St. Johannes in Münsingen gehörte in den 1960ern zum Hilfskirchenprogramm von Fastenopfer. Foto: Felix Klingenbeck

Ökumene in der DNA

50 Jahre katholische Kirche Münsingen - von Provisorium zur richtigen Kirche.

Im Kanton Bern sind 15,6 Prozent der Bevölkerung katholisch. Münsingen liegt mit zehn Prozent deutlich unter diesem Schnitt. Ökumene sowie eine Theologie des Aufbruchs gehören dort seit der Gründung der katholischen Pfarrei im Jahr 1970 dazu. Davon zeugt auch die ursprüngliche «Notkirche» St. Johannes, die heute noch steht.


von Anouk Hiedl


Vor 50 Jahren lebten 1436 Katholik*innen im seit jeher reformiert geprägten Münsingen, die Hälfte davon Gastarbeitende. Heute hat die katholische Pfarrei 2570 Mitglieder. «Ökumene wurde hier von Anfang an stark gelebt. Sie gehört sozusagen zu unserer DNA», sagt Felix Klingenbeck, der die Pfarrei seit 2008 leitet.

Die Einweihung der Kirche St. Johannes am 25. Januar 1970 mit der bischöflichen Kirchweihe am Morgen und einem ökumenischen Gottesdienst am Nachmittag machte aus Münsingen eine selbstständige katholische Pfarrei und Kirchgemeinde. Selbst der Kirchturm klingt ökumenisch. In die Glocke ist das Wort Christi «Dass sie eins seien» aus dem Johannesevangelium eingegossen. Gemäss den Neuen Berner Nachrichten vom 27. Januar 1970 stellte Bischof Anton Hänggi dieses Zitat auch ins Zentrum seiner Einweihungspredigt und deutete die Kirche «als eine Mahnung zur Einheit», so «wie der Turm eine Mahnung auf Gott hin sei.»
Beim Gedanken an die zehn Kirchen, die der Bischof im Vorjahr geweiht hatte, habe ihn oft «ein ungutes Gefühl beschlichen». Manche hätten Millionen gekostet, während andere Gemeinden kaum die Kosten für eine Restauration ihres Gotteshauses aufbrachten. Die Kirche in Münsingen hingegen «sei richtig. Und er dankte allen, die dieses Gotteshaus aus Stein für eine lebendige Kirche gebaut hätten.»

Einheit und Erneuerung

Das Münsinger Einweihungsdatum wurde bewusst symbolträchtig gewählt. Einerseits bildet der 25. Januar seit 1909 den Abschluss der Weltgebetswoche für die Einheit der Christ*innen. 50 Jahre später kündigte Papst Johannes XXIII. an einem 25. Januar das Zweite Vatikanische Konzil an – zur Überraschung der Öffentlichkeit und der Kurie. Vieles hatte sich in der Kirche totgelaufen, die Botschaft Jesu war verdunkelt worden. Unter dem Motto «Aggiornamento» (Erneuerung) galt es, andere pastorale und ökumenische Wege zu gehen oder neu anzufangen, um die katholische Weltkirche à jour zu bringen. Die frischgebackene Pfarrei Münsingen wurde kurz nach dem Zweiten Vatikanum gross und festigte sich in und mit dieser Theologie des Aufbruchs.

Vom Provisorium zur richtigen Kirche

Der Einfluss des Konzils macht sich in Münsingen auch im Kirchenbau bemerkbar. St. Johannes gehört zu einer Reihe von «Notkirchen», die der Architekt Hanns Brütsch ab Mitte der 1960er im Auftrag des 1961 gegründeten Hilfswerks Fastenopfer realisierte. In rasch wachsenden Siedlungsgebieten von 13 Diasporapfarreien ohne eigene Gotteshäuser – davon vier im Kanton Bern – schafften diese Fastenopfer-Kirchen Abhilfe. Ursprünglich als Provisorium gedacht, bestehen sie aus einem vorgefertigten, günstigen, rasch errichteten und wieder demontierbaren Bausatz.

Die charakteristische Zeltform dieser Hilfskirchen ist Programm. Sie zeigt, «dass die Pfarreien nicht alles haben, wissen und können», so Felix Klingenbeck. «Stattdessen sollen sie bereit sein, aufzubrechen und sich zu verändern, um im Dialog mit anderen Menschen, Konfessionen und Religionen einen Weg zu finden.» Schliesslich existiere mehr Gemeinsames als Trennendes. Eine gewisse Verschiedenheit der Sitten und Gebräuche stehe der Einheit der Kirche nicht im Geringsten entgegen, sondern vermehre ihre Schönheit, heisst es dazu schon im Ökumene-Dekret des Konzils von 1964 in Bezug auf die Ostkirchen.

St. Johannes vereint in Münsingen Kirche, Pfarreisaal, Unterrichts- und Sitzungsräume unter einem Dach. «Feiern und Alltag sind nicht dasselbe, gehören aber eng zusammen», so Felix Klingenbeck. Der Altarraum ist nur leicht erhöht und steht damit für die Gleichwertigkeit der verschiedenen Dienste bzw. Menschen. Es ist auf drei Seiten von Kirchenbänken, einer halbrunden Gemeinschaft von Gläubigen, umgeben. Der Kirchenraum kommt ohne viele Bilder aus und soll so dem schlichten Leben Jesu entsprechen. Die grosse Kirchenwand vorne wird bewusst leer gelassen und schafft, so Felix Klingenbeck, «Raum für das Geheimnis und für das Unverfügbare – für das, was Menschen zuinnerst bewegt.»

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