Emmanuel Cerda leitet seit einem Jahr die spanischsprachige Mission der Region Bern. Foto: Pia Neuenschwander

«Kirche ist ein Haus für alle – ein Ort des Lebens»

Emmanuel Cerda, Leiter der spanischsprachigen Mission, im Porträt

Emmanuel Cerda ist seiner Berufung gefolgt. Diese hat ihn nach Europa geführt. Als Missionar und Migrant begleitet er Menschen, die ihre Heimat verlassen haben. Seit gut einem Jahr leitet er die spanischsprachige Mission der Region Bern.

Von Anouk Hiedl


Völkerwanderungen, Massenauswanderungen, Migration: Seit jeher verlassen Menschen ihre Heimat aus wirtschaftlichen, religiösen, politischen, beruflichen oder persönlichen Gründen. Seit 133 Jahren richten Scalabrini- Missionare den Fokus ihres Dienstes auf Migrant*innen (siehe Kasten). Emmanuel Cerda Aguilera, 35, ist einer von ihnen. Seit dem 1. September 2019 leitet er die spanischsprachige Mission in Ostermundigen. Sein Weg hierher hat ihn durch die Welt geführt.

Emmanuel Cerda ist Mexikaner. Er formuliert seine Antworten mit Bedacht, sie sind von Liebe zum Leben, zu Gott und den Menschen geprägt. Als Kind wollte er Anthropologe werden, später «vielleicht Philosoph». Mit 16 leitete er eine Jugendgruppe in seiner Heimatpfarrei Michoacán. «In dieser Zeit liegt wohl der Ursprung von allem. Ich wollte immer im Dienst der Kirche sein, wusste aber nicht genau wie und wo. Ich sprach nicht davon.» Mit 18 begann er, Chemie zu studieren. «Schon im ersten Semester fühlte ich eine Unruhe im Herzen. Ich hatte den Ruf Gottes gehört, doch so vieles war unklar. Schliesslich fasste ich einen Entschluss und sagte meinen Eltern, dass ich meinen Weg bei der Scalabrini- Gemeinschaft machen möchte. Sie haben es nicht verstanden, doch ich war mir sicher.»

Vom Novizen zum Zugvogel

Emmanuel Cerdas Vater hatte 20 Jahre in den USA gelebt, auch einige seiner Onkel, Tanten und Cousinen waren ausgewandert. «Es machte mich traurig, dass sie weggehen mussten. Ich wollte etwas für Migrant*innen tun. So entschied ich mich für die Gemeinschaft der Scalabrini-Missionare. 2009 machte ich mein Noviziat dort und studierte Philosophie an ihrem Priesterseminar in Mexiko.» Nach seinen Ordensgelübden wurde ihm sein neues Arbeitsgebiet zugeteilt – Europa. So wurde auch Emmanuel Cerda zum Migranten. Er studierte Theologie in Rom, arbeitete ab 2010 in Italien, Frankreich, Südafrika, Grossbritannien und Deutschland und wurde 2016 in seiner Heimatstadt Michoacán zum Priester geweiht.

2018 erreichte ihn die Anfrage, ob er die spanischsprachige Mission in Bern leiten wolle. Emmanuel Cerda stand vor einer schwierigen Entscheidung. «Es würde eine ganz neue Erfahrung sein, auch Gemeindeleiter zu sein. Ich wusste, ich kann und möchte das machen. Zudem bin ich Missionar – so habe ich zugesagt.» Der Anfang sei schwer gewesen. «Ich war etwas verloren, mit tausend Fragen und viel Hoffnung. Ich stand vor einem offenen Feld, das positiv gesegnet und herausfordernd sein würde. So fing ich vor einem Jahr im Namen Gottes nach dem Motto «vamos» an, und ich bin froh, hier zu sein. Ich möchte mehr Spanischsprachige erreichen, sodass viele wissen, dass wir da sind. Gerade mit Corona kommen viele Migrant*innen zu uns. Wir haben nicht auf alles eine Antwort, und wir können auch nicht alles machen. Das müssen wir akzeptieren.»

Emmanuel Cerda besucht seine Leute gern. «In der Messe lernen sie nur einen kleinen Teil von mir kennen. Meine Mission ist aber nicht nur hier vor Ort. Den Rest mache ich draussen, unterwegs, bei den Familien. Dort lerne ich ihre Probleme kennen und kann sie begleiten. Das erfüllt meine Arbeit mit Sinn. Die Menschen laden mich ein oder ich gehe von selbst zu ihnen. Diplomaten und Konsuln sind zurückhaltender, vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Wenn sie Vertrauen fassen, kann ich für sie da sein.» Der Scalabrini-Missionar arbeitet mit seinem Team auch mit anderen Missionen, deutschsprachigen Pfarreien und Fachstellen sowie den spanischsprachigen Botschaften im Raum Bern zusammen. Daraus ergeben sich gemeinsame Projekte, Patronatsfeste oder kulturelle Veranstaltungen wie lateinamerikanisches Kino.

Fern der Heimat zu Hause

Die spanischsprachige Mission umfasst Menschen aus 23 Ländern. Bei den Traditionen, der Sprache und Mentalität der Migrant*innen stellt Emmanuel Cerda Unterschiede fest: «Spanier*innen sind oft direkter und besser organisiert, Lateinamerikaner*innen spontaner, höflicher und herzlicher.» Zwischen den Kirchen- und Gottesbildern der Menschen aus Spanien und Lateinamerika merkt er kaum Unterschiede. «Im Glauben haben wir dasselbe lateinisch-mediterrane Erbe. In unserer Haltung besteht eine Einheit, auch in der Verehrung der Madonna. Deshalb sind wir in dieser einen Mission zusammen.»

Zur Art, wie der Glaube in der Schweiz gelebt werde, gebe es hingegen deutliche Unterschiede. «Die Kirchen hier sind kühler, formeller und ruhiger als unsere. Für uns ist ein Gotteshaus nicht nur ein Ort, wo man zur Messe oder zum Beten hingeht. Es ist ein Haus für alle – ein Zuhause, eine Heimat, ein Ort des Lebens. Dazu gehören auch bunte, lebhafte Feste mit Musik.» Für die Senior*innen in der Mission sei das vielleicht etwas anders. Sie kämen zu Anlässen und um Sakramente zu empfangen und seien auch in der Kirche daheim. Das wichtigste Gefühl für alle sei die Sehnsucht: «In ihr sind wir eins. Wir suchen Gott und vermissen unsere Heimat. Beides gehört zusammen. Einen Teil davon finden wir in unserer Gemeinschaft und unseren Festen.»

Scalabrini-Missionare sind Ordenspriester und Brüder, die weltweit in 30 Ländern Migrant*innen verschiedener Kulturen, Glaubensbekenntnisse und Ethnien begleiten. Ihre internationale Ordensgemeinschaft wurde 1887 von Giovanni Battista Scalabrini, Bischof von Piacenza, gegründet. Er war einer der Ersten, der die grosse Tragweite von Massenauswanderungen für Gesellschaft und Kirche erkannte.

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