Links die Verkabelung für den analogen Teil der Orgel, rechts für den neuen digitalen Teil (Thomas Brand zeigt mit dem Finger darauf). Foto: Boris Burkhardt

Noch verpönt, aber schon im Trend: die Hybrid-Kirchenorgel

Organist Thomas Brand erklärt finanzielle und musikalische Vorteile des Instruments

Die Katholische Kirche in Gelterkinden im Baselbiet ist erst das vierte Gotteshaus in der Schweiz mit einer Hybridorgel. Organist Thomas Brand erklärt kath.ch die finanziellen und musikalischen Vorteile des Instruments, dessen physische Pfeifen durch digitale Register erweitert wurden.

Boris Burkhardt, kath.ch

Und was kann die Hybridorgel noch? Organist Thomas Brand sitzt auf der Empore der Katholischen Kirche «Maria Mittlerin» in Gelterkinden BL an dem kleinen kompakten Spieltisch, der baulich getrennt von den linken und rechten Pfeifenwerken ganz vorne an der Brüstung steht. Er hat schon einige «Gadgets», wie er sie nennt, gezeigt, die ihm der digitale Teil der neuen Hybridorgel erlaubt.

Geigen einspielen möglich

Mit dem Schalter rechts oben kann er mit einem Knopfdruck die ganze Orgel transponieren, also in der Tonart ändern; links unten sind die Anschlüsse für Midi-Geräte versteckt, wo er einen Midi-Expander anschliessen und zum Orgelspiel Pauken, Geigen oder ein Saxophon einspielen könnte.

Auf die Frage hin zieht er nun am rechten unteren Rand des Spieltisches unbemerkt eine winzige Schublade mit einem kleinen Display und wenigen Knöpfen heraus: Mit diesem Sequenzer könne er ganze Orgelstücke aufnehmen und abspielen lassen, sagt Brand.

Geheimfach wie bei James Bond

Der zuvor ahnungslose Besucher muss ob der kleinen versteckten Schublade unwillkürlich lachen: ein Geheimfach wie am Armaturenbrett eines James-Bond-Fahrzeugs. Wenn eine solche Hybridorgel kein kompaktes Hightech-Gerät ist!

Am 23. August weihte die Katholische Kirche in Gelterkinden bei Liestal ihre neue Hybridorgel ein. «Hybrid» bedeutet bei einer Orgel, dass die vorhandenen analogen Pfeifenregister durch neue Register, also Gruppen von ähnlich grossen Pfeifen, oder Klangfarben erweitert werden, die aber nur digital existieren und über Lautsprecher ausgegeben werden.

«Für viele Kirchenmusiker ist das ein Frevel, sogar Betrug»

«Für viele Kirchenmusiker ist das ein Frevel, sogar Betrug», sagt Brand und zeigt Verständnis für diese Ansicht. Die Sache zum Beispiel mit dem Sequenzer macht deutlich, wie gross die Versuchung sein kann, den Menschen durch die Maschine einzusparen: Einmal ein Orgelstück eingespielt, müsste es zukünftig nur noch «vom Band» abgespielt werden.

Brand sagt deshalb nur halb im Scherz über den Sequenzer: «Den benutze ich nicht; da hüte ich mich davor! Sonst werden wir Organisten überflüssig.» Ernst fügt er aber an, dass durchaus zu hören sei, ob ein Mensch oder der Computer die Orgel spiele, und demonstriert an einer Aufnahme, wie monoton, abgehackt und gefühllos letzteres klingt.

23 zusätzliche Register

Der Grund, warum er sich in seiner Kirchgemeinde für den Erwerb einer Hybridorgel einsetzte, lag für Brand in der Möglichkeit, mehr Register zu erhalten: «Wir haben einen grossen Kirchenraum; da darf es etwas mehr Klangvolumen sein.» Zu den vorhandenen 26 analogen Registern kamen nun 23 neue, digitale hinzu: «Das wäre bei einer herkömmlichen Erweiterung nicht zu einem akzeptablen Preis möglich gewesen.»

Die Orgel in Gelterkinden ist 60 Jahre alt und wurde für 220000 Franken saniert. Allein ein neuer Spieltisch analog dem alten würde laut Brand heutzutage rund 75000 Franken kosten. Bei einer Erweiterung mit analogen, also physischen Pfeifen, hätte die Gemeinde mit weiteren rund 20000 Franken pro Register rechnen müssen – für 23 Register samt Spieltisch wären das über 500000 Franken gewesen. Der «digitale Anbau» mit dem jetzigen digitalen Spieltisch kostete hingegen nur 80000 Franken.

Digitale Töne nicht erkennbar

Die neuen Register ermöglichen laut Brand neue Spielarten und Klangvarianten auf der Orgel – unter anderem darf Bach nun nach Bach klingen (siehe Box). Von der digitalen Klangqualität überzeugte sich Brand im solothurnischen Däniken, wo sich die reformierte Kirchgemeinde vor zwei Jahren eine Hybridorgel anschaffte: «Ich habe sie akribisch untersucht; aber ich konnte nicht heraushören, welche Töne digital und welche analog waren.»

