Sonntagsmalerei

Eine Hommage

Es gibt Menschen, die alle Karten auf ihre Kunst setzen. Es gibt solche, die ein sicheres Erwerbsleben führen und doch in Galerien ausstellen. Und jene, die sich in der Freizeit, abseits des Ausstellungsbetriebs, ihrer Kunst widmen – sogenannte Sonntagsmaler*innen. Eine Hommage.


Von Sandro Fischli


Die Bezeichnung «Sonntagsmaler» droht etwas Verniedlichendes, wenn nicht gar leicht Lächerliches, Abschätziges an sich zu haben, vergleichbar mit Sonntagsfahrern für Ungeübte, Ungeschickte am Steuer. Bilder von Sonntagsmaler*innen sieht man selten und sicher nicht in Galerien. Vielleicht hängen sie in Restaurants von Wirt*innen, die sie kennen, in Quartier- oder Gemeinschaftszentren, in Alters- und Pflegeheimen, vielleicht auch mal in einer kleinen, regionalen Bank oder Versicherung.

Unvergessen bleibt mir die Begegnung mit einem Sonntagsmaler 1981 in den Züspa-Hallen in Zürich. Damals fand dort alle paar Jahre eine grosse Ausstellung ohne jegliche Jury statt, alle konnten mitmachen und erhielten ein kleines Messe-Kabäuschen. Viel junge, experimentelle Kunst war zu sehen, das war zu erwarten und auch gut so. Ganz unerwartet war da jedoch dieses Abteil, in dem brave, biedere Bilder in schmucken Rahmen hingen, Blumen, Landschaften. Im Gegensatz zu allen anderen Kabäuschen standen hier zwei Stühle, ein Tischchen, darauf ein Blumenstrauss, eine Karaffe Wasser, ein paar Gläser und – ein Gästebuch. Wie in einer richtigen Galerie. Der Maler und seine Gattin empfingen meine Frau und mich. Wir verbrachten dort mehr Zeit als in allen anderen Kabinen, mit gerührtem Respekt oder respektvoller Rührung.

Meine Frau und ich hatten uns gerade erst kennengelernt. Ihre Mutter war Vertreterin, Hausfrau und eine fantastische Köchin. Und sie malte leidenschaftlich. Pastellkreide, Aquarelle und Öl. Besonders ihre Ölbilder hatten es mir sofort angetan: ein mutiger, kräftiger Farbauftrag mit dem Spachtel, bei dem mir die «grosse» Malerei unweigerlich in den Sinn kam. Ihr Mann rahmte die Bilder säuberlich und unaufdringlich. Als ich ihr viel später vorschlug, eine Ausstellung ihres Gesamtwerks in einem Kirchgemeindehaus zu organisieren, freute sie sich, dass ihre Arbeit beachtet würde, lehnte dann aber zu meiner Enttäuschung wieder ab. Diese konnte ich wieder ablegen, weil ich sah, dass sie den Wert ihrer Bilder an der Freude bemass, die sie beim Malen empfand. Mehr Bestätigung brauchte sie nicht. Dement geworden, blieb ihr Blick als Malerin noch lange wach. Auf kleinen Spaziergängen im Rollstuhl waren ihre letzten Sprachfragmente: «Guarda le nuvole – schau, die Wolken.» Das abgedruckte Bild hier ist von ihr. Das Alpsommerende hing immer auch mit dem Erntedankfest zusammen, mit den leuchtenden Farben all dessen, was die Erde und menschliche Arbeit hervorbrachten.

Sie kennen sicher auch solche Begegnungen mit Sonntagsbildern, die auch an Werktagen entstanden sein können. Sonntagsmalerei. Wie schön, dass es das gibt.

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