«migratio» ist verantwortlich für die Seelsorge der Sprachgemeinschaften und in den Asylzentren. «Hier können wir zeigen, dass wir eine solidarische Kirche sind. Und nicht nur eine Institution voller Skandale», sagt die Direktorin Isabel Vasquez.
Annalena Müller
«pfarrblatt»: 40 Prozent der Katholik:innen in der Schweiz haben einen Migrationshintergrund. Im Kanton Bern sogar 50 Prozent, warum spart die RKZ gerade bei «migratio»?
Isabel Vasquez*: Die RKZ spart nicht nur bei «migratio». Die gestiegenen Genugtuungsleistungen und die Umsetzung der Massnahmen im Kampf gegen Missbrauch müssen bezahlt werden. Auch die weniger werdenden Kirchenmitglieder und damit die sinkenden Steuergelder machen sich bemerkbar. Daher werden aktuell Sparmassnahmen auf allen Ebenen und Institutionen geprüft. migratio ist eine davon.
Worin unterscheidet sich «migratio» von anderen kirchlichen Dienststellen?
Vasquez: Die katholische Kirche in der Schweiz hat seit jeher einen hohen Migrationsanteil. Das Besondere an Migration ist, dass sie sehr wandelbar und daher nur begrenzt planbar ist. Behörden und Dienststellen machen Budgets für ein oder mehrere Jahre. Auch «migratio» arbeitet so. Gleichzeitig müssen wir flexibler sein als andere Stellen.
Warum?
Vasquez: In einer Welt, in der Konflikte zunehmen und es zu Fluchtwellen kommt, brauchen wir flexible Mittel, um auch kurzfristig handeln zu können. Ein Beispiel für eine solche Situation ist der Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar 2022. Da hatten wir Mittel, um kurzfristig und niederschwellig den Geflüchteten helfen zu können.
Was sind die Hauptaufgaben von «migratio»?
Vasquez: «migratio» ist primär in der Pastoral aktiv und wir sind dafür verantwortlich, dass für die verschiedenen Sprachgemeinschaften eine adäquate Seelsorge sichergestellt ist. Ebenfalls in unseren Bereich gehört die Seelsorge der Fahrenden, der Zirkusgemeinschaften und die Asylseelsorge. «migratio» ist gewissermassen die Universalkirche im Kleinen. Ein Beispiel hierfür sind die Wallfahrten nach Einsiedeln, Madonna del Sasso oder Mariastein. Dort treffen sich jedes Jahr viele Sprachgemeinschaften.
Koordiniert «migratio» das gesamte kirchliche Engagement in der Asylarbeit?
Vasquez: Nein, auch die Landeskirchen und Kantone sind in der Asylarbeit engagiert. Hier treffen sich Kirche und Politik. «migratio» engagiert sich vor allem in der Seelsorge und die ist gerade im Asylwesen zentral. Wir treffen dort auf viele Menschen, die Unglaubliches erlebt haben. Die ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben, die zu Fuss die Wüste überwinden mussten, die Gewalt und Tod gesehen haben. Die seelsorgerische Betreuung dieser Menschen ist, meiner Ansicht nach, eine kirchliche Kernaufgabe. Es ist einer der Orte, an denen wir zeigen können, dass wir eine solidarische Kirche sind. Und nicht nur eine Institution voller Skandale.
Wo wird «migratio» den Rotstift ansetzen müssen, wenn die RKZ ihren Beitrag reduziert?
Vasquez: Das kann ich noch nicht beantworten. Wir hoffen, dass wir mit Spenden die grössten Lücken schliessen können.
Die Schweizer Bischofskonferenz hat beschlossen, dass die Kollekte des letzten Sonntags im September an «migratio» geht. Reicht es, um die zu erwartende Finanzlücke zu schliessen?
Vasquez: Ich hoffe es. Die Kollekte am 29. September ist für uns dieses Jahr noch zentraler. Letztes Jahr, das war kurz nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie, gab es in einigen Gemeinden Unsicherheit, ob das Geld wirklich komplett an migratio geht. Eine Pfarrei rief mich an und sagte: «Wir behalten das Geld ein, da wir nicht wollen, dass es an die Bischöfe geht.» Ich kann dazu nur sagen: Die Kollekte geht vollumfänglich an «migratio» und an niemanden sonst. Wir sind darauf angewiesen.
*Isabel Vasquez (52) ist seit 2022 Nationaldirektorin von «migratio». Die in Guatemala geborene Vasquez wuchs in Spanien auf und lebt seit 2005 in der Schweiz.
Am 29. September ist Tag der Migrant:innen. Die Kollekten gehen an diesem Tag direkt an «migratio». Spenden sind auch via QR-Code möglich.