Zuhören ist eine Kunst.
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Martin Steiner: «Selbstwahrnehmung ist die halbe Miete»

Martin Steiner, Theologe, Therapeut und Ausbildner bei der «Dargebotenen Hand – Tel 143», im Gespräch über aktives Zuhören.

Der Theologe und Therapeut Martin Steiner ist Ausbildner bei der «Dargebotenen Hand – Tel 143». Als Leiter von Zuhörkursen greift er auf seine langjährige Erfahrung zurück. «Wirklich zuhören geht übers Höflichsein hinaus. Sonst wird es Small Talk», sagt Steiner.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Können Sie gut zuhören?

Martin Steiner: Ja, diese Fähigkeit habe ich über lange Zeit hinweg entwickelt. Doch es gibt Situationen, in denen auch ich nicht offen bin und mein Gegenüber nicht gut spüre. Das schafft Verletzungen oder Missverständnisse und tut mir hinterher leid. Mein Ziel ist, normalerweise wirklich zuzuhören.

Was heisst das?

Steiner: Dass ich dem Gegenüber meine Aufmerksamkeit schenken kann, der Person Raum gebe und das, was sie sagt und ausstrahlt, bei mir ankommt. Dabei nehme ich nicht nur die Worte wahr, sondern den ganzen Menschen, seine Gefühle und auch, was das mit mir macht. So kann eine Verbindung entstehen. Wird man mit seinen Bedürfnissen gesehen, gehört, akzeptiert und respektiert, fühlt man sich verstanden. Dafür braucht man nicht einer Meinung zu sein.

Dennoch fühlen sich viele nicht verstanden. Warum?

Steiner: Weil sie nicht wirklich gehört werden. Gespräche laufen sachlich über unseren Verstand. Die Gefühls- bzw. Beziehungsebene läuft übers Herz und reicht tiefer – bis in die Seele, wo das Unaussprechliche liegt. Das ist die Ebene, die darüber entscheidet, ob ein Gespräch gelingt. Meist ist die Sachebene im Gespräch aber sehr stark, die Gefühle werden zu wenig einbezogen. Ich erlebe oft, dass sich Menschen nur oberflächlich zuhören, weil sie innerlich nicht frei sind. Ich merke es daran, dass jemand nur darauf wartet, auch etwas sagen zu können, dann eigene Geschichten dranhängt oder gleich mit einem Ratschlag kommt. Diese fehlende Geduld löst Abwehr aus, und es entsteht keine Kooperation.

Ganz konkret: Wie hören Sie aktiv zu?

Steiner: Ich erspüre, mit welchem Gefühl mein Gegenüber etwas sagt. Ich benenne oder erfrage, worauf sich dieses Gefühl bezieht, und lasse Raum, damit die andere Person präzisieren kann. Als Beispiel: «Da schwingt eine Sorge mit, richtig?» oder «Du hattest einen Konflikt mit deinem Chef. Fühltest du dich dabei nicht gesehen?»

Das lässt sich im Alltag nicht immer so leicht umsetzen…

Steiner: (lacht) Deshalb ist es hilfreich, die einzelnen Gesprächselemente einzeln anzuschauen. Wann zum Beispiel fange ich an, mich zu verschliessen? Wenn ich nur noch zuhöre, weil ich meine, dass ich das muss oder sollte, fehlt ein echtes Interesse am Austausch. Da lohnt es sich, zu kommunizieren, dass man gerade mit etwas anderem beschäftigt ist.

Der Fokus liegt da nicht mehr beim Gegenüber...

Steiner: Nein. Wirkliches Zuhören setzt voraus, dass ich auch mit meinem Inneren in gutem Kontakt bin. Selbstwahrnehmung ist die halbe Miete. Zu merken, dass ich unruhig werde und mein Zuhören abnimmt, ist wichtig. Das sollte ich ernst nehmen. So kann ich nochmal einen Moment öffnen, es ansprechen oder das Gespräch gut abschliessen. Wirklich zuhören geht übers Höflichsein hinaus. Sonst wird es Small Talk.

Was zeichnet schwierige Gesprächspartner:innen aus?

Steiner: Dass sie selbst nicht zuhören, zu wenig Raum geben oder in einem Monolog aufgehen. Jammernde und aggressiv Anklagende richten den Fokus auf Negatives und sind darin gefangen. Mit Besserwisser:innen steige ich nicht in eine Diskussion ein, sondern stelle interessierte Fragen.

Was, wenn das Gegenüber blockiert ist?

Steiner: Das ist eine Gratwanderung. Hier ist die Kunst, herauszuspüren, ob ich es so stehen lassen oder weiterfragen soll. Man kann auch ausprobieren, wie bei einem alten Radio – ich ändere die Frequenz so lange, bis ich merke: Ah, da kommt Musik! Dieses authentisch Spielerische, diese Freiheit, in einem Gespräch mal weniger zu machen oder auch mal was auszuhalten, gefällt mir.

Aktives Zuhören lernen

Für alle, die das Zuhören tiefer entdecken und entwickeln wollen, bietet die «Dargebotene Hand – Tel 143» einen zweiteiligen Fachkurs an:
Mo, 9. September, 13.30 bis 17.00 und Mi, 18. September, 09.30-12.30, Kramgasse 10, Bern.
Kosten: CHF 290.-. Infos und Anmeldung (bis 31. August): www.143.ch/aktuelles, 031 301 12 23, bern@143.ch.

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