Hilfe in jeder Beziehung: Anita Gehriger von der Berner Fachstelle Ehe-Partnerschaft-Familie. Foto: Ruben Sprich

Trampelpfade gesucht

Beratung bei Krisen, Affären und Trennungen

Ob Krise, Affäre, Trennung, Scheidung oder anderes, die Berner Fachstelle Ehe-Partnerschaft-Familie der katholischen Kirche und des Kantons Bern steht in jeder Beziehung beratend zur Seite. Die systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin Anita Gehriger, 55, spricht über Teufelskreise und Wege jenseits  der «Autobahn» eigener Verhaltensmuster.

Interview: Anouk Hiedl

«pfarrblatt»: Sie hatten bis Ende 2021 eine eigene Praxis, wo Sie unter anderem auf Mandatsbasis für die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als sozialpädagogische Familienbegleiterin arbeiteten. Seit letztem März sind Sie bei der katholischen Fachstelle Ehe-Partnerschaft- Familie als Therapeutin tätig. Warum dieser Wechsel?

Anita Gehriger: Ich wünschte mir eine  Tätigkeit, bei der sich Paare und Einzelpersonen freiwillig beraten lassen und nicht wie zuvor verordnet mit mir zusammenarbeiten müssen. Und ich wollte nicht mehr allein unterwegs sein. Hier bin ich Teil eines Teams, und einmal pro Monat tauschen wir uns mit der reformierten und der kantonalen Berner Fachstelle aus. Wir besprechen Fälle, in denen wir an unsere Grenzen stossen, und helfen uns gegenseitig, eine neue, hilfreichere Perspektive einzunehmen. Wir reflektieren auch, wenn Anliegen von Klient:innen bei uns selber etwas auslösen.

Wie arbeiten Sie in der Paartherapie?

Paare reagieren oft in einem  immer gleichen Teufelskreis aufeinander, der sich aufschaukelt. Dabei stehen beide nicht sehr konstruktiv für ihre Bedürfnisse ein. Die eine Seite drückt ihre  Bedürfnisse kritisch und fordernd aus und versucht, Kontakt aufzubauen. Die andere Person rechtfertigt sich, zieht sich zurück, um die Beziehung zu schützen, und die Distanz wächst. Es geht hier aber nicht darum, wer der oder die «Böse» ist. In der Therapie bin ich da, um positiv und wertschätzend hinter  die «Fassade» zu schauen, Muster zu erkennen und Verhaltensweisen aufzuzeigen.

Was sind häufige Anliegen?

Jüngere Paare sind in der Kinderphase oft überfordert. Sie verlieren sich selbst oder als Paar und unterstützen einander nicht mehr. In langjährigen Beziehungen haben sich Paare aus den Augen  verloren und sich nichts mehr zu sagen. Oder es geht um Beziehungsverletzungen, jemand fühlt sich im Stich gelassen, oder es gibt Aussenbeziehungen.

Sowohl 25- als auch 80-Jährige fragen sich: Was will ich eigentlich (noch)? Diese breite Palette an Lebensthemen finde ich spannend. Auch bei Einzeltherapien kommen Beziehungen, Angst, Depression oder Einsamkeit zur Sprache. Klient:innen sind meist sehr kritisch sich selbst gegenüber. Wenn sich jemand abwertet, geht es darum, Verurteilungen zu erkennen und abzubauen. Es geht immer auch darum, wie man mit Situationen umgeht. Man kann lernen, eigene in der Kindheit erlernte Muster für neue Situationen zu verändern.

Wie gehen Sie vor?

Alles, was Menschen tun, machen sie, damit es ihnen besser geht – auch bei Rückzug oder Sucht. Unsere halbbewussten «Programme» sind meist stärker als unsere bewussten Handlungen. Als Therapeutin kann ich meine Klient:innen dabei unterstützen, ihre Muster zu verändern, indem ich ihnen helfe, sich diese bewusst zu machen. Dazu arbeiten wir mental, emotional und mit dem Körper.

Was heisst das konkret?

Ich frage nach, welche Gefühle man in gewissen Situationen wo spürt und welche Handlungsimpulse aufkommen. Oder ich bitte mein Gegenüber, mit geschlossenen Augen eine Metapher für eine Situation zu wählen und sie zu verändern. Auch hier gehen wir auf den Körper ein: Wie empfindet die Person den Raum? Wo sind ihre Grenzen? Wie ist ihre Atmung, Muskelspannung, Haltung? Was können sie positiv anders machen?

Um  etwas zu verändern, bekämpfen wir nicht die festgefahrene Autobahn der eigenen Muster, sondern wir stärken die Trampelpfade neuen Verhaltens. Es braucht viel Wiederholung, um einen anderen Weg zu bahnen und breiter werden zu lassen, sodass er zum neuen «Programm » wird. Ich hole die Leute dort ab, wo sie stehen. Manche kommen sehr schnell, andere langsamer voran.

Ist alles eine Frage der Perspektive?

Grundsätzlich schon. Der eigene Blickwinkel  beeinflusst, wie ich etwas interpretiere, wie ich handle. Wenn ich etwas anders anschaue, hat es auch eine andere Wirkung auf mich. Diese Arbeit an sich  selbst wäre auch in der Elternbildung sehr wichtig, um eigene Baustellen nicht an die eigenen Kinder weiterzugeben.  

 

Beratung für Paare und Einzelpersonen
In den letzten Jahren hat die Nachfrage nach psychologischer Beratung im Kanton Bern zugenommen. 2022 bot die Fachstelle Ehe-Partnerschaft-Familie 1200 Beratungsstunden an, davon waren zwei Drittel Paarberatungen. Der nächste Paarkurs findet am Samstag, 29. April, statt.
Weitere Informationen: injederbeziehung.ch

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