexualmoral bewegte sich Benedikt in seiner Amtszeit nicht. Er sah die traditionelle Ehe von Mann und Frau in Gefahr. Die moderne, säkularisierte Welt war ihm suspekt, oft sprach er vom Relativismus. Dieser bedrohe die christlichen Werte, die Welt insgesamt.

Interreligiöser Dialog und Piusbrüder

Als Theologe und als Papst bemühte er sich darum, die Fragen nach Gott und dem Glauben wachzuhalten, christliche Werte ins Spiel zu bringen und anzumahnen. Er setzt sich vehement für die Religionsfreiheit ein. Seine Sprache als Papst ist diplomatischer, weniger ausschliessend.

Sein Fokus auf das christliche Europa blieb bestimmend. Ein islamkritisches Zitat eines byzantinischen Kaisers aus dem 15. Jahrhundert führt zu Protesten. Immer wieder unterschätzte Papst Benedikt die Macht seiner Worte, immer wieder war er kommunikativ schlecht aufgestellt.

Im festen Willen um die Einheit der Kirche, wollte er die rechtsextremistische Piusbruderschaft zurück in den Schoss der Kirche holen. Vier Bischöfe sollten rehabilitiert werden. Er wollte diese Scharte im Nachgang des Zweiten Vatikanums auswetzen.

Einer dieser Bischöfe ist Richard Williamson, ein bekennender Holocaustleugner. Der Aufschrei war umfassend. Die Piusbrüder lehnen zentrale Reformen des II. Vatikanischen Konzils ab, die Ökumene, die Liturgie und den interreligiösen Dialog lehnen sie in der aktuellen Form ab. Die Versöhnung bleibt bis heute aus.

In diesem Zusammenhang fällt auch die anhaltende Kontroverse um die alte Messe. Benedikt wollte traditionalistischen Kreisen entgegenkommen und die lateinische Messe nach dem Messbuch von 1962 auch ohne bischöfliche Erlaubnis wieder zulassen. Damit verbunden war demnach die Aufwertung der alten «Judenfürbitte». Nach einer grossen Auseinandersetzung formulierte Benedikt diese Fürbitte um, der Schaden war aber längst angerichtet.

Sexuelle Gewalt

Das Thema sexuelle Gewalt und Ausbeutung in der katholischen Kirche begleitete ihn ebenfalls ein Leben lang. Er hat vieles angepackt, das Thema überhaupt erst auf die Tagesordnung gesetzt. Er hat Symposien veranstaltet, sich mit Überlebenden getroffen. Er hat Trost gespendet. Gleichzeit gab es Stimmen, die ihm vorwarfen, viel zu spät gehandelt zu haben, nicht alles offengelegt zu haben. Er wurde der Lüge bezichtigt, er habe selbst Täter verschont. Es bleibt auch hier eine zwiespältige Bilanz.

Feingeister Denker

Am Ende muss man konstatieren, dass Papst Benedikt in seiner Amtszeit nicht überraschte. Er hat die grossen Themen der Kirche, die Probleme und Herausforderungen versucht anzugehen, jedoch ohne Erfolg.

Er war ein fleissiger Autor, bis zuletzt ein Denker und Theologe. Drei Bücher über Jesus legte er vor sowie drei Enzykliken (eine über die Liebe Gottes und die Nächstenliebe, eine über die Hoffnung und eine Sozialenzyklika). Diese lesen sich stringent, sie sind klar formuliert, die Gedankenführung ist nachvollziehbar, selbst für Laien. Seine Sprache ist feingeistig und schön.

Der Rücktritt

Sein Rücktritt 2013 wird für immer in Erinnerung bleiben. Er habe damit, schrieb damals der Jesuit Franz-Xaver Hiestand im «pfarrblatt», eine Reform ungeahnten Ausmasses eingeleitet, «weil er den Mythos und die Symbolik des Papsttums selbst verändert und relativiert. Er hat die Schlüssel, die ihm als Nachfolger des Apostels Petrus anvertraut wurden, in die Hand genommen, um eine Türe zu öffnen. Mit seinem epochalen Schritt, der von Grösse und Freiheit vor Gott zeugt, verleiht er seinem Pontifikat eine eminent neue Färbung.»

Rückkehr zum Herrn

In seiner Predigt zum Amtsantritt 2005 sagte Benedikt, der Glaube an Christus schränke nicht die Freiheit der Menschen ein. Wer sich auf Christus einlasse, dem gehe «nichts verloren von dem, was das Leben frei, schön und gross macht». Erst in dieser Freundschaft gingen «überhaupt die grossen Möglichkeiten des Menschseins auf». «Habt keine Angst vor Christus! Er nimmt nichts, und er gibt alles», rief der Papst damals in die Menge.

Papst Franziskus wird am 5. Januar, um 9.30 Uhr die Totenmesse für Benedikt auf dem Petersplatz halten. Diese soll, auf Wunsch des Verstorbenen, schlicht gestaltet sein.

 

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