«Seit Ewigkeiten Wind und Wetter ausgesetzt»

Rubens Sprichs spiritueller Ort

Der Fotograf Ruben Sprich ist kein Naturmensch. Die Gegend im Gantrischgebiet rund um den Horbüelpass hat es ihm aber angetan. Hier findet er Ruhe und noch viel wichtiger – Pilze.

Ruben Sprich im Gespräch, aufgezeichnet von Andreas Krummenacher
Fotos: Pia Neuenschwander

«Die Hütte etwas unterhalb des Horbüelpasses ist ‹zmitts im Gjätt usse›. Sie war früher mal ein Stall, eine Scheune, Heu wird da gelagert. Wir müssen etwas aufpassen, es hat oft Kühe auf dem Weg; auch ein Stier ist mir schon begegnet oder Pferde.

Ich gehe nicht häufig dahin. Mein Schwager kannte das Gebiet. Früher gingen wir oft zusammen am Morgen um sechs Uhr los. Denn es ist eine gute Gegend, um Pilze zu sammeln. Ich nehme nur Eierschwämme und Steinpilze.

Ich koche sehr gern. Irgendwann habe ich probiert, Tajarin selber zu machen. Das sind Teigwaren aus Hartweizengriess und Eigelb. Im Piemont vertiefte ich dann mein Wissen in der Teigwarenherstellung.

27 Jahre lang arbeitete ich als Fotograf für die Agentur Reuters, zuletzt als Schweiz- und stellvertretender Europachef. Aus dem Nichts wurde mir gekündigt. Wegen wirtschaftlichen Gründen, wie es hiess. Für mich brach eine Welt zusammen. Es folgte eine schlimme Zeit. Auf meine Bewerbungen sagte man mir jeweils ab, ich sei überqualifiziert. Darum wurde ich selbstständiger Fotograf.

Als zweites Standbein baute ich die Teigwaren-Produktion aus.  Nebenbei fahre ich auch noch für einen Fahrdienst für beinträchtigte Menschen.

Fotograf ist der tollste Job überhaupt! Ich reise an Orte, die mir unbekannt sind, und treffe dabei auf die unterschiedlichsten Menschen: auf den Bundespräsidenten genauso wie auf mittellose oder unter schwierigen Bedingungen lebende Personen.
 

Fotograf ist der tollste Job überhaupt!


Fotograf lernte ich in einer vierjährigen Lehre bei einem Werbefotografen. Der Beruf hat viel mit Technik zu tun. Für die einen mag es grosse Kunst sein, für mich ist es vor allem sauberes Handwerk. Ein Bild ist dann schlecht, wenn es keine Aussage hat. Beim Fotografieren ist nicht nur das Auge wichtig; es braucht zudem Geduld und Beobachtungsgabe.

Es ist schwierig, einfach nur einen blauen Himmel und die Sonne abzulichten. Es ist schöner, wenn der Himmel wolkenverhangen ist oder Nebelschwaden über einem Ort hängen. Das Licht ist überall anders. Ich habe auf der ganzen Welt gearbeitet: im Nahen Osten, in Afrika, in Asien. Die Lichtintensität ist dort viel grösser, einfach anders.

Ich bin Vater von drei Kindern. Sie finden es nur noch teilweise cool, von mir fotografiert zu werden. Meine Ehefrau und ich machen für jedes Kind pro Jahr ein Fotobuch. Dabei achten wir darauf, aus der Vielzahl an Bildern einige wenige, dafür grössere Bilder abzudrucken.

Manchmal entscheiden sich Redaktionen für Bilder, die ich nicht auswählen würde. Das bereitet mir Mühe. Ich weiss immer, welche Bilder ich wählen würde. Es bleibt teilweise eine Frage des Geschmacks.

Es spielt auch eine Rolle, ob ich die abgebildete Person kenne oder nicht. Durchs Fotografieren dringe ich in gewisser Weise zur Persönlichkeit einer Person vor, mache mir ein Bild von ihr. Vieles ist intuitiv, zum Teil auch Routine. Ich würde eine Person niemals ‹in ein schlechtes Licht rücken›.

Ich fühle mich keiner Religion zugehörig, weder einer christlichen noch islamischen, auch nicht der jüdischen. Durch meine Arbeit habe ich aber immer wieder Einblick in die verschiedenen Religionsgemeinschaften, das ist spannend und interessant.

Kraft gibt mir das Beisammensein mit der Familie an einem schönen Ort – aber auch das Sammeln von Pilzen. In diesen einzigartigen Momenten hänge ich keinen anderen Gedanken nach, bin ganz im Hier und Jetzt.
 

Ich würde eine Person niemals ‹in ein schlechtes Licht rücken›.

Die Gegend ist ausgesprochen malerisch: abgelegen, sehr einsam und doch ganz nahe der Stadt Bern. Es gibt wunderschöne Moosflächen und Farnfelder – und manchmal sogar Ansammlungen von Eierschwämmen.

Ich finde diese Hütte hier sehr speziell: Ihr Holz ist wunderschön, komplett verwittert, es scheint seit Ewigkeiten Wind und Wetter ausgesetzt zu sein. In den Holz-Paneelen spiegelt sich der Lebenskreislauf; dieses Holz erzählt unzählige Geschichten.

Ich bin gern unter Menschen und von ihnen fasziniert. Ich muss nicht flüchten oder mich in die Einsamkeit zurückziehen. Gleichwohl geniesse ich die Ruhe an diesem märchenhaften Ort. Hier fotografiere ich auch nicht. Die Stimmung, die Impressionen nehme ich auf, rieche und spüre … Das kann man auf einer Fotografie gar nicht zeigen.»

 

Wir fahren mit dem Auto von Bern aus Richtung Schwarzenburg, via Köniz und Niederscherli geht es über die Schwarzwasserbrücke in die Gantrischregion. Auf der Fahrt erzählt Ruben Sprich von sich, von seinem Beruf als Fotograf, davon, was ein gutes Bild ist und wie er eine Fotoauswahl trifft.

Wir passieren den Ort Riffenmatt und fahren Richtung Ottenleuebad. Beide Orte sind von Schwarzenburg aus mit dem Postauto erreichbar. Ziel der Fahrt ist der Horbüelpass auf 1550 Meter über Meer.

Von hier geht es zunächst auf einem Wanderweg etwa 20 Minuten den Berg hinab zum Ziel des magischen Ortes von Ruben: einer verwitterten Hütte. Er kommt unter anderem wegen der Pilze hierher.

Die Gegend ist insgesamt eine Reise wert. 20 Minuten von Bern eröffnet sich eine Märchen- und Traumlandschaft. Als wir Ende Juni die Hütte aufsuchen, ist das Wetter wechselhaft. Zeitweise regnet es, hinter Riffenmatt wird es neblig wie im Herbst. Als wir den Horbüelpass erreichen, reissen die Wolken auf, und die Sonne zeigt sich.

Der letzte Wegabschnitt zur Hütte ist etwas beschwerlich. Es geht über sumpfige Wiesen, über Zäune und durch Waldstücke. Es begegnen uns Kühe, auf einer Weide sehen wir Pferde. Vor der Hütte angekommen bleiben wir stumm stehen, etwas ausser Atem. Es riecht nach Blumen, nach Wald, nach Vieh und nach Kräutern, wir hören einen Kuckuck rufen.

Unvermittelt kommt ein Zwerg hinter der Hütte hervor … Nein, natürlich nicht; wenn es sie aber gäbe, dann hier.


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