Trotz der kurzen Zeit seit der Inbetriebnahme ist die Hybridorgel in Gelterkinden laut Brand nun selbst zum Interesse anderer Organisten der Region Basel geworden, die bereits angefragt hätten, auf ihr ein Konzert zu geben. Brand selbst könnte sich «sehr gut» vorstellen, in Zukunft etwas zu experimentieren, etwa mit Geigen- oder Saxophonklängen aus dem Midi-Expander, sowohl an einem «Soirée für Orgelinteressierte» als auch im Gottesdienst: «Die Leute würden sich auf den Kirchenbänken umdrehen.» 


NICHT LÄNGER BACH AUF DER ROMANTISCHEN ORGEL

Die ursprüngliche Orgel in der Katholischen Kirche Gelterkinden ist eine «romantische». Diese Bezeichnung bezieht sich auf die Musikepoche des 19. Jahrhunderts: Auf ihr lassen sich Werke etwa von Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) perfekt spielen; Organist Thomas Brand spricht von «schwebenden Registern, leicht geigig». Typisch romantische Register haben Namen wie «lieblich gedeckt» oder «Trompette harmonique».

Gerade letztere Bezeichnung wäre auf einer Barockorgel undenkbar, meint Brand: «Da stünde einfach nur ‹Trompete›.» Im Barock im 17. und 18. Jahrhundert haben unter anderem Bach (1685–1750) und Händel (1685–1759) komponiert. Klar, dass Brand froh ist, mit den erweiterten digitalen Registern nun auch die Grossmeister der Kirchenmusik zu spielen, wie sie klingen sollten – eben voluminös und reich an Bässen wie Barockmusik und nicht so schwebend romantisch.

Die Hybridorgel erlaubt ausserdem eine grössere Bandbreite in der Lautstärke: Die analoge romantische Orgel regelt diese, indem sie die Lamellen im Schwellwerk weiter öffnet oder schliesst; in Gelterkinden waren so nur forte und tutti (alle Register) als voreingestellte Lautstärken möglich. Mit der digitalen Komponente stehen Brand nun die voreingestellten Lautstärken pianissimo, piano, mezzoforte, forte, fortissimo und tutti zur Verfügung. Man muss bedenken, dass ein Organist anders als ein Pianist keine Möglichkeit hat, die Lautstärke manuell durch stärkeren oder schwächeren Druck auf die Tasten zu beeinflussen.

Wie erwähnt ist es dank der Digitaltechnik möglich, die gesamte Orgel zu transponieren: Der Organist spielt dann dieselben Tasten wie zuvor, die aber um das gewünschte Intervall, etwa einen Halbton oder eine Terz, versetzt ausgegeben werden. Dies wird laut Brand notwendig, weil viele alte Lieder wie «Grosser Gott, wir loben dich» für heutige Menschen zu hoch notiert seien. Der Grund liege darin, dass die Menschen früher kleiner gewesen seien, kürzere Stimmbänder gehabt hätten und damit höher gesungen hätten – man lernt nie aus. (bob)

NEUER TREND HYBRIDORGELN

Obwohl sie vor allem in den Niederlanden und in Deutschland auf dem Vormarsch sind, gibt es in der Schweiz neben der katholischen Kirche «Maria Mittlerin» in Gelterkinden bisher nur sehr wenige Kirchen, die eine Hybridorgel haben. In Zürich-Oberstrass entschied sich die reformierte Gemeinde bereits im Jahr 2000 für eine Hybridorgel, nachdem die ursprüngliche Orgel bei einem Brand stark beschädigt worden war. Die reformierte Kirche in Kloten hat seit 2014 eine Hybridorgel, sogar mit Internetanschluss.

Im solothurnischen Däniken setzte sich der reformierte Pfarrer Daniel Müller vor zwei Jahren aus ähnlichen Gründen wie in Gelterkinden dafür ein, die sanierungsbedürftige Orgel zu einer Hybridorgel umbauen zu lassen und damit die Register zu erweitern: «Die alte war als Begleitung ganz schön; aber einen Hochzeitsmarsch konnte man auf ihr nicht spielen.» In Däniken ist es genau umgekehrt wie in Gelterkinden: Die Barockorgel wurde durch romantische Register erweitert.

Die weiteren Möglichkeiten einer Hybridorgel, etwa zusätzliche Instrumente wie Trompete, Panflöte oder Cembalo einzuspielen, seien zu Beginn von den Organisten belächelt worden, erzählt Müller, der selbst Orgel spielt. Aber ein Mutiger unter den Kirchenmusikern nutze die «Fun-Register» bisweilen: «Bei der Gemeinde kommt das gut an.»

Führend auf dem sich entwickelnden Markt der Hybrid- oder Kombinationsorgeln ist die niederländische Firma Johannus [www.johannus.com], die vor allem rein digitale Orgeln herstellt. Gelterkinden und Däniken sind beide sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit. Die Niederländer nehmen für die Sampler ihrer Digitalorgeln echte analoge Orgeln in echten Kirchen auf, was man laut Müller hört. So habe die Firma für die digitalen Register in Däniken die Originaltöne von einer Orgel derselben Epoche und Spielweise eingespielt. (bob)

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