Seelsorgerin Barbara Moser. Foto: Insel Gruppe

Ich sage adieu

Kolumne aus der Inselspitalseelsorge

Eigentlich wäre ich schon im Ruhestand. Eigentlich. «Aber: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt». Das kennen auch Patient:innen und ihre Angehörigen.

Eine Frau spricht mich an und erinnert daran, dass ich sie in ihrem Glauben, dass ihr Mann wieder gesund würde, unterstützt habe. «Und sehen Sie», sagt sie freudestrahlend, «hier ist das Resultat». Der Mann an ihrer Seite nickt eifrig und bestätigt die Schilderung seiner Frau.

Nicht immer sind die Verläufe so erfreulich. Der Mann hat wider aller Erwartungen einen schwerwiegenden medizinischen Notfall überlebt.

Des Öfteren erleben wir auch das Gegenteil: Lebensentwürfe werden zerstört, weil ein geliebter Mensch verstirbt, Pläne werden durchkreuzt, weil plötzlich eine Krankheit oder die Folgen eines Unfalls ins Zentrum rücken. Weil es erstens anders kommt und zweitens als man denkt, sei es empfohlen, uns nicht völlig von quälenden Gedanken in Beschlag nehmen zu lassen.

So habe ich das in einer Weiterbildung gelernt und erfahren.

Gedanken, Gefühle und Empfindungen existieren ununterbrochen nebeneinander und beeinflussen sich gegenseitig. Nur sind wir uns dessen meistens nicht bewusst.

Stetiges achtsames Wahrnehmen ermöglicht uns einen Zugang zu diesen verschiedenen Ebenen unseres Erlebens. Die Aufmerksamkeit kann zum Beispiel mal zu den Gedanken, mal zu den körperlichen Empfindungen gelenkt werden. Wir pendeln oder oszillieren zwischen den Ebenen. Dadurch haben wir etwas mehr inneren Spielraum und auch belastende Empfindungen, Gedanken oder Gefühle haben etwas weniger Macht.

Beispiel. Ich werde des Nachts in einen Einsatz gerufen. Ich bin informiert, dass die Patientin den Unfall nicht überleben wird. Auf dem Weg zur Abteilung konzentriere ich mich auf meinen Atem, nehme das Ein- und Ausströmen wahr. Ebenso nehme ich den Fussboden bewusst wahr. Mit gezielten Fragen kann der Kontakt mit den Angehörigen aufgebaut werden, um sie von ihrem destabilisierten Zustand Schritt für Schritt wieder in die Handlungsfähigkeit zurückzuführen. Wenn die Gefühle überhandnehmen, animiere ich die Angehörigen zum Trinken, sich die Hände zu reiben oder die Füsse bewusst wahr zu nehmen.

«Wer Achtsamkeit kultiviert, ist weniger von eigenen Gedanken gefangen, wird weniger von Gefühlen überschwemmt und von Empfindungen überwältigt. Das bedeutet nicht, distanziert zu sein. Im Gegenteil: Wir sind empfänglicher, verbunden und anwesend» (Thea Rytz: Achtsam bei sich und in Kontakt, Hogrefe 2018, S. 96.)

Das ist für unsere Arbeit sehr wichtig. Diese habe ich in den vergangenen acht Jahren mit viel Freude und Leidenschaft ausgeübt. Ich bin demütiger geworden. Das Leben ist ein Geschenk wie die Gesundheit auch. Ich bin dankbar für alles, was ich erleben und erlernen durfte. Nun ist es an der Zeit, in einen neuen Lebensabschnitt überzugehen.

Der Gedanke daran erfüllt mich mit Freude. Aber Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Ich sage adiö, büt ech Gott, läbet wohl!

Barbara Moser, ref. Pfrn. und Seelsorgerin

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