US-Präsident Donald Trump hält zu Imagezwecken eine Bibel vor der St. John’s Church in Washington hoch. Foto: Reuters, Tom Brenner

USA Today

Ein Meinungsbeitrag von Hans H. Weber* zu den Ereignissen in den USA

Als ich vergangene Woche während einer Life-Übertragung auf dem amerikanischen TV-Sender CNN sah, wie US-Präsident Donald Trump vor der St. John’s Episcopal Church, einsam vor der Kirche stand und die Bibel hochhielt, gab es auch für mich einen «Point of no return».


Von Hans H. Weber* zu den Ereignissen in den USA


Der Weg wurde vor seinem Auftritt von protestierenden US-Bürgern durch einen massiven Polizei- und Militärpolizeieinsatz geräumt. Donald Trump hält sich als Retter der Nation und bester Präsident aller Zeiten. Dazu diese Bilder, dass er sich über einen tränengasgeschwängerten Weg, vom Weissen Haus zur Kirche begeben musste. Ein Fanal, das mit aller Wahrscheinlichkeit seine Wiederwahl verunmöglichen wird. Aber wir wissen nicht, welche Lügen und welche Strategien er aus seinem Zauberzylinder befreit.

Ein Drittel meiner Familie sind US-Amerikaner*innen. Während unserem langjährigen Aufenthalt in der Hauptstadt der USA, Washington D.C., haben wir enge Beziehungen aufbauen können. Einer meiner zwei Söhne, Christoph Weber, wirkt als Professor an der Universität «Northern Texas» in Denton. Wir stehen mindestens einmal wöchentlich im Videokontakt mit ihm. Die US-amerikanische Verfassung hat mich im beruflichen Umfeld stark interessiert. Durch meine diplomatische Abkommandierung unserer Armee konnte ich ebenfalls sehr gute Vernetzungen in die US-Streitkräfte aufbauen.

In dieser schwierigen Zeit durch eine weltweite Pandemie sind ungefilterte Informationen aus dem echten Lebensbereich US-amerikanischer Bürger*innen unbedingt notwendig. Meine Informationen kommen also nicht über mediale Kanäle. Mein Sohn Christoph D. Weber schrieb mir unlängst, er halte Donald Trump für einen Möchtegern-Diktator, der ausser Hass und Lügen kaum etwas vorweisen könne, was er als Retter der USA verspreche. Die Protestaktionen nach der Ermordung eines afroamerikanischen Bürgers der USA würden kaum abnehmen. Die Auflehnung der US-Bürger, ob schwarz oder weiss, werde immer massiver. Nun drohe Präsident Trump mit einem Armee-Einsatz gegen die eigenen Bürger*innen. Das wäre dann wirklich der Point of no return.

Noch hoffen wir auf die Vernunft und Verantwortung der politischen Kräfte, die gottseidank noch immer funktionieren. Joe Biden, der Präsidentschaftskandidat der demokratischen Partei, hat zu den Ereignissen eine Rede gehalten. Der als besonnen und integer geltende Politiker machte darin darauf aufmerksam, dass es einen Ausweg aus diesem Chaos geben kann. «Ihr habt die Macht, ihr habt die Wahl!»

Mein Sohn schreibt weiter: «Was Trump gestern getan hat, inmitten wenn Rom brennt, die Bibel hochzuhalten, war ausser für seine Stammwähler äusserst kontraproduktiv und eine leere Machtdemonstration. Das Bild des Weissen Hauses, das die Lichter ausgelöscht hat, während die Demonstranten vor der Tür stehen, offenbart die wahre Sachlage.»

Vor Wochen habe ich meinen Sohn gefragt, warum gehen die US-amerikanischen Bürger nicht auf die Strasse und wehren sich gegen die Schmach, die ihnen angetan wird? Er antwortete mir: «Jetzt ist der Punkt erreicht: was wir jetzt beobachten, ist der Anfang vom Ende dieser grotesken Scharade. Diese Sicht eines nach wie vor zuversichtlichen Amerikaners kannst du den Leuten zuhause ruhig weiter vermitteln. Man soll die Vielfalt und Resistenz dieser (meiner) Nation nicht unterschätzen.»


Missbrauch von Bibel und Religion zur Erhaltung der eigenen Macht

Das eben besprochene Bild eines Staatspräsidenten, der mit hochgehaltener Bibel seinen Machtmissbrauch dokumentiert, ist sicher nicht neu. Ich frage mich, aus welchem Grund sich in der Zeit der Machttrennung zwischen Kirche und Staat, die Christen manipulieren lassen. Wäre da nicht angebracht sich zu einer deutlichen Gegenwehr zusammenzufinden? Sind die Kirchen heute so schwach geworden, dass sie das Evangelium nicht verteidigen können? «Wir wollen uns nicht in die Staatspolitik einmischen!» Anders die Sicht: Warum mischt sich dann der Staat in unsere kirchliche, christliche Angelegenheit ein und missbraucht wie in den USA die christliche Religion zum Zweck, der das Mittel heiligt?

Das Christentum ist ein weltumspannendes, nicht auf Nationen begrenztes Gut des Menschseins. Auf der einen Seite begünstigt das defensive Verhalten der Christen die Abwanderung aus den Kirchen. Auf der anderen Seite fördert diese Haltung die Angst der Christen zur freien Meinungsäusserung. Dort wo Unrecht geschieht, durch den Missbrauch christlicher Symbole und christlicher Werte, muss deutlich Stellung bezogen werden. Das möchte ich durch diesen Artikel erreichen. Jedes noch so kleine Zeichen nagt am Selbstbewusstsein der Despoten. Verantwortung lässt sich nicht delegieren!

 

*Hans H. Weber (*1941) engagiert sich in Thun für die Ökumene und den muslimisch-christlichen Dialog. Bis 2008 gehörte er als Informatiker zum Forschungsteam für Militärische Informations- und Führungstechnik in Washington D. C. Sein Sohn Christoph D. Weber ist Professor der Philosophie an der Universität Denton/Texas.

 

Zurück zur Übersicht «Schwarze Leben zählen» (Black Lives matter)

 

Diese Website nutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung der Site stimmen Sie deren Verwendung zu und akzeptieren unsere Datenschutzrichtlinien.