Kurt Meier, Organist und Chorleiter der Dreifaltigkeit. Foto: zVg

Orgelspiel in Corona-Zeiten

Orgelspiel in der Dreif - für lebendige, bethafte Stille statt tötelige Ruhe.

  • «Es soll das Ziel aller Musik anderes nicht als zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüths sein.» (Johann Sebastian Bach)

  • «Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.» (Wilhelm Busch)

  • «Nicht so laut! So kann ich nicht beten!» (Eine Beterin)

  • «Sie haben mir mit Ihrer Musik den Tag gerettet!» (Eine andere Beterin)

 

In der Dreifaltigkeitskirche lebt und webt eine sehr aktive, ich möchte sagen: bethafte Stille, in normalen Zeiten atmend unterbrochen durch regelmässige Messfeiern, durch Rosenkranz und anderes. Fehlt aber dieses, droht die lebendige Stille zu töteliger Ruhe zu werden. Deshalb hat Abbé Christian schon zu Beginn der Corona-Zeit uns Organisten gebeten, hie und da die Orgel zum Klingen zu bringen, damit hie und da doch etwas in der Kirche «läuft». (Da sagten wir umso lieber zu, als unser Lohn trotz abgesagter Gottesdienste weiterhin und bisher ohne Abstriche ausbezahlt wird).

Wir würden gern spielen, meinte ich, aber natürlich nicht endlos üben (das tun wir in der Krypta), und wir würden wohl auch nur leise, quasi backgroundig eher, nur auf leisen Registern im geschlossenen Schwellwerk spielen. Das sei natürlich möglich, meinte der Abbé, aber in Zeiten, wo Angst regiere, vor der man sich ducke, tue gelegentlich volles, vitales Orgelspiel sicher allen auch gut, wir sollten nur keine Hemmungen haben!

Gesagt, getan! Meist spielte ich doch auf der leisen Seite, um leises, zuweilen auch lautes Gebet nicht zu stören – in Erinnerung an eine verzweifelte Stimme aus des Kirchenschiffs Tiefe, die nach einem Bach-Präludium im Plenum in die Höhe rief: «Nicht so laut! So kann ich nicht beten!» Versucht, aus pädagogischen Gründen lauter zu spielen, bin ich zuweilen wegen hereinkommender oder hinausgehender, jedenfalls ungeniert getätigter Telefonanrufe oder ähnlichem, das mir zum Gebet bedeutend weniger zu passen scheint als noch so lautes konzentriertes Orgelspiel.

Die Frage der Programmwahl stellte sich in der Passionszeit ähnlich, quasi mit umgekehrten Vorzeichen wie seither in der Osterzeit: Nebst etlichen stimmungsmässig passenden freien Stücken wählte ich natürlich Choralvorspiele und Choräle zur Passion vor Ostern, Österliches wähle ich seither. (Die Lieder wurden teils sogar mitgesungen!) Ob aber Passioniges eh schon Vorhandenes, das in Richtung von Gedrücktheit, ja Depression geht, nicht noch verstärken würde? «Spielen Sie doch etwas Lüpfiges – es ist eh schon alles traurig genug!» Ob Freudig-Vitales aber Niedergedrücktheit nicht doch beleidigen könnte? «In Corona-Zeiten sollte Zurückhaltung geübt werden!»

Vielleicht etwas müssige Überlegungen angesichts der wenigen, aber doch gelegentlich reagierenden Leute, die jeweils in der Kirche sind – für einige von denen ist Live-Musik offenbar doch ein Bedürfnis. «Wann spielst Du wieder?» / «Vous venez jouer? Maintenant?? Donc je reste!» / Ebenfalls aus Schiffes Tiefe eine Männerstimme nach einem Schlussakkord : «Danke!» / Post festum eine Frau am Ausgang: «Danke für Ihre Musik – Sie haben mir den Tag gerettet!» / Oder – für mich mit am berührendsten – eine Karte auf der Emporentreppe: «Für den Organisten, der gestern Nachmittag spielte: Ich kam niedergeschlagen in die Kirche – und verliess sie nach dieser Musik aufgerichtet, fast als neuer Mensch!»

Bachs eingangs zitierte Forderung hatte sich offenbar grad doppelt erfüllt: Da war nicht nur das Gemüt des Spielers, sondern auch das einer Zuhörerin tatsächlich re-creiert, gleichsam wieder- und neugeschaffen worden – und beiden war klar, dass es zu Gottes Ehre geschah.

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