Matthias Neufeld ist leitender Priester im Pastoralraum Bern Oberland. In der Berner Bergwelt arbeitet er auf geschichtsträchtigem Boden.
Vera Rüttimann
Seit einem halben Jahr arbeitet Matthias Neufeld als Priester in der schmucken Heiliggeistkirche in Interlaken. Zu den Aussenstationen der Pfarrei gehören Grindelwald, Wengen, Mürren und Beatenberg.
In diesen Tagen ist Matthias Neufeld viel unterwegs. Er sei in der Phase des Kennenlernens der Menschen hier. «Ich werde hier gut aufgenommen. Ich bin dankbar dafür», sagt er im Gespräch in seinem Büro neben der Kirche. Ihn beschäftigen aktuell Fragen wie: Was brauchen die Menschen? Was braucht das Team? Und: Wohin können wir Kirche in unserem Umfeld weiterentwickeln?
Dabei geht die Arbeit nicht aus. Immer mehr Aufgaben, immer grössere Räume – Matthias Neufeld ist froh, dass nicht alles allein auf seinen Schultern lastet. Er ist Teil des Teams mit dem Diakon als Pastoralraum- und Gemeindeleiter und der Leitungsassistentin, und er arbeitet mit seinem Kaplan, dem Spital- und Heimseelsorger und den Katechetinnen eng zusammen.
Geschichtsträchtiger Boden
Seine «Arbeitszentrale», das Pfarreizentrum, steht auf historischem Boden. Von seinem Fenster aus sieht er auf die reformierte Kirche, die ursprünglich einmal eine Augustiner-Chorherren-Propstei mit zugeordnetem Frauenkonvent war. Neben der Kirche führt ein Torbogen in den herrlichen Kreuzgang des früheren Klosters, das bis zur Reformation existierte und seit seinem Teilumbau zum Neuen Schloss der weltlichen Obrigkeit diente.
Doch noch heute ist die klösterliche Atmosphäre zu spüren. «Es ist ein sehenswerter und geschichtsträchtiger Ort», sagt Matthias Neufeld dazu. Die katholische Heiliggeistkirche ist jüngeren Datums. Die Marienkapelle, in der Matthias Neufeld gerne eine Kerze anzündet, erinnert an die ursprüngliche Architektur und Gestaltung der Pfarrkirche vor etwas mehr als 100 Jahren. Die Kirche wartet mit beeindruckenden Glasfenstern auf. In der Nachtmittagssonne fallen gelbe Strahlen auf die Bänke.
Im Pastoralraum unterwegs
Die zweite Ebene der Aufgaben des gebürtigen Heidelbergers ist die Tätigkeit in der Pastoralraum-Leitung. Der Pastoralraum Bern Oberland besteht aus sieben Pfarreien, die ihre je eigenen Gemeindeleitungen haben. «Das finde ich sehr gut, weil es in diesen grossen Räumen nicht möglich wäre, alles zentral zu steuern.»
Lebendige Pfarreien brauchten eine persönliche Präsenz vor Ort. Die Pastoralraumleitung koordiniert die pfarreiübergreifenden gemeinsamen Aktivitäten und entwickelt das Pastoralraum-Konzept weiter. Ein wichtiges Ergebnis der Zusammenarbeit im Pastoralraum war beispielsweise die Einrichtung der Fachstelle Diakonie.
An diesem Morgen war Matthias Neufeld zudem an der Pastoralraum-Konferenz, an der die Leitungspersonen der Pfarreien, alle Seelsorgenden und Katechetinnen mit einem bestimmten Pensum sowie die Verantwortlichen verschiedener Fachbereiche teilnehmen.
Kerntruppe: das Team
Sein Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich. Keine Woche gleicht der anderen. Der Montag sollte frei bleiben. Am Dienstag finden Pastoralraum-Konferenzen statt. Donnerstage sind mehr von der Koordination im Team und der Katechese geprägt. Samstage und Sonntage sind Gottesdiensttage. Gottesdienst-Vorbereitungen, Seelsorgegespräche und -besuche und Korrespondenzen füllen den Rest der Zeit.
In seiner täglichen Arbeit liegt Matthias Neufeld grossen Wert auf die Zusammenarbeit in einem gut eingespielten Team. Das Team sei «die erste Kerntruppe in der Pfarrei und strahlt in sie hinein». Der Deutsche schätzt an den kirchlichen Strukturen hierzulande, dass Fragen des Personals, der Finanzen und der Gebäude in den Kirchgemeinden und Kirchgemeindeverbänden demokratisch entschieden werden. Das entlaste ihn, damit er näher bei den Menschen sein könne.
Sich auf Veränderungen einlassen
Viele Pfarreiangehörige haben einen Migrationshintergrund. Dieses Bild kennt Matthias Neufeld aus dem Seeland. «Im Kanton Bern sind katholische Menschen ja alle irgendwie Zugereiste», vermutet er. Durch die Arbeitsmigration in der Uhrenindustrie, Landwirtschaft und im Tourismus seien viele katholische Migrant:innen zugezogen, die sich nach und nach mit der einheimischen Bevölkerung vermischt hätten.
Diese soziale, kulturelle und konfessionelle Durchmischung bringe eine gewisse Offenheit, die er an Katholik:innen schon im Seeland schätzen gelernt habe. Dort arbeitete er elf Jahre lang in der Seelsorge in Büren an der Aare, Lyss, Ins und Täuffelen.
Lebendiges Brauchtum
Ein merklicher Unterschied zum Seeland ist der starke Tourismus in der Jungfrauregion. Das macht sich immer wieder in den Gottesdiensten in der Pfarrkirche und mehr noch an den Aussenstationen bemerkbar. «Viele Feriengäste wollen auch hier die vertraute katholische Liturgie erleben.» Immer wieder fällt bei Matthias Neufeld das Wort «Tradition».
Die erlebt der Süddeutsche hautnah auch in Interlaken mit. Er schwärmt von der Harder-Potschete mit speziellen Masken, die ihn an die alemannische Fasnacht erinnert. Auch die verschiedenen Musikformationen begeistern ihn: «Interlaken-Unterseen hat einen grossen Musikverein, deren Holzbläser auch schon bei uns in der Kirche gespielt haben.»
Jodeln, Alphorn, Trachten – ihm gefällt, wie lebendig sich hier das Brauchtum zeigt. Überhaupt die Musik: Schon in Deutschland hat Neufeld sich intensiv mit Kirchenmusik beschäftigt. Er hat zwei Chöre geleitet. Seine Doktorarbeit hat er über das evangelische Gesangbuch, das Kirchenbild und die Hermeneutik des Liedgesangs geschrieben. Er selbst spielt Klavier. Eines steht im Pfarreisaal, und er nutzt es gelegentlich.
Unter dem Harder
Sein Arbeitsort ist umgeben von den Bergen des Berner Oberlands. Er kennt die Beatushöhlen und lässt sich von den Sagen und Mythen der Region inspirieren. Während des Gesprächs in Interlaken zeigt er auch auf den Hausberg dieses Ortes: den Harder. Matthias Neufeld fixiert mit seinem Blick eine karge Stelle im dunklen Wald. Ein mächtiger Fels. Sind darin nicht Augen zu sehen? Und: Ist das nicht das Gesicht eines Mannes?
«Das Harder-Mannli lässt grüssen», lacht er. Von den geheimnisvollen Felsformationen lässt sich Matthias Neufeld nicht beunruhigen, aber beim Stellenwechsel trieben den Flachländer Fragen um: «Mag ich zwischen den Bergen leben? Und: Scheint die Sonne überhaupt mal ins Tal runter?»
Am exzessiven Run auf die Berge findet er wenig Gefallen. Matthias Neufeld hat zu den Bergen einen anderen Zugang: «Sie haben für mich einen beruhigenden, beständigen und majestätischen Charakter. Das hilft mir, dass ich mich selbst nicht allzu wichtig nehme.»