Szene aus dem Historiendrama «J’accuse» (Intrige) von Roman Polanski. Foto: Guy Ferrandis.

«J’accuse»

Jetzt im Kino: Polanskis Historiendrama rollt die Dreyfus-Affäre auf - eine Verwicklung aus Antisemitismus, Vertuschung und Macht.

Die Dreyfus-Affäre ist eines jener historischen Ereignisse, das kaum noch jemand kennt. Der amerikanisch-polnische Regisseur Roman Polanski holt die Ereignisse in einem aufwendig produzierten Spielfilm zurück ans Licht. Mit seinem Drama «J’accuse» (deutscher Titel: Intrige) macht er das wahre Ausmass dieses wohl grössten Justiz- und Politskandal Frankreichs des späten 19. Jahrhunderts deutlich. Der Film rollt die Umstände der Dreyfus-Affäre auf und enttarnt eine ungeheure Verwicklung aus Antisemitismus, Vertuschung und Macht.

1894 wird der französische Offizier Alfred Dreyfus (Louis Garrel) angeklagt, Militärgeheimnisse zugunsten Deutschlands verraten zu haben. Er wird degradiert und auf die Teufelsinsel (Französisch-Guyana) verbannt. Vier Jahre später macht der Schriftsteller Emile Zola in seinem berühmt gewordenen offenen Brief «J’accuse» («Ich klage an») an den damaligen Präsidenten der Französischen Republik, in der Tageszeitung L’Aurore öffentlich bekannt, dass ein Unschuldiger verurteilt wurde, weil er Jude ist. Die Dreyfus-Affäre erschüttert und spaltet die französische Gesellschaft zutiefst. Jene, die an Dreyfus’ Unschuld glauben, geben sich als Anhänger einer liberalen, säkularen Republik zu erkennen, sie stellen die Menschenrechte über die Staatsraison. Rechtskonservative Sympathisanten hingegen halten an Dreyfus’ Schuld fest. Sie sehen das Militär, trotz der Niederlage von 1870, nebst der katholischen Kirche als unantastbare, unverzichtbare Staatsstütze, der das Schicksal Einzelner mitunter zum Opfer fällt.

Im Drama wird die Dreyfus-Affäre aus dem Blickwinkel des Offiziers Georges Picquart (Jean Dujardin) erzählt, der zum Chef des Geheimdienstes ernannt wurde. Er ist kein aktiver Antisemit, mag aber keine Juden, allerdings mehr aus Tradition als aus Überzeugung. Dennoch: Er erkennt die Falschheit der Anschuldigungen gegen Dreyfus und beginnt mit eigenen Nachforschungen. Dabei gerät er in ein gefährliches Labyrinth aus Verrat, Korruption und Antisemitismus, das seine Ehre und sein Leben in Gefahr bringt. In einem Gespräch mit seinem Hauptkontrahenten Major Henry wird Picquarts Dilemma besonders deutlich: «Sie befehlen mir einen Mann zu erschiessen und ich tue es. Wenn Sie mir danach sagen, Sie haben sich im Namen geirrt, tut es mir leid, aber es ist nicht meine Schuld. So ist die Armee.» Picquarts Antwort darauf: «Das mag vielleicht Ihre Armee sein, Major, nicht meine.» In einem Interview zum Film hält Roman Polanski fest, dass diese Realität immer noch relevant sei: «Soldaten sind dazu verpflichtet, für ihr Land zu töten. Aber wenn dabei ein Verbrechen begangen wird, sind sie nicht dazu verpflichtet, es zu vertuschen.» Polanskis Historiendrama basiert auf dem Bestseller «Intrige» von Robert Harris. Packend und mit Liebe zum Detail inszeniert wirft es universelle Fragen nach Schuld, Gewissen und Wahrheit auf – Fake News inklusive. Auch heute, 120 Jahre später, finden sich viele der dargestellten Haltungen immer noch – insbesondere in hierarchisch organisierten Institutionen.

Anouk Hiedl


«J’accuse»
Historiendrama von Roman Polanski. Mit Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner, Olivier Gourmet, Mathieu Amalric, Vincent Perez, Melvil Poupaud, Vincent Grass.
Kinostart: 13. Februar 2020
Trailer


Wegen Protesten: César-Akademie tritt zurück

Nach Kritik an der Nominierung von «J’accuse» bei den französischen Filmpreisen ist der Vorstand der César-Akademie am 13. Februar geschlossen zurückgetreten. Damit soll wieder Ruhe einkehren, teilte die Akademie mit. Zum Eklat kam es, weil Polanski mit «J’accuse» für zwölf Césars nominiert wurde, unter anderem als bester Regisseur. Gleichzeitig erhob das Ex-Model Valentine Monnier einen neuen Vorwurf gegen den Regisseur: Er soll sie 1975 vergewaltigt haben. Polanski bestreitet die Anschuldigung. Feministinnen forderten, den Film abzusetzen, und am 10. Februar veröffentlichte die Zeitung «Le Monde» einen Aufruf von rund 400 französischen Filmschaffenden, die die César-Akademie als intransparenten und verkrusteten Alte-Männer-Club kritisieren und eine grundlegende Reform fordern. Zu den Unterzeichnern gehören Regisseure und Regisseurinnen wie Bertrand Tavernier oder Céline Sciamma sowie zahlreiche Schauspielerinnen, etwa Léa Seydoux. Die Césars werden am 28. Februar verliehen, danach soll auf einer Hauptversammlung ein neuer Vorstand gewählt werden. sda/red

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