Beim Wandern lässt sich ungezwungen plaudern. Auf Hochdeutsch. Foto: Sylvia Stam

Im Laufen Deutsch lernen

«Wandern für alle» begeistert Einheimische, Migrant:innen und ukrainische Flüchtlinge

Gemeinsam laufen, Leute kennen lernen und ungezwungen Deutsch sprechen. «Wandern für alle» begeistert Migrant:innen und Einheimische - im Rahmen des Ukraine-Hilfspakets unterstützt die Kath. Kirche Region Bern das Projekt mit einem Beitrag.  

Text und Fotos: Sylvia Stam 

«Ich bin glücklich hier», erzählt Asrat, 39. «Alles funktioniert, man kann bequem im ÖV sitzen und kommt pünktlich an, die Häuser sind gut, es gibt ein Spital», schwärmt die Äthiopierin. Und «die Leute helfen viel», so ihre Erfahrung.  

Asrat ist eine von gut 30 Teilnehmer:innen, die am ersten «Wandern für alle» (Siehe Infobox) in diesem Jahr teilnehmen: Der Weg führt von Frauenkappelen nach Hinterkappelen. 40 Personen hätten sich angemeldet, sagt Barbara Mosca, 68, Initiantin und Organisatorin des Projekts. Über 30 weiteren habe sie aus Kapazitätsgründen absagen müssen.  

Die Idee ist simpel: Auf zwei- bis dreistündigen Wanderungen lernen Menschen aus anderen Kulturen neue Leute und schöne Routen kennen. Gleichzeitig haben sie die Möglichkeit, ungezwungen deutsch zu sprechen. «Etwa ein Drittel der Teilnehmenden sind deutschsprachig», sagt Barbara. Darunter sind Leute vom 10-köpfigen Organisationsteam, Deutsch-Lehrpersonen, aber auch Pensionierte, die sich für das Projekt einsetzen. 

Gesprochen wird weitgehend hochdeutsch. Wo sich Gleichsprachige finden, hört man an diesem Mittwoch auch ukrainisch, türkisch, spanisch.  

«Ich komme wieder» 

Von Frauenkappelen führt der Weg durch den Wald hinunter zum Wohlensee, der heute in strahlendem Blau daliegt. Für eine kurze Strecke geht’s über steile Treppenstufen abwärts. Das fällt einzelnen nicht so leicht, doch das dreiköpfige Organisationsteam sorgt dafür, dass alle es schaffen. Der See und das waldige Ufer animieren zum Fotografieren: die ersten Blumen, Nester bauende Schwäne oder sich selber.   

«In der Türkei wandern die Leute nicht so viel wie hier», erzählt Murat, 52. In seiner Heimat hat er im Tourismus- und Hotelmanagement gearbeitet. «Aber in den letzten Jahren hat es zugenommen». Es gebe heute Vereine für Spaziergänge und Naturliebhaber:innen. Vom «Wandern für alle» hat er via seine Deutschlehrerin erfahren. Er ist begeistert: «Ich komme wieder!»  

Seine Lehrerin Astrid, 35, läuft selber auch mit, nicht zum ersten Mal. «Ich erzähle meinen Schüler:innen jeweils von diesem Angebot. Die Interessierten melden sich dann individuell an. Heute sind drei von ihnen hier», erzählt sie, die an der ILS Deutsch unterrichtet und daneben Psychologie studiert.  

Alternativprogramm bei Regen 

«Wenn es regnet, gehen wir in den Botanischen Garten oder in ein Museum», erklärt Barbara Mosca, die bis zu ihrer Pensionierung im Kulturmanagement tätig war. Und weil sie selber passionierte Schlittschuhläuferin ist, sei im November jeweils Schlittschuhlaufen angesagt. Viktoria, 20, aus der Ukraine, war letzten November dabei. «Ich war so begeistert, dass ich selber ein paar Schlittschuhe gekauft habe», sprudelt die junge Frau. Sie ist seit letztem Sommer mit ihrer Mutter in der Schweiz und konnte letztes Jahr online ihre kaufmännische Ausbildung abschliessen. Vom «Wandern für alle» hat sie über eine Kollegin erfahren. Weil sie gerne Leute kennenlernt, kam sie einmal mit und ist seither immer dabei «wenn ich Zeit habe.» «Ich habe auf diesen Tag gewartet», erzählt sie. Denn in den Wintermonaten finden keine Wanderungen statt. 

«Es ist nicht einfach, Leute kennen zu lernen», sagt Yan Tse, 41, aus Malaysia. Auch sie ist via ihre Lehrerin aufmerksam geworden und freut sich sehr, ihr Deutsch hier anwenden zu können. Da der Weg nach dem steilen Abstieg weitgehend eben verläuft, ist dies auch sehr gut möglich. In den acht Jahren, seit es das Projekt gibt, hätten sich schon Freundschaften und sogar Partnerschaften gebildet, erzählt Barbara.  

Helena, 66, läuft zum ersten Mal mit. Die pensionierte Schweizerin staunt: «Da sind Junge und ältere gemeinsam unterwegs!» Das Tempo ist für sie eher langsam, «aber es gibt gute Gespräche, auch wenn ich nicht immer alles verstehe. Es herrscht eine gute Stimmung!»  

Auch Williams, 48, ist zum ersten Mal dabei. Der Priester lernt derzeit deutsch und besucht für das Bistum Basel an der Universität Luzern Vorlesungen in Pastoraltheologie. In der Berner Pfarrei St. Antonius wird er zudem in das Pfarreileben und die Gepflogenheiten der Schweizer Kirche eingeführt. Das Wandern hat er in Europa kennen gelernt. In Nigeria müssten die Leute ihren Lebensunterhalt verdienen, Wandern liege da nicht drin. Ausserdem hätten sie Angst vor Kriminalität. Das «Wandern für alle» findet er spannend. Auch er will wiederkommen: «Ich bringe vielleicht meinen Kollegen mit».  

Nach rund zwei Stunden gibt’s ein Zmittag aus dem eigenen Rucksack am See. Cherrytomaten, Pistazien, Himbeeren und Schokolade werden herumgereicht. Perfekt im Zeitplan erreicht die Gruppe schliesslich Hinterkappelen. Hier fährt alle zehn Minuten ein Bus zum Hauptbahnhof Bern zurück. Natürlich pünktlich.   

Nächste Wanderung: Fr, 28. April 2023, 14 – 17 Uhr . Treffpunkt Loeb-Egge, Bern. Anmeldung nötig unter wandern-fuer-alle.ch 
 

«Wandern für alle» richtet sich speziell an Migrant:innen, ist aber offen für alle. Die monatlichen Ausflüge in die Region Bern sind gratis, ÖV-Kosten werden bei Bedarf übernommen. Initiiert wurde das Projekt von Barbara Mosca und Katrin Sperry, die zehnköpfige Kerngruppe arbeitet unentgeltlich. Das Projekt wird getragen von der Fachstelle für Migration (isa-bern), dieses Jahr mitunterstützt von Migros Engagement. Auch die Katholische Kirche Region Bern finanziert mit im Rahmen von Bärner Härz und dem Ukraine-Hilfspaket.

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