Haarloses Schönheitsideal. Foto: Ahmed Carter, unsplash.com

Was Bärte uns über Religion sagen

Das Haus der Religionen hat Bärte, Schnäuze und Enthaarungen ins Visier genommen.

Mode beinhaltet mehr Anlehnungen an religiöse Einstellungen als wir gemeinhin annehmen. Kopftücher, Kippot und Turbane, an die wir als Erstes denken, sind höchstens die Spitze des Eisbergs. Das Haus der Religionen hat Bärte, Schnäuze und Enthaarungen ins Visier genommen.


von Hannah Einhaus


«Nicht nur das Kopftuch»: Dies befand das Haus der Religionen, das unter diesem Motto einen Thementag zu Religion, Mode und Geschlecht durchführte. Statt Kopfbedeckungen kamen weitgehend die Kleidung allgemein sowie Bärte, Schnäuze und Haare zur Sprache. «Kleidung definiert die eigene Identität», unterstrich die Referentin und Religionswissenschaftlerin Dr. Nathalie Fritz anhand einer Reihe von Filmausschnitten. Was wir tragen, gelte demnach als Code, als Inszenierung und widerspiegle soziale Kategorien, Geschlecht, manchmal den Beruf und – eben die Religionszugehörigkeit.

Religion selbst wiederum sei ein Kommunikationsmittel, weit über die Sprache hinaus auch mit nonverbalen Mitteln wie Architektur, Riten, Zeichen und Symbolen. «Kleider sind von uns gemacht und damit ein Stück Kultur», so Fritz weiter. Als humorvolles Beispiel der religiösen Kleidung zeigte sie den amerikanischen Werbespot einer Autofirma: Nach seinem Gebet verlässt ein religiöser Jude die Synagoge und sammelt mit seinem Wagen drei Freunde unterschiedlichster Kleidung. Wir erkennen einen katholischen Pfarrer, einen Imam und einen buddhistischen Mönch. Der Weg führt ins Football-Stadion. Als Fans ziehen sich alle vier blau-weiss an, jeder behält farblich angepasst seine Kopfbedeckung, und alle vier jubeln frenetisch beim Gewinn «ihres» Teams. In diesem Kurzfilm lautet die Botschaft «Einheit in der Vielfalt». Dass religiöse Kleidung auch der Abgrenzung dienen kann, zeigte Fritz anhand der SVP-Plakate bei der Minarett- und der Burka-Initiative, die eine eingehüllte Frau als Bedrohung darzustellen beabsichtigten.

Auch die katholische Kirche kommt nicht zu kurz: Nathalie Fritz zeigte die legendäre Szene der kirchlichen Modeschau in Federico Fellinis Film «Roma» von 1972: Nonnen schreiten mit Möwenflügeln als Kopfbedeckung über den Laufsteg; rot betuchte Geistliche tänzeln auf Rollschuhen; knallbunte und glitzernde Roben folgen; von innen beleuchtete, wie Glasfenster wirkende Westen treten auf; eine weiss gekleidete Figur mit rosa Kranz und weiss geschminkter Haut unter weissem Schleier lässt rätseln, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Als jüdisches Beispiel des Wechselspiels zwischen Religion und Bekleidung präsentierte Fritz Auszüge aus dem Film «Matchmaker»: Je zwei Frauen aus orthodoxem und aus liberalem Haus sprechen über ihre Kleidung, im einen Fall über lange Strümpfe auch im Sommer, im anderen über ihre Freizügigkeit mit engen Jeans und fast bauchfreien Tops.

Die Bärte von Herzl und Wolkenbruch

Haarig ging es beim Zürcher Kulturanthropologen Eberhard Wolff her und zu mit Auszügen einer amerikanischen Talkshow: Der Moderator liess sein Publikum raten, ob es sich auf den gezeigten Bildern um einen Hipster oder einen Chassiden handle. Die Bilder mit Schnauz, Lippen und Bartansatz aus Brooklyn, der «Welthauptstadt für Männerbehaarung», waren alles andere als eindeutig. Das New Yorker Publikum lag oft falsch, ganz zum Amüsement der Bernerinnen und Berner. Bärte eines Weihnachtsmanns und eines Chassiden durften auf einem Weihnukkaplakat ebenso wenig fehlen wie Theodor Herzl auf dem Balkon des Basler Hotels «Drei Könige» mit seinem markanten Bartwuchs.

Wolff ist überzeugt: «Bärte und Schnäuze sind oft ein politisches Statement». Am prominentesten waren nach 2001 hierzulande sicher die langen Bärte der Islamisten, doch das habe sich spätestens seit dem Aufkommen der Hipster-Bärte geändert. Wolff zitierte auch den Film «Wolkenbruch», in dem der junge orthodoxe Motti sich glattrasiert und damit ein derart tiefsitzendes Tabu bricht, dass seine Mutter ihn als «Mörder des Judentums» anschreit. Holocaust-Überlebender und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki wiederum, so war zu erfahren, rasierte sich zweimal täglich und erhoffte sich dabei, weniger jüdisch auszusehen und grössere Überlebenschancen zu haben.
Nebenbei erfuhr man, dass heute in der (amerikanischen) Gebärdensprache die Andeutung eines langen Bartes das Wort «Jude» bedeutet. «Früher sah dieses Zeichen so aus», so Wolff weiter und zeigte einen angewinkelten Zeigefinger – synonym für die Hakennase.

Das Diktat der Enthaarung bei Frauen

Stand bei Wolff die Männerwelt im Vordergrund, befasste sich die Wiener Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner mit dem Gegenstück bei den Frauen: dem Diktat der Enthaarung bei Achseln, Beinen und teilweise im Schambereich. Ein schwedisches Model, das seine Schuhwerbung mit Beinbehaarung zeigte, soll Mord- und Vergewaltigungsdrohungen erhalten haben.

In den Religionen seien Haare oft mit Menstruation und damit mit Unreinheit konnotiert, die Haarentfernung diene entsprechend der «Reinigung». Lechner warnte vor den Einflüssen von Bildern, Werbung und Instagram, die das weibliche Schönheitsideal mit jung, dünn und weiss transportieren. Entsprechend habe die Schaffung von Schönheitsidealen mit Rassismus zu tun, sei oft eine Projektion von Männern und kurble die kapitalistische Wirtschaft an. Durch die andauernde künstliche Schaffung von neuen «Problemen» habe die Schönheitsindustrie ein geeignetes Marketing-Instrument für immer neue Produkte – dies mit Erfolg.
«Damit sich Mädchen und junge Frauen dieser Beeinflussung bewusstwerden, bräuchte es dafür ein entsprechendes Schulfach», forderte Lechner. Gegen diesen Schönheitszwang und den Druck auf Frauen plädierte sie für eine «Body Positivity», für eine Einstellung, in der sich jede Frau und jeder Mann zu zeigen wagt, wie sie oder er ist.

Um das Verhüllen und Verstecken von Haaren ging es teilweise in Workshops einzelner Religionen. Auf Paulus bezog sich die äthiopisch-orthodoxe Gruppe, bei der Frauen an den Gottesdiensten weisse Kopftücher tragen. Ähnlich wie im Islam oder im orthodoxen Judentum gilt das Zeigen von weiblichen Haaren als Ablenkung der Männer und Entehrung. Von sozialen Randgruppen erzählte am Sonntag schliesslich der Film «Im Spiegel» von Matthias Affolter. Er porträtiert die Coiffeuse Anna Tschannen, die seit zwölf Jahren Obdachlosen die Haare schneidet – damit sie sich mit mehr Selbstachtung im Spiegel anschauen können. Alles in allem: ein äusserst lehrreicher Tag jenseits von Kopftuch, Kippa und Turban.

